© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Sudetendeutsche auf den Barrikaden
Satzungsänderung: Der Verzicht auf Restitutionsansprüche entzweit den Vertriebenenverband
Gernot Facius

Wer in deutschen Medien quasi über Nacht vom heftig gescholtenen „Ewiggestrigen“ zum mutigen „Reformer“ avanciert, tut gut daran zu fragen: Wurde jetzt etwas falsch gemacht? Meist ist es so, daß der Applaus aus der falschen Ecke kommt. In eben eine solche Lage hat sich die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL) manövriert. Noch schlimmer: Mit ihrer vernebelnd „Aktualisierung“ genannten Satzungsänderung hat die bislang wegen ihres Zusammenhalts bekannte SL (nach eigenen Angaben 200.000 Mitglieder) die Gefahr einer inneren Spaltung heraufbeschworen. Daß das bei ihrer Gründung formulierte Ziel der „Wiedergewinnung der Heimat“ unter den veränderten politischen Bedingungen zu Mißverständnissen führen kann, ist weithin Konsens; gegen seine Streichung regt sich deshalb nicht groß Widerstand. Wer denkt schon ernsthaft an eine kollektive Rückkehr oder gar an Grenzänderungen und Gebietsansprüche.

Hilfloser Verweis auf  EU-Grundrechtecharta

Es ist vor allem der pauschale Verzicht auf die wohlbegründete Forderung nach Restitution oder gleichwertiger Entschädigung für das den Deutschen aus Böhmen, Mähren und Sudeten-Schlesien geraubte Vermögen, der die Kritiker der SL-Führung um Bernd Posselt (CSU) auf die Barrikaden treibt. Faktisch wird der tschechischen Seite alles zugestanden, was in ihrem Sinn ist, ohne eine Diskussion darüber zu eröffnen, was konkret an einer Heilung des Vertreibungsunrechts möglich erscheint: materiell wie immateriell. Der Verweis auf die EU-Grundrechtecharta, die in all ihren Teilen für alle Mitgliedsstaaten verbindlich gemacht werden soll, ist nach Ansicht von Kritikern nicht mehr als ein hilfloser Versuch der SL-Bundesversammlung, von einer unterlassenen Politik zugunsten der von Haus und Hof Verjagten abzulenken – just zu einem Zeitpunkt, an dem sich andere Vertreiberstaaten für Modelle einer Heilung öffnen.

Die Reaktion auf diese Positionsveränderung ließ deshalb nicht lange auf sich warten, einzelne Verbände drohten mit Austritt, in Internetforen war zu lesen: „So macht man sich überflüssig, die SL kann sich eigentlich auflösen.“ Andere suchten sich damit zu trösten, daß die Landsmannschaft zwar ein – fatales – Signal nach Prag senden könne, die individuellen Entschädigungsansprüche damit keinesfalls aus der Welt geschafft seien. Wie hatte Bundeskanzler Helmut Kohl 1997 bei der feierlichen Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Erklärung beteuert? Die Eigentumsfragen blieben „selbstverständlich“ offen. Rechtlich hat sich daran nichts geändert. Und über Modelle einer „symbolischen Lösung, die von beiden Seiten akzeptiert werden können“ (Erklärung der Seliger-Gemeinde vom 31. Oktober 1998), wurde so gut wie nicht diskutiert.

Daß mit dem „Abschied von der Heimat“, wie bayerische Gazetten titelten, möglicherweise gegen Satzungsrecht verstoßen wurde, setzt hinter die Beschlüsse von München allerdings ein dickes Fragezeichen. Die „Aktualisierung“ der Satzung wurde zwar mit einer Mehrheit von 71,8 Prozent der Delegierten verabschiedet. Nach Meinung des nationalkonservativen Witiko-Bundes (neben der katholischen Ackermann-Gemeinde und der sozialdemokratischen Seliger-Gemeinde die dritte Gesinnungsgemeinschaft in der SL) sind aber drei Viertel der Stimmen erforderlich, um eine Satzungsänderung rechtsgültig zu machen. Witiko-Vorsitzender Felix Vogt-Gruber beruft sich dabei auf das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Der politischen Kontroverse folgt also eine juristische Auseinandersetzung. Solange die Änderung nicht ins Vereinsregister eingetragen ist, bleibt es formell beim alten Zustand. Was Bernd Posselt, der die „Modernisierung“ eine „geistige Investition in die Zukunft“ nennt, nicht von der Erklärung abhält: Der Widerstand werde scheitern, denn der „politische Wille des Volksgruppenparlaments ist klar“. Ist es nur dieser Wille oder steckt noch mehr dahinter?

Die Neuausrichtung, mutmaßten Kommentatoren, vollziehe sich im Gleichklang einer Kurskorrektur im bayerisch-tschechischen Verhältnis. Noch unter Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hätten sich Münchner und Prager Politiker ängstlich gemieden, das habe sich grundlegend geändert. Abzulesen ist das unter anderem an der Etablierung einer Art bayerischer Botschaft an der Moldau zur Förderung weiß-blauer politischer und wirtschaftlicher Interessen. Ministerpräsident Horst Seehofer dient sie als Bühne für seine Nebenaußenpolitik. Die SL-Spitze ist Teil dieses CSU-Wurzelwerks, sie räumte Positionen zugunsten des „Schirmherrn“, und sie hofft nun auf ein positives Zeichen aus Prag.

Viel mehr als ein verhaltenes Lob für die offenbar als selbstverständlich betrachtete „vertrauensbildende Maßnahme“ war bislang aus dem tschechischen Außenministerium nicht zu hören. Man heißt die Veränderungen „willkommen“, will das „Bestehende vertiefen“, meint damit aber „insbesondere die Beziehungen mit dem Freistaat Bayern“ (Radio Prag), keineswegs direkte Kontakte mit den Repräsentanten der Sudetendeutschen. Das wird sich auch wieder zeigen, wenn Ende Juni der tschechische Premier Bohuslav Sobotka zu Seehofer nach München reist.

Foto: Sudetenchef Bernd Posselt und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in Prag (2010): Teil des CSU-Wurzelwerks

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