© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Die Zentrale erhält mehr Macht
NSU-Aufarbeitung: Die Bundesregierung stärkt mit einem neuen Gesetz die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Lion Edler

Der Minister ist zufrieden. „Das kann sich jetzt sehen lassen“, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über den Gesetzesentwurf für eine Verfassungsschutzreform, der in der vergangenen Woche vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Die Bundesregierung folgt damit auch den Empfehlungen des NSU-Ausschusses des Bundestages und will so Konsequenzen aus den Fehlern bei den NSU-Ermittlungen ziehen. Schließlich sei man im NSU-Ausschuß parteiübergreifend zu der Erkenntnis gekommen, „daß neben vielerlei Veränderungen von Mentalitäten“ auch gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe, sagte de Maizière.

Ein Kernpunkt der Reform ist die Stärkung des Bundesamts für Verfassungsschutz als „Zentralstelle“. Das Bundesamt soll die Landesämter unterstützen und ihre Zusammenarbeit koordinieren. Gleichzeitig soll es aber „in bestimmten Fällen nötigenfalls auch selbst“ in die Beobachtung eintreten – notfalls auch bei lediglich regionalen, aber gewaltorientierten Bestrebungen. Mit dieser zentralisierenden Maßnahme soll verhindert werden, daß die Behörden unbewußt Informationen über dieselben Extremisten sammeln, ohne diese miteinander abzugleichen und auszutauschen. Bei der Zusammenarbeit der Behörden habe es „massive Mängel“ gegeben, sagte de Maizière.

Um den Informationsfluß zu verbessern, müssen die Behörden das gemeinsame Verbundsystem Nadis (Nachrichtendienstliches Informationssystem) nutzen. Die Opposition hatte Bedenken wegen des Datenschutzes angebracht, weshalb ein Kompromiß umgesetzt wurde: Einerseits seien „die Zugriffs- und Abgriffsrechte auf das Erforderliche beschränkt“ worden, erläuterte de Maizière. Andererseits sei auch die Vollprotokollierung vorgeschrieben, so daß man feststellen könne, wer solche Abfragen stelle – und aus welchen Ländern.

Ein besonders strittiger Teil des Gesetzentwurfs war der Einsatz von V-Männern, der nun erstmals einen gesetzlichen Rahmen erhielt. Unter anderem wird festgelegt, wer überhaupt angeworben werden darf und wer nicht – zum Beispiel keine Minderjährigen. Gleichzeitig erhalten V-Leute eine Straffreiheit für leichte Straftaten, wenn die Begehung der Straftat dazu dient, in der jeweiligen extremistischen Szene akzeptiert zu werden. Dazu gehören etwa die Mißachtung des versammlungsrechtlichen Vermummungsverbots, das Zeigen des Hitlergrußes oder das Schwenken einer Flagge des Islamischen Staats. Dagegen seien „Eingriffe in Individualrechte (beispielsweise Sachbeschädigungen)“ jedoch nicht zulässig. Das Verhalten müsse verhältnismäßig und „zur Akzeptanz in der Szene unerläßlich“ sein. Die V-Männer dürfen keine strafbaren Vereinigungen gründen oder steuern, sondern nur in ihnen Mitglied sein, um sie von innen aufzuklären. Gleichzeitig soll sich der Einsatz von V-Leuten auf den gewalttätigen Extremismus mit „Bestrebungen von erheblicher Bedeutung“ konzentrieren.

Die Opposition ließ dennoch kein gutes Haar an der Reform, denn der Gesetzentwurf ist ihr immer noch zu V-Mann-lastig. Das Paket von de Maizière sei „ein schwerer Schlag gegen die Bürgerrechte“, wetterten der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, und die Sprecherin für innere Sicherheit bei den Grünen, Irene Mihalic. Daß die strategische Rasterfahndung des Bundesnachrichtendienstes (BND) auf der Glasfaserkabel ausgeweitet werde, sei „schlicht verfassungswidrig“ und ein Affront gegen den NSA-Ausschuß. „Die pauschale Legalisierung von V-Leuten“ sei außerdem „angesichts weitreichender Ausnahmeklauseln, mangelnder zeitlicher und inhaltlicher Begrenzungen“ fragwürdig.

Der Linken-Politiker André Hahn, der derzeit dem parlamentarischen Kontrollgremium vorsitzt, bezog sich in seiner Kritik ebenfalls vorrangig auf V-Männer. „Der Bund sollte Thüringen folgen und die V-Leute schnellstmöglich abschalten“, sagte Hahn. Wenige Tage vor der Vorstellung des Gesetzentwurfs durch Thomas de Maizière hatte die rot-rot-grüne Thüringer Landesregierung angekündigt, künftig als erstes Bundesland auf V-Männer zu verzichten. Nach Ansicht der Landesregierung war dies die erforderliche Konsequenz aus den NSU-Morden. In anderen Bundesländern wird die Abschaffung jedoch skeptisch gesehen. „Berlin kann und wird sich ein solches Risiko nicht leisten“, sagte Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU).

Kritik an der Reform kommt derweil auch aus den Regierungsparteien. Die Bundesbeauftragte für Datenschutz, Andrea Voßhoff (CDU), sieht „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ und eine Aufweichung des Datenschutzes bei den Nachrichtendiensten. Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz (SPD), berief sich indessen auf die deutsche Geschichte, um gegen die Zentralisierung des Verfassungsschutzes zu argumentieren. „Wir sind als Bundesländer für die Polizei und den Verfassungsschutz zuständig“, sagte Lewentz, der zugleich Vorsitzender der Innenministerkonferenz ist. „Diese Kompetenzen haben die Väter des Grundgesetzes aus guten Gründen den Bundesländern und nicht zentralistisch übertragen. An dieser Aufteilung wollen wir auch in Zukunft festhalten.“

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