© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

„Jede offene Diskussion wird erdrückt“
Er war stellvertretender Chefredakteur der „Bild am Sonntag“. Dann stieß Nicolaus Fest an die Grenzen der Meinungsfreiheit – und zog die Konsequenzen. Heute publiziert er auf seinem Blog
Moritz Schwarz

Herr Dr. Fest, was halten Sie vom Wort Lügenpresse?

Fest: So allgemein halte ich es für falsch.

Kostprobe: Ein ARD-Sender stellte unlängst die Vergewaltigung einer Pariser Jüdin in Zusammenhang mit dem Front National. Tatsächlich aber kamen die Täter aus Afrika.

Fest: Natürlich gibt es bewußte Verdrehungen, ich nenne selbst Beispiele auf meinem Blog. Doch solche Lügen sind die Ausnahme. Das eigentliche Problem ist die tendenziöse Berichterstattung, die allerdings meist auf guten Absichten beruht.

Guten Absichten?

Fest: Davor ist niemand sicher. Selbst bürgerlich-gemäßigte Autoren waren um 1920 der Ansicht, daß etwa der Parlamentarismus gescheitert sei, die Zukunft dem Führerprinzip gehöre, die Deutschen nach Lebensraum streben müßten und zwischen den Völkern das Gesetz des „Survival of the fittest“ herrsche. Auch diese Journalisten waren überzeugt, daß sie ausschließlich die Wahrheit schreiben. Das sollte uns nachdenklich machen.

Inwiefern?

Fest: Als wir uns vor den Vorurteilen und Moden der Zeit hüten sollten. Nehmen Sie nur die Berichterstattung über Pegida: Überall war zu lesen, es handele sich um „sozial Abgehängte“; später kam heraus, daß das Gegenteil der Fall war. Auch die Berichterstattung über den Mord an einem Dresdner Asylbewerber lief dramatisch in die falsche Richtung, weil die Tat so perfekt zu den Vorurteilen vieler Journalisten paßte, zum Bild vom abgehängten, braunen Osten. Sebnitz reloaded. Auch zu Themen wie EU oder Zuwanderung gibt es kaum eine dezidierte mediale Gegenposition, weil dies dem Selbstbild vieler deutscher Journalisten widerspricht, die sich als weltoffen, tolerant, solidarisch sehen wollen.

Wolfgang Streeck will den Euro auflösen, Thilo Sarrazin kritisiert die Einwanderung.

Fest: Das sind keine Journalisten und seltene Gastbeiträge. Tatsächlich insinuieren fast alle Medien, daß es eine echte Alternative zu diesen Themen vernünftigerweise gar nicht geben könne. Dieser Konformitätszwang, der Gegenmeinungen als indiskutabel desavouiert, ist verheerend für die Meinungsvielfalt, weil er jede offene Diskussion erdrückt. Die Reaktionen auf Sarrazin oder Pegida sind bezeichnend: „Nicht hilfreich“ das eine, und zu Pegida ein Satz wie ein Dogma: „Eine Islamisierung findet nicht statt!“ Das ist das Diskursniveau der Volkskammer.

Woher kommt das?

Fest: Der amerikanische Internet-Milliardär Peter Thiel meinte kürzlich: Weil wir alle demokratisch erzogen seien, glaubten viele, daß auch die Wahrheit notwendig demokratisch sein müsse. Bei den Deutschen kommt hinzu, daß sie unverändert Siegfried sind: reinen Herzens, aber politisch oft einfältig.

Ein Bild aus dem 19. Jahrhundert. Sie wollen sagen, die Deutschen hätten sich nach 1945 nicht geändert?

Fest: Sicher ist, daß die Deutschen, anders als Frankreich, England, Spanien oder die USA, in ihrer politischen Entwicklung nie länger mit den Härten und Notwendigkeiten konfrontiert wurden, die eine Großmacht prägen. Daher wohl das Unbehagen, sich zur Führungsrolle in Europa zu bekennen, wie auch der Hang zur radikalen, politikfernen Weltbeglückung: Asyl für alle Afrikaner, Befriedung des Nahen Ostens und Hunger, Armut und Unbildung werden wir nebenbei auch besiegen. Darunter geht es nicht. Im Grunde ist der Deutsche, wie Goebbels begeistert notierte, immer noch Glaubensstärke plus reines Herz. Das ist zwar zuweilen sympathisch, doch auf dem Feld des Politischen führen Eiferertum und Ahnungslosigkeit immer in die Katastrophe. Daß Politik oft bedeutet, Unerträglichkeiten stoisch zu ertragen, wollen viele Deutsche nicht begreifen – und auch nicht, daß man mit Gutgläubigkeit die Demokratie verspielen kann: durch Feinde, die man sich ins Land holt, durch törichte Toleranz, durch Preisgabe eigener Werte.

Um sich selbst ein Bild zu machen, haben Sie eine Pegida-Demonstration besucht. Haben Sie dort vorgefunden, was Ihnen die Medien beschrieben haben?

Fest: Natürlich habe ich bei 17.000 Teilnehmern nur einen Ausschnitt wahrnehmen können. Aber auf mich wirkten die Leute vernünftig, die Gegendemo war deutlich aggressiver. Auch die Pegida-Plakate waren eher frech als bösartig und nichts im Vergleich zu dem, was in der Anfangsphase der Grünen zu finden war. Und die Redner von Pegida beschäftigten sich – mit einer Ausnahme – gar nicht mit dem Islam. Es ging statt dessen um politische Partizipation, innere Sicherheit, um Tagespolitik. Aber das war Anfang Januar. Wie es heute ist, kann ich nicht sagen.

Wie gehen Sie damit um, nicht das vorgefunden zu haben, was Ihnen von den Medien dargestellt worden war?

Fest: Die Reportagen über Pegida haben vielfach ein sachliches Bild gezeichnet. Anders die Kommentare. Dort vor allem wurden die demonstrierenden Bürger fast regelmäßig denunziert. In der Rückschau vermischt sich dies wohl.

Wenn die Reportagen objektiv waren, wie kommen die Kommentatoren dann zu ihrem Urteil?

Fest: Gute Frage. Aber die kann man fast täglich stellen.

Haben Sie Ihre Kollegen einmal auf das Problem des Tendenziösen angesprochen?

Fest: Das ist in allen Redaktionskonferenzen ein Thema, und das muß auch so sein. Keiner ist frei von Vorurteilen. Allerdings werden diese Fragen zuweilen überdeckt von Gesichtswahrung, Eitelkeiten, der Unabhängigkeit des Ressorts.

Ist das für einen intellektuellen Berufsstand nicht erstaunlich?

Fest: Ist es irgendwo anders?

Journalisten rühmen sich gerne des Mottos von Hanns Joachim Friedrichs: „Ein guter Journalist macht sich mit einer Sache nicht gemein, auch nicht mit einer guten.“

Fest: Oft zitiert, nie befolgt. Allerdings würde ich dem Satz auch nicht folgen, weil ich ihn für falsch und standpunktlos halte. Es gibt Dinge, für die man sich einsetzen muß. Meinungsfreiheit, Individualrechte, Republikanismus etwa stehen für mich nicht zur Disposition. Das ist nicht nur Grundlage unserer Arbeit, sondern auch moralische Substanz.

Rührt daher Ihre Kritik am Islam?

Fest: Gewiß. Der Islam bedroht alles, wofür unser Gemeinwesen steht: Freiheitsrechte, Individualismus, Gleichberechtigung – und ich kann nicht erkennen, daß Aussicht besteht, ihn zu demokratisieren. Wenn das so wäre, müßte der Euro-Islam großen Zulauf haben, nicht die Salafisten.

Sind Sie jetzt nicht fremdenfeindlich?

Fest: Schlichte Gemüter wie Volker Beck mögen Religionskritik für Fremdenfeindlichkeit halten. Tatsächlich ist Islamkritik sowenig fremdenfeindlich wie die Varusschlacht oder der Kampf der Azteken gegen die Spanier. Im Gegenteil: Wenn das Fremde unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht, dann wird „Fremdenfeindlichkeit“ zur gesellschaftlichen Pflicht. Das ist die Konsequenz des republikanischen Appells: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!

Sie haben im Juli 2014 in der „Bild am Sonntag“ den Kommentar „Islam als Integrationshindernis“ veröffentlicht.

Fest: Im Sommer 2014 veranstalteten Muslime wüste, antisemitische Demonstrationen in Deutschland, bei denen etwa „Komm heraus, du Judenschwein!“ oder „Hamas! Hamas! Juden ins Gas!“ skandiert wurde. Das zum Hintergrund. Ich schrieb in meinem Kommentar unter anderem: „Der Islam stört mich immer mehr. Mich stört die weit überproportionale Kriminalität muslimischer Jugendlicher, die totschlagbereite Verachtung für Frauen und Homosexuelle, Zwangsheiraten, ‘Ehrenmorde’ und antisemitische Pogrome stören mich mehr, als halbwegs zivilisierte Worte hergeben. Nun frage ich mich: Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen!“ Daraufhin gab es einen organisierten Shitstorm – was zu erwarten war. Nicht unbedingt zu erwarten war die Reaktion des Hauses Springer.

Herausgeber Kai Diekmann und Ihre Chefredakteurin Marion Horn distanzierten sich öffentlich von Ihnen.

Fest: Ja, das war eine Innovation in Sachen Mitarbeiterumgang. Aber sei’s drum. Ich habe mich bisher nicht zu den Vorgängen geäußert und werde es auch jetzt nicht tun.

Sie haben die Konsequenzen gezogen und Ende 2014 die „BamS“ verlassen.

Fest: Der antitotalitäre Konsens ist für mich Grundlage journalistischer Arbeit. Wenn dieser Konsens brüchig und ein klares Meinungsstück nicht mehr als solches vom Haus verteidigt wird, kommt auch die größte Liebe an ein Ende.

Sind Sie heute desillusioniert über Ihren Berufsstand?

Fest: Nein, die Lust am Beruf sollte nicht vom Berufsstand abhängen. Daß allerdings bis auf Michael Hanfeld von der FAZ kein einziger Journalist mein Recht auf Meinungsfreiheit verteidigte, war schon überraschend. Fünf Monate später meinten dann alle: „Je suis Charlie!“ Schön wär’s. Aber nicht nur Journalisten fehlt eben oft der Mut.

Zum Beispiel?

Fest: Auch die Politik versagt. Die Reaktionen auf Pegida sind ja auch eine Niederlage des Parlamentarismus. Keiner hat den Mut, die Befürchtungen der Demonstranten aufzunehmen, politisch zu artikulieren. Dabei weist der wahrlich nicht alarmistische Heinz Buschkowsky seit Jahren auf die Islamisierung hin, und der Zulauf zur Dschihadistenszene fällt auch nicht vom Himmel. Wenn keine Islamisierung stattfindet, warum gibt es dann Parallelgesellschaften, Zwangsheiraten, Friedensrichter? Doch im Parlament herrscht das große Schweigen; nicht einer der 631 Abgeordneten greift die Warnungen auf. Ein kleiner Berliner Lokalpolitiker ist der einzige, der an das Tabu vom Multikulturalismus zu rühren wagt. Wozu aber noch ein Parlament, wenn die wichtigen Debatten dort nicht geführt werden?

Heute schreiben Sie statt für die „BamS“ für Ihr eigenes Blog. Ist das nicht der Schritt aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit ins mediale Nichts? Sind Sie für die massenmediale Gesellschaft nicht mundtot?

Fest: Sind Bild und BamS das „Zentrum der Aufmerksamkeit“? Das habe ich selbst in meiner dortigen Zeit nicht gehofft. Aber es stimmt, Blogs sind keine massenmedialen Formate. Doch geht es nicht um Reichweite, sondern eher um den Gedanken einer, wenn auch marginalen, Gegenöffentlichkeit. Das muß ich Ihnen wohl kaum erklären. Im übrigen ist die massenmediale Gesellschaft selbst am Ende. Was wir erleben, ist der Wandel zur mikromedialen: Viele lesen eher, was Freunde auf Twitter, Facebook und Blogs posten, als daß sie zur Zeitung greifen. Hier zeigt sich am deutlichsten der Bedeutungsverlust der etablierten Medien, der ihrem Glaubwürdigkeitsverlust folgt. Die kleinste Peergroup ist wichtiger als Springers „rote Gruppe“.

Hat das auch inhaltliche Gründe?

Fest: Wenn jede Kritik an Islam, Zuwanderung, EU oder Euro von den Medien als fremdenfeindlich, nationalistisch oder rassistisch verunglimpft wird, muß man sich nicht wundern, daß die Leute nach differenzierteren Antworten suchen. Und daß die Hoffnung fast aller Verleger, die EU gegen Google einzuspannen, auch die Berichterstattung prägt, dürfte ebenfalls nicht unbemerkt geblieben sein. Die Diskussion um die „Lügenpresse“ zeigt ja ein grundsätzliches und oft berechtigtes Mißtrauen.

Die Zukunft als Niedergang?

Fest: Für die Medien sicher. Und für Deutschland wohl auch, weil das Land keinen Sinn für die Freiheit hat, für ihre Kosten und dafür, daß man alles verlieren kann. Deutschland wird sich in den nächsten dreißig Jahren dramatisch verändern. Im Moment kommen Zehntausende, die keinerlei Beziehung zu diesem Land, seiner Geschichte, seiner Kultur haben, und dies auch gar nicht wollen. Wenn diese Zuwanderer politische Parteien gründen, wird es nichts geben, was dieses Land zusammenhält. Dann haben wir libanesische Verhältnisse, also ein Land zerrissen vom Gift der Religionen und Ethnien, ohne verbindende Idee, unfähig zur Bewahrung der staatlichen Einheit. Die Keilereien zwischen Muslimen und Jesiden in Celle sind ein Fanal. Das müssen Sie nur hochrechnen. Ich zumindest rate meinen Kindern, ihre Zukunft nicht hier zu planen.

 

Dr. Nicolaus Fest, der Journalist ist der Sohn des verstorbenen FAZ-Herausgebers Joachim Fest und Bruder des Verlegers Alexander Fest. Er studierte Jura, arbeitete für Gruner + Jahr, zuletzt als Referent des Vorstands-chefs Gerd Schulte-Hillen. 2001 wechselte er zu Axel Springer, wo er ab 2013 Vize-Chefredakteur der Bild am Sonntag war. Nach seinem Kommentar „Islam als Integrationshindernis“ im Juli 2014 distanzierte sich die Chefredaktion von ihm. Ende des Jahres verließ Fest „auf eigenen Wunsch“ das Haus Springer. Seitdem betreibt er einen eigenen Blog. Geboren wurde Fest 1962 in Hamburg.

www.nicolaus-fest.de

Foto: Publizist Fest: „Daß man durch Gutgläubigkeit die Demokratie verspielen kann, wollen viele Deutsche nicht begreifen (...). Wenn die Zuwanderer politische Parteien gründen, wird es nichts geben, was dieses Land zusammenhält.“

 

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