© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Abschied mit Folgen
Der Abgang des CSU-Urgesteins Peter Gauweiler ist eine Zäsur für den deutschen Politikbetrieb
Michael Paulwitz

Selten wird ungenierter gelogen als in Nachrufen. Nach dem Rückzug Peter Gauweilers von Parteiamt und Bundestagsmandat strotzten Politiker quer durch die Parteien nur so von „Respekt“ und „Anerkennung“, lobten seine „Haltung“ und „Geradlinigkeit“. Und trotzdem konnte das vielstimmige „Wir werden dich vermissen“ kaum die Erleichterung überdecken, daß da einer gegangen war, der einfach nicht zum mediokren Rest gepaßt und den stromlinienförmigen Durchschnitt ein ums andere Mal mit Prinzipientreue und lästigen Sachargumenten genervt hat.

Vermissen werden ihn wohl am ehesten seine Wähler, die ihn mit überzeugendem Votum direkt in den Bundestag entsandten und die er mit seinem Mandatsverzicht im Stich gelassen hat. Daß Peter Gauweiler so oft über Kreuz mit der eigenen Partei und der gesamten politischen Klasse lag, hatte weniger mit einzelnen Inhalten zu tun, die er quer durch die politische Landschaft vertreten hat: vom hartnäckigen Widerstand gegen Euro-„Rettung“, Schuldenunion und Entmachtung des Bundestags über die Opposition zu Interventionismus in internationalen Krisen von Afghanistan, Afrika und Irak bis Kosovo und Ukraine.

Eskalierten linke Anti-Atom-Demos in Wackersdorf, stand der Innenstaatssekretär Gauweiler an der Seite der Polizisten, denen er Weißwürste spendierte; gab sich der Münchner SPD-Oberbürgermeister zur Eröffnung der geschichtsklitternden „Wehrmachtsausstellung“ her, organisierte der CSU-Lokalmatador die Kampagne dagegen.

Gauweiler bezog solche Allein-gegen-alle-Positionen nicht aus Querulantentum, sondern weil er im Zeitalter der übermächtigen und gutgeölten Parteiapparate einen zum Aussterben verurteilten Politikertypus verkörperte. Geistig und materiell unabhängig, konnte er das Mandat als Instrument zur Durchsetzung seiner Überzeugungen verstehen, statt seine Gesinnung laufend den Zwängen des Mandatserhalts anpassen zu müssen. Damit stand er dem Ideal des Honoratiorenpolitikers, der seine charakterliche Integrität und sein intellektuelles Potential für eine als richtig erkannte Sache in die Waagschale wirft, näher als dem Typus der gesinnungselastischen Berufs- und Karrierepolitiker, all der kleinen Rädchen, die nach dem Takt der machtspendenden Partei- und Fraktionsmaschinerien funktionieren und die Parlamente überschwemmen.

Sein Kampf für Parlamentsrechte und die Autonomie des nur seinem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten, den der erfolgreiche und versierte Rechtsanwalt vor allem vor dem Bundesverfassungsgericht führte, war daher in gewissem Sinne ein aussichtsloses Ringen mit Windmühlenflügeln um eine Freiheit, die das Gros seiner Kollegen gar nicht begehrte. Auch wenn er bei Parlamentspräsident Norbert Lammert auf Verständnis stieß, für das er sich zum Abschied ausdrücklich bedankte.

Die Niederlegung des Bundestagsmandats, die seiner sonst vertretenen Auffassung von der Berufung des Abgeordneten diametral widerspricht, ist damit auch das Eingeständnis einer persönlichen Niederlage. Müßig ist es dagegen, ihm wie einige hämische Kommentatoren seine häufigen Fehlzeiten in Parlaments- und Ausschußsitzungen oder die Höhe seiner Nebeneinkünfte vorzurechnen, mit denen er unter den Mitgliedern des Bundestags einen Spitzenplatz belegt. Wo Diäten durch bloßes Zeitabsitzen und Wohlverhalten gegenüber der Fraktionsspitze verdient werden, hat Peter Gauweiler durch seine in Karlsruhe geführten Klagen und Verfassungsbeschwerden der deutschen Demokratie zweifellos besser gedient, wozu ihm seine private materielle Unabhängigkeit die Voraussetzungen eröffnet hat.

Ein Charakterkopf vom Schlage Gauweilers, der analytische Schärfe mit drastischer Formulierungskunst und im besten Sinne populistischem Gespür für das verbindet, was Bürger und Wähler bewegt, ist mit seiner Neigung zum egozentrischen und gelegentlich bizarren Auftritt fraglos kein Mannschaftsspieler. Sein Rückzug vom Amt des stellvertretenden CSU-Vorsitzenden war daher, anders als der Mandatsverzicht, nur folgerichtig: Beim nächsten Parteitag wäre er vermutlich ohnehin abgewählt worden, nachdem die Strategie des Parteivorsitzenden Horst Seehofer, Gauweiler zu mißbrauchen, um den Wählern eine sowohl eurorettende als auch eurokritische CSU vorzugaukeln, bei der Europawahl grandios gescheitert war.

Der CSU-Chef könnte also eigentlich zufrieden sein, daß der prominenteste Abweichler sein „Ihr oder ich“ wörtlich genommen hat. Hätte nicht Gauweiler auch seine fragwürdige Feigenblatt-Funktion zu seinen Gunsten gewendet und seinem Parteivorsitzenden zum Abschied, perfekt plaziert in der sitzungsfreien Woche vor den Feiertagen, ein vergiftetes Abschiedsgeschenk hinterlassen. Seine Erklärung, nicht er, sondern die Mehrheit der CSU habe durch ihre Zustimmung zur Verlängerung der Griechenland-Hilfen gegen Programm und Beschlußlage verstoßen, ist die Blaupause für jeden, der der Seehofer-Partei künftig Wählerbetrug vorhalten will.

Oberflächlich mag für den grauen Rest das Verwalten der Macht ohne den widerborstigen Oberbayern einfacher geworden sein. Tatsächlich ist Gauweilers Abgang nicht nur für die CSU, sondern für den gesamten Politikbetrieb eine Zäsur, die die Parteiendämmerung beschleunigen wird. Nicht nur in der Union sind die selbstdenkenden Parlamentarierpersönlichkeiten auf dem Rückzug. Gauweiler ist nicht der erste, aber einer der letzten. Ohne solche Charaktere wird der Bundestag einem volkskammerartigen Akklamationsapparat immer ähnlicher. Mancher scheint den schleichenden Legitimationsverlust bedrohlich zu spüren, wenn er den Rückzug Gauweilers bedauert und damit meint, so ein Aushängeschild könne man vielleicht noch gut brauchen, damit das Volk nicht den letzten Respekt vor seinem Parlament verliert. Daß Peter Gauweiler dieses Spiel nicht mehr mitmachen will, muß man ihm am Ende doch auf der Habenseite anrechnen.

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