© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Der letzte macht das Licht aus
Vor 25 Jahren nahm die letzte und einzige frei gewählte DDR-Regierung ihre Arbeit auf / Währungsunion und Zwei-plus-Vier-Vertrag als Hauptaufgabe
Jörg Fischer

Wer erinnert sich noch an Gerhard Pohl, Walter Romberg oder Kurt Wünsche? Dabei hatten die drei Schlüsselministerien inne: Der Textil-ingenieur Pohl war Funktionär der DDR-Blockpartei CDU und stieg am 12. April 1990 im Kabinett von Lothar de Maizière zum Wirtschaftsminister auf. Der Mathematiker und DDR-Kirchenfunktionär Romberg übernahm für die SPD das Finanzressort. Der LDPD-Spitzenmann Wünsche kehrte bereits am 11. Januar unter Übergangsregierungschef Hans Modrow (SED/PDS) in jenes Amt zurück, das er von 1967 bis 1972 bei SED-Ministerpräsident Willi Stoph schon einmal ausgeübt hatte: das Justizministerium.

De Maizière selbst wurde schon im November 1989 unter dem SED-Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz neuer CDU-Chef, Minister für Kirchenfragen und Stellvertreter Modrows. Daß der Berliner Rechtsanwalt nach der weitgehend freien Volkskammerwahl – die Republikaner durften am 18. März 1990 nicht antreten – der letzte DDR-Ministerpräsident wurde, hat daher nicht nur mit dem Wahlsieg der Ost-CDU (40,8 Prozent unter der Losung „Wir sind ein Volk“ bei 93,4 Prozent Wahlbeteiligung) zu tun. Ob die vom Spiegel veröffentlichten Stasi-Vorwürfe („IM Czerny“) zutreffen oder eher eine konstruierte Rache für de Maizières erfolgreichen Weg zur Wiedervereinigung waren, bleibt Ansichtssache.

Wie sein Innenminister Peter-Michael Diestel (über den CSU-Ableger DSU gewählt und bald zur CDU gewechselt) schied de Maizière Anfang der neunziger Jahre aus der Politik aus und begann eine erfolgreiche Anwaltskarriere. De Maizières letztes Amt als Chef des deutsch-russischen Forums „Petersburger Dialog“ ist nun auch in Gefahr: Da er es in der FAZ „nicht für zielführend“ hielt, an der „Sanktionsschraube gegen Putin weiterzudrehen“, und sogar das Kanzleramt kritisierte, machte eine schwarz-grüne Interessenkoalition gegen de Maizière mobil.

Die seit vier Jahren „mächtigste Frau der Welt“ (Forbes-Magazin) spielte in der letzten DDR-Regierung formal nur eine Nebenrolle: Angela Merkel war stellvertretende Regierungssprecherin und Mitglied des linksbürgerlichen Demokratischen Aufbruchs (DA), der mit 0,9 Prozent nur vier Abgeordnete hatte. In der Regierungspraxis war die heutige Bundeskanzlerin schon damals bei entscheidenden Weichenstellungen anwesend. Sie begleitete de Maizières Staatssekretär Günther Krause bei den Vorgesprächen zur Währungsunion, und sie war auch bei der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages am 12. September 1990 in Moskau dabei.

Altkader in beherrschenden Schlüsselministerien

Ausgesprochene Systemkritiker waren – wie auch nach der Einheit – unterrepräsentiert: Der Dorfpastor Markus Meckel führte als Außenminister zwar die ersten Zwei-plus-Vier-Gespräche mit, doch wegen des Rücktritts der SPD-Minister am 20. August erlebte er den Vertragsabschluß nur aus der Ferne. Seit 2013 ist der frühere Wehrdienstverweigerer Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der DA-Mitgründer und oppositionelle Jugendpfarrer Rainer Eppelmann leitete als Minister für Abrüstung und Verteidigung die geräuschlose Selbstauflösung der Nationalen Volksarmee (NVA). Seit 1998 ist er ehrenamtlicher Chef der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Lediglich Arbeitsministerin Regine Hildebrandt, die sich im Gegensatz zu Merkel der Staatsjugend FDJ verweigerte, erlangte als brandenburgische Sozialministerin und volksnahe „Stimme des Ostens“ bis zu ihrem Tod 2001 mediale Aufmerksamkeit.

Dokumentationsseite „Aufbruch und Einheit. Die letzte DDR-Regierung“ der Bundesstiftung Aufarbeitung: www.deutsche-einheit-1990.de

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