© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

„Bitte hilf uns, Jesus“
Kenia: Nach dem blutigen Attentat durch islamistische Fundamentalisten der Al-Shabaab-Miliz setzt die Staatsführung auf Vergeltung
Marc Zöllner

Es herrschte noch pechschwarze Nacht, als kurz nach fünf am Morgen das Grauen über die kenianische Universität von Garissa hereinbrach: Acht schwerbewaffnete und mit Sprengstoffwesten ausgerüstete Männer stürmten aus den Büschen. Die wenigen Sicherheitskräfte, welche das Tor des Campus bewachten, wurden aus dem Hinterhalt erschossen.

Anschließend drangen die Attentäter in die Barracken der Studentenwohnheime vor. Von Zimmer zu Zimmer eilend, stießen sie die aus dem Schlaf gerissenen Studenten reihenweise auf die Flure der Bildungseinrichtung. Was folgte, war ein Blutbad unvorstellbaren Ausmaßes.

Die Terroristen fragten nach Ethnie und Religion

Wie Betende auf dem Weg zur Morgenandacht seien die Terroristen gekleidet gewesen, gaben Überlebende später zu Protokoll. Wer ihren Befehlen nicht sofort nachkam, sei auf der Stelle erschossen, alle anderen im Gang über ihre Ethnie und Religion peinlich befragt worden. Wer kein Muslim und kein Somali war, wurde von den Attentätern mit Genickschuß hingerichtet. Auch drei seiner Kommilitoninnen, berichtet der Student Reuben Mwavita der britischen Zeitung The Guardian, seien vor seinen Augen auf diese Art ermordet worden. „Ihr einziger Fehler bestand darin, ‘Bitte hilf uns, Jesus!’ zu rufen“, erzählt er später. „Daraufhin wurden sie umgehend erschossen.“

Ganze sechzehn Stunden währte der Alptraum der Studenten, bis es der Armee gelang, auf den Campus vorzurücken. Um sich dem Zugriff der Spezialeinheiten zu entziehen, sprengten sich vier der Angreifer noch im Gebäude in die Luft. Ein weiterer Terrorist konnte im Gefecht gestellt werden; drei weiteren Attentätern jedoch soll dem Polizeibericht zufolge die Flucht in die mittlerweile herrschende Abenddämmerung gelungen sein. Was sie zurückließen, waren die leblosen Körper von 147 jungen Menschen, von Studenten, Wachleuten sowie einem Soldaten.

Mit einem Paukenschlag riß der Terrorakt von Garissa die kenianische Bevölkerung, in der die Christen mit 70 Prozent vor den Muslimen (20 Prozent) und den Anhängern von Naturreligionen (zehn Prozent) die Mehrheit stellen, aus ihren Träumen vom baldigen Frieden in die blutige Realität zurück. Verkündete ihr Präsident, Uhuru Kenyatta, noch am Vorabend des Anschlags, Kenia sei „so sicher wie jedes andere Land der Welt“, wurden sich die Kenianer auf einen Schlag bewußt: Der Bürgerkrieg im benachbarten Somalia, in den kenianische Truppen seit mehreren Jahren involviert sind, hat längst auch die Dörfer und Städte des vierzig Millionen Einwohner zählenden Landes an der Küste Ostafrikas erreicht.

Seit den Terroranschlägen auf die US-Botschaften in der kenianischen Hauptstadt Nairobi sowie im tansanischen Daressalam, bei denen im August 1998 durch von der Terrorgruppe al-Qaida simultan gezündete Autobomben 224 Menschen starben, geriet Kenia in der Vergangenheit immer wieder ins Fadenkreuz international agierender Extremistenorganisationen. Der Grund ist das militärische Engagement des Landes auf dem Schwarzen Kontinent und insbesondere im fragmentierten Somalia, wo Kenia seit 2009 Truppen gegen die radikalislamische Al-Shabaab-Miliz aufmarschieren läßt.

Bereits im September 2013 rächte sich diese für die kenianische Intervention am Horn von Afrika. Ein Selbstmordkommando überfiel damals das bei Anwohnern beliebte Westgate-Einkaufscenter, lieferte sich eine vier Tage währende Belagerung mit den Sicherheitskräften und ermordete insgesamt 67 Menschen; unter ihnen den ghanaischen Schriftsteller Kofi Awoonor sowie einen der Neffen Uhuru Kenyattas (JF 41/13). Allein bis Dezember vergangenen Jahres folgten zehn weitere dokumentierte Anschläge der Miliz mit über 157 Toten.

Seit dem Westgate-Anschlag gehen die Extremisten dabei immer gleich vor: Ihre Opfer, meist wahllos aus der Menge gerissene Zivilisten, werden gezwungen, Koran-Verse zu rezitieren, auf arabisch zu lesen oder die Familie des Propheten Mohammed zu benennen. Wer dies nicht vermag oder sich nicht anderweitig als Muslim ausweisen kann, wird erschossen; Muslime hingegen, die vorab keinen Widerstand geleistet haben, in die Freiheit entlassen. Denn schon längst ist sich die radikalislamische Miliz bewußt, unter der muslimischen Bevölkerung sowohl Somalias als auch Kenias keine mehrheitliche Sympathie mehr zu besitzen (JF 49/14). Jene Selektionen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen dienen der Extremistengruppe, Muslime per se als heimliche Befürworter ihrer Aktionen in der Öffentlichkeit zu stigmatisieren, von der Zivilgesellschaft auszugrenzen und somit passiv zu radikalisieren.

Kenias Bevölkerung droht die Spaltung

„Al-Shabaab versucht die Religion zu benutzen, um uns Kenianer zu spalten“, ist sich auch Boniface Mwangi sicher. Zweimal wurde der 31jährige Reporter bereits zum afrikanischen Fotojournalisten des Jahres ausgezeichnet. Mit Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen seines Landes spart er von daher auch nicht nach den jüngsten Angriffen auf die Universität: „Ein junger Mann somalischen Ursprungs wird heutzutage in Garissa sofort als Terrorverdächtiger betrachtet. Genau hier liegt das Problem. Denn wir sollten mit Liebe antworten, statt mit Hass.“

Doch von diesen Hinweisen möchte gerade Kenias Präsident Uhuru Kenyatta im Moment nichts wissen. „Wir werden den Terrorismus bis zum bitteren Ende bekämpfen“, verkündete dieser in einer Fernsehansprache. „Ich verspreche, daß meine Regierung auf schärfstmögliche Weise antworten wird.“ Seit Montag fliegt die kenianische Luftwaffe Angriffe gegen im somalischen Grenzland vermutete Ausbildungslager der al-Shabaab.

Foto: Ohnmächtige Trauer an den Särgen der Opfer: Wer kein Muslim oder Somali war, wurde hingerichtet

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