© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Frisch gepresst

Katyn I. Zum 75. Jahrestag des Beginns der Massenmorde an den polnischen Kriegsgefangenen durch Stalins NKWD-Schergen stellt Thomas Urban, Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Akteure, Chronologie und Rezeption in einer kleinen Monographie vor. Dabei berücksichtigt er allerhand Augenzeugenberichte und Dokumentationen aus Polen und Rußland, die bisher noch keine große Resonanz bei uns hatten. Besonders das Material aus Putins Reich belegt für Urban „den festen Willen zur Aufklärung bei einem Teil der russischen Historikerzunft“. Katyn etwas reißerisch das Attribut als „grelle Chiffre“ (Vorwort) für „eines der abscheulichsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts“ (Klappentext) zu verpassen dürfte jedoch etwas dick aufgetragen sein. Auch wenn der ethnisch motivierte Klassenmord an mindestens 25.000 Vertretern der polnischen Mittel- und Oberschicht eine ungeheuerliche Dimension offenbart, reiht sich „Katyn“ dennoch lückenlos in das viele Millionen Opfer umfassende Mordsystem unter Stalin ein. Der Unterschied dürfte wohl nur darin liegen, daß andere Massengräber in der „Zone der totalen Ruhe“ zwischen Wolga und Kamtschatka noch ihrer Entdeckung harren. (bä)

Thomas Urban: Katyn 1940. Geschichte eines Verbrechens. Verlag C. H. Beck, München 2015, broschiert, 249 Seiten, Abbildungen, 14,95 Euro

 

Katyn II. Einen anderen Fokus richtet die Historikerin Claudia Weber von der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) auf den Massenmord. Denn wie kaum ein anderes Verbrechen aus den „Blood­lands“ bestimmen Lüge und propagandistische Vernutzung nach Entdeckung der Massengräber durch die Wehrmacht im Frühjahr 1943 dieses Massaker. So gelang es den Deutschen nicht, einen Keil zwischen die Alliierten zu treiben, obwohl doch Englands 1939 engverbündete Soldaten im Sand der russischen Kiefernwälder verscharrt waren und Stalins Ableugnung als offenkundiger Schwindel durchschaut wurde. Das ging soweit, daß die Sowjets die Chuzpe durchsetzten, mit fragwürdigsten „Beweisen“ die Täterfrage vor der Weltöffentlichkeit 1946 in Nürnberg klären und Katyn dem Deutschen Reich aufs Schuldkonto schreiben zu lassen. Diese Version galt dann bis 1989 sogar bei den Genossen im Bruderstaat Polen, obwohl fast jeder an der Weichsel die Wahrheit kannte. (bä)

Claudia Weber: Krieg der Täter. Die Massenerschießungen von Katyn. Hamburger Edition, Hamburg 2015, gebunden, 471 Seiten, 35 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen