© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Mit dem Jaguar zum Einkaufen
Einzelhandel: Die Erfolgsmodelle Aldi und Lidl expandieren erfolgreich im Ausland / Keine Vorbehalte gegen Deutsche mehr
Markus Brandstetter

Ein echter Schotte zu werden, ist teuer: Ein guter Kilt kostet 300 britische Pfund, für das traditionell dazu getragene weiße Ghillie-Hemd werden weitere hundert Pfund fällig. Den unverzichtbaren Dudelsack gibt es nicht unter 1.200 Pfund. Mit weiteren Extras kommen schnell 2.000 Pfund – fast 2.750 Euro – zusammen.

Bis jetzt. Seit kurzem ist der ganze Kram allerdings auch schon für 50 Pfund zu haben. Natürlich: Der Schottenrock, der normalerweise aus handgewebter Schafwolle gefertigt wird, ist bei diesem Angebot aus Viskose gemacht, das Highlander-Schnürhemd ist aus Polyester und der Dudelsack ein Spielzeug für Kinder. Dafür beträgt beim Kilt die Tiefe der Rocktasche exakt die von der Tradition vorgeschriebenen 24 Zoll, das Tuch ist genau die vom Brauchtum festgelegten acht Yards lang, und auf dem Dudelsack kann man sogar spielen.

Das Interessante an diesem Sonderangebot ist allerdings weniger der Preis als die Tatsache, wer es anbietet – nämlich Lidl in Großbritannien. Gutgelaunt wurde das Schotten-Set, das im Januar 2015 in die Läden kam, von der englischen Presse gepriesen und als Vorbild für den eigenen Handel hingestellt. Diese freundliche Aufnahme überrascht keineswegs mehr, weil im Vereinigten Königreich längst bekannt ist, daß deutsche Discounter bei den Briten einen Stein im Brett haben.

Seit Aldi Süd 1990 und vier Jahre später auch Lidl auf den Britischen Inseln aufgetauchten, entwickelten sie sich zum Darling der Briten. Beide Discounter wachsen zweistellig. Der Aldi-Ableger hat inzwischen 550, Lidl sogar 590 Läden. Der britische Marktführer Tesco kommt mit seinem von der Verkaufsfläche vergleichbaren Ableger „Tesco Metro“ nur auf 195 Geschäfte.

Große Zeitungen wie die Daily Mail schicken regelmäßig Testkäufer in die Läden der fünf großen einheimischen Lebensmittelhändler, um die Preise der dort erstandenen Mustereinkaufskörbe dann mit den Preisen von Aldi und Lidl zu vergleichen. Die Deutschen schneiden dann regelmäßig besser ab als ihre britischen Wettbewerber.

Und nicht nur der Preis, auch die Qualität der der deutschen Billigheimer wird immer wieder gelobt. Im Februar dieses Jahres wurde Aldi von einem Expertengremium als der beste Verkäufer von Weinen im Vereinigten Königreich ausgezeichnet. Ein von Aldi für 3,99 Pfund angebotener australischer Shiraz Cabernet, ein in England überaus beliebter Rotwein, schlug bei der Verkostung durch britische Sommeliers das Angebot eines einheimischen Konkurrenten, das auch noch elfmal teurer war.

Attraktive Angebote auch für die Upper Class

In Großbritannien spielen Vermögen und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse, die Engländer an tausend kleinen Anzeichen stärker wahrnehmen als Deutsche, auch heute noch eine enorme Rolle. Deshalb kam bis vor einigen Jahren ein Einkauf bei Aldi und Lidl für Leute mit Jaguar, Jagdhorn und Landsitz nicht in Frage. Doch das hat sich inzwischen gründlich geändert. Fast die Hälfte aller wohlhabenden Engländer hat in den letzten drei Monaten mindestens einmal bei den deutschen Discountern eingekauft – und zwar nicht nur wegen der günstigen Preise, sondern wegen des attraktiven Angebots. Die Steaks vom schottischen Hochlandrind, die zur Weihnachtszeit in den Kühltruhen von Lidl lagen, konnten sich nach britischen Presseberichten mit denen der besten Metzger im Land vergleichen, kosteten allerdings weniger als die Hälfte. Aldi punktete mit walisischem Sirloin-Steak und Gourmet-Gorgonzola aus Italien.

Diese neue erwachte Liebe zu den Deutschen geht so weit, daß immer mehr Briten auch gerne für die deutschen Ketten arbeiten. Als im Januar bekannt wurde, daß in der ostenglischen Stadt Eastwood der Bau eines neuen Lidl-Marktes nach jahrelangem Widerstand der örtlichen Einzelhändler endlich genehmigt worden war, trafen bei Lidl England binnen Tagen 1.500 Bewerbungen ein – obwohl noch keine Stellen ausgeschrieben waren und der Markt nur auf dem Reißbrett existiert.

Die beiden führenden deutschen Discounter haben schon in den siebziger Jahren ihre weltweite Expansion begonnen – die allerdings so stattfindet, wie Aldi und Lidl immer und überall vorgehen: überlegt, fokussiert, heimlich, still und leise und stets an den örtlichen Gegebenheiten orientiert. Aldi und Lidl sind heute die größten und erfolgreichsten Discounter auf der ganzen Welt.

Das ist nicht nur in Deutschland, wo beiden Ketten in der Presse oft Häme und Kritik entgegenschlägt, so gut wie unbekannt. Es ist auch eine ganz erstaunliche Leistung, wenn man sich anschaut, wie es anderen kapitalstarken Lebensmittelhändlern bei ihrer internationalen Expansion ergangen ist.

Die französische Carrefour-Kette ist das größte Einzelhandelsunternehmen Europas und nach dem US-Giganten Wal-Mart das zweitgrößte weltweit. Dennoch hat sich die 1959 gegründete Firma in den vergangenenen 20 Jahren aus 19 fremden Ländern zurückgezogen – darunter die USA, Mexiko, Japan, Südkorea und die Schweiz. Tesco, Nummer drei der Welt, mußte nach Milliardenverlusten den US-Markt aufgeben.

Wal-Mart mußte 2006 den Versuch, in Deutschland Fuß zu fassen, endgültig begraben. Unvergessen ist dabei die aus den USA übernommene Ethik-Richtlinie, die den 12.500 deutschen Wal-Mart-Mitarbeitern untersagen wollte, mit Kollegen auszugehen oder eine Liebesbeziehung zu beginnen, wenn einer der Beteiligten den Arbeitsplatz des anderen „beeinflussen“ kann. Auch die Verpflichtung, selbst nur vermutete Verstöße über eine anonyme Telefonnummer bei Wal-Mart anzuzeigen, fand bei den Arbeitsgerichten kein Verständnis.

Britische Händler verlieren Marktanteile

Aldi und Lidl gehen hingegen auf nationale Traditionen ein und machen den jeweiligen einheimischen Handelsketten das Leben schwer. Wer jetzt denkt, daß der Erfolg dem EU-Binnenmarkt geschuldet ist, der irrt: Die beiden deutschen Discounter sind mittlerweile auch in Übersee erfolgreich. Während Rewe-Tochter Penny nur in sieben und Norma nur in vier EU-Ländern arbeitet, ist Aldi Süd mit 345 Filialen in Australien vertreten, obwohl das Mülheimer Familienunternehmen seinen ersten Markt dort erst 2001 eröffnete. Die Deutschen besitzen an der wichtigen Ostküste des fünften Kontinents bereits zehn Prozent Marktanteil. Lidl will dieses Jahr den ersten australischen Markt eröffnen. Die USA sollen 2018 folgen. Dort ist Aldi Süd seit 1976 vertreten, inzwischen werden 1.375 Märkte betrieben. Aldi Nord führt seine 435 höherpreisigen Geschäfte unter dem Namen Trader Joe’s und dem Schwerpunkt auf Bio-Waren. Obwohl Aldi bislang lediglich 1,7 Prozent Marktanteil am Lebensmittelhandel der USA besitzt, hat das Zweiergespann große Pläne: Drei Milliarden Dollar sollen investiert und die Zahl der Märkte bis 2018 um tausend aufgestockt werden – trotz mancher Zumutung für US-Kunden. Während Ikea nicht nur gratis Kaffee, sondern täglich um halb zehn ein kostenloses Frühstück mit Rührei, Würstchen und Bratkartoffeln bieten muß, um gegen Home Depot & Co. zu bestehen, gibt es bei Aldi und Trader Joe’s nicht einmal Plastiktüten umsonst. Selbst für Einkaufswagen besteht ein Quarter (25-Cent-Münze) Pflichtpfand.

Und aus heutiger Sicht ist kein Ende dieser Expansion in Sicht. Aldi und Lidl halten sich von schwierigen Märkten wie Japan und Südkorea oder gar gefährlichen Märkten wie China und Indien fern. Die Deutschen konzentrieren sich statt dessen auf rechtssichere, überschaubare Märkte und dabei wieder auf das untere Marktsegment. Diese Märkte rollen sie dann durch eine Verbindung des üblichen Standardsortiments mit ausgewählten regionalen Delikatessen und hochwertigen Weinen, was auch gutbetuchte Käufer anspricht, nach und nach und anfangs immer ziemlich still auf. Merken die örtlichen Wettbewerber dann, wie ihnen geschieht, haben sie oft bereits substantielle Marktanteile an Aldi und Lidl verloren.

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