© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Aus der Heimat vertrieben
In oberschwäbischen Papiergewittern: Das Jünger-Symposium mußte dieses Jahr nach Heidelberg ausweichen / Neuer Vorstand im Freundeskreis
Sebastian Hennig

Der Freundeskreis der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger veranstaltet seit 1999 am Palmsonntagswochenende ein Symposium in der Tagungsstätte der Stefanus-Gemeinschaft im Kloster Heiligkreuztal in Altheim bei Riedlingen. In berührender Weise verbindet sich dabei das Andenken an die Menschen mit dem seriösen Anspruch von Historie, Philosophie und Literaturwissenschaften. Im Jahr des hundertzwanzigsten Geburtstages von Ernst Jünger sah sich der Freundeskreis jetzt allerdings genötigt, in dessen Geburtsstadt Heidelberg auszuweichen. Die Stahlgewitter des Jahrhunderts konnten Ernst Jünger nichts anhaben. Nun wurde er von einem oberschwäbischen Papiergewitter noch einmal postum und symbolisch aus der Heimat vertrieben.

Den Anlaß der temporären Emigration kann fernab wohl niemand verstehen und versteht gleichwohl jeder, weil ähnliches sich hierzulande ständig und überall zutragen kann. Wie bei einer Zeitreise in die Bundesrepublik der achtziger Jahre ist Jünger noch einmal ins Fadenkreuz jenes fadenscheinigen Kreuzzugs der theoretischen Verfechter einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen die unerträglichen Gewalten der Geschichte geraten. Eine links-grüne Landesregierung bietet das Klima dafür.

Als diensthabender Verfolger betätigt sich Roland Reck, Herausgeber und Chefredakteur des regionalen Kostenlos-Magazins Blix, das im dreißig Kilometer von Wilflingen entfernten Aulendorf erscheint. Im Mai vergangenen Jahres hatte er einer verblüfften Leserschaft auseinandergesetzt, welches Ungeheuers da alljährlich gedacht wird, und forderte eine moralische Obduktion: „Der Zeitzeuge ist tot, aber sein literarisches Zeugnis ist wirksam. In welcher Weise, diese Frage ist ein weiterer Grund, sich mit dem Toten zu beschäftigen.“

Kampagne eines Lokaljournalisten

Zeitgleich hatte der Literatur-Forensiker seinen Beitrag zu einem Journal in der Hauptstadt des grün-regierten Bundeslandes durchgestochen. Gegenüber den aufgeklärten Städtern konnte das Ärgernis noch deutlicher angesprochen werden: „Seine Kriegstagebücher machten den fanatischen Antidemokraten zum berühmten Schriftsteller.“ Das Machwerk war wirkungsvoll aufgemacht und mit einer virtuosen Karikatur des rüstigen Greises illustriert: ein stahlbehelmter Ernst Jünger mit Orden auf dem Rollkragenpullover.

Während einer Veranstaltung zum Jahrestag des Weltkriegsbeginns wurde in Biberach der Beitrag zudem als Sonderdruck unter das Publikum gebracht. Wer sonst nicht viel liest und nun das zu lesen bekommt, der erhält den Eindruck, neben jener „Rattenlinie“, die NS-Chargen nach Südamerika geleitete, hätte eine ähnliche Käferlinie den Antidemokraten Jünger direkt in die Schwäbische Alb geführt.

In der Juni-Ausgabe von Blix sollte das Gewitter dann in Form von Leserbriefen abziehen. Mit der Überschrift „Zur Schullektüre empfohlen“ wurde der Angriff nachjustiert und zielte nun geradewegs auf den letzten Privatsekretär, Mitbegründer des Freundeskreises und rührigen Organisator der Symposien, den Schulleiter des Kreisgymnasiums Riedlingen, Oberstudiendirektor Georg Knapp. Eine andere Zielscheibe bot der frühere CDU-Landrat und Jünger-Freund Wilfried Steuer. Beide meldeten sich, getreu des wohl bekanntesten Jünger-Diktums von der Niveaulosigkeit jeder Selbstkommentierung, in der Angelegenheit öffentlich nicht zu Wort.

Vorträge von Kennern vor weniger Teilnehmern

Dafür hat sich der dritte namentlich Genannte, der Jünger-Biograph, Herausgeber und Freundeskreis-Vorstand Professor Helmuth Kiesel, zu einem sedierenden Briefwechsel mit dem Angreifer herabgelassen, der ebenso abgedruckt wurde wie der gescheite Brief von Frau Jaeger aus Riedlingen, die sich zum letzten Symposium ein kühnes Versduell mit dem Deutschlandfunk-Literaturkritiker Denis Scheck lieferte. Weit weniger gehalt- und mehr stimmungsvoll äußert sich der pauschale Zuspruch, auf den sich die wohlfeile Provokation verlassen konnte. Von „Grausen und Gänsehaut“ bei der Jünger-Lektüre ist da wieder einmal die Rede: „Als ‘Gegengift’ zu Jünger empfehle ich Wolfgang Borchert ‘Daußen vor der Tür’.“ Ob der Betreffende beide Werke jüngst noch einmal vergleichend zu lesen versucht hat, darf bezweifelt werden. Es spricht aus seinen Worten weniger Erfahrung als Meinung.

In der Folge der Kampagne ist Georg Knapp nun vom Vorstand des Vereins zurückgetreten. Kleinmut wird man ihm kaum vorwerfen können. Hatte er doch in der Vergangenheit immer wieder einmal Gegenwind standzuhalten gehabt und stets virtuos und verbindlich auch Unstimmigkeiten innerhalb des heterogenen Freundeskreises moderiert. Nach sechzehn Jahren wird der vielbeschäftigte Mann den unerfreulichen Zwischenfall als Gelegenheit genommen haben, den Arbeitsdruck zu entlasten. Gleichwohl war er auch in Heidelberg zugegen.

Dort wurden die Vorträge vor deutlich weniger Teilnehmern als sonst in einem gnadenlos nüchternen Seminarraum abgehalten. Den schulflüchtigen Autor der „Zwille“ hätte dieser Ort in eine unstillbare Panik versetzt. Einziger Trost des untröstlichen Interieurs war die rotsandsteinerne Ruine des Heidelberger Schlosses, die geradewegs in die Fenster des Palais Boisserée am Karlsplatz herabschaute.

Das Treffen beschränkte sich auf zwei Tage. Dadurch war auch die Anzahl der Vorträge geringer, nicht jedoch deren Qualität, für die erwiesene Kenner bürgten. Der Literaturwissenschaftler Matthias Schöning, Herausgeber eines Handbuchs zu Ernst Jünger (JF 43/14), bilanzierte die aktuelle Forschungslage zu Ernst Jünger. Jörg Magenau referierte über dessen „Vexierbilder der Geschichte“. Andreas Geyer rückte die kurzen, aber schwerwiegenden Kriegserlebnisse des Bruders nahe.

Nichtssagender Briefwechsel mit Martin Heidegger

In einem Drittel der Beiträge stand Friedrich Georg im Mittelpunkt, nachdem zuletzt der Eindruck entstanden war, daß Ernst Jüngers Bruder eigentlich Martin Heidegger heiße. In diese Richtung steuerte ein weiteres Mal der Vortrag der rumänischen Philosophin Alina Noveanu. Das forderte den Widerspruch von Detlev Schöttker heraus. Der Literaturprofessor aus Dresden gab zu bedenken, wie sehr beide Denker aneinander vorbeiredeten. Jüngers Schreiben sei stets an die konkrete Situation gebunden und gründe in einer völlig anderen Form der Autorschaft. Bezeichnend sei, daß es keinen nichtssagenderen Briefwechsel von ihm gebe, als jenen mit Heidegger.

Der Professor für Wirtschaftsethik an der Universität Antwerpen Hans Verboven erhellte Ernst Jüngers Flanderneinsatz, sein Bild vom Land und die Rezeption seines Werkes dort. Die flämischen Intellektuellen hätten ihn vor allem über die literarischen Werke und den „Arbeiter“ wahrgenommen, die Kriegsbücher hätten keine Rolle gespielt.

Freundeskreis wählte neuen Vorstand

Abschluß und Höhepunkt war der Vortrag von Godehard Schramm über den Roman von Friedrich Georg Jünger „Der erste Gang“ von 1954. Dem fränkischen Dichter wurde 1987 für seinen Band „Allee nach Königsberg“ der freundliche Zuspruch Ernst Jüngers zuteil. Mit Friedrich Georg Jünger beschreibt Godehard Schramm abermals einen launigen weiten Bogen in den Osten Europas, nach Galizien und Lodomerien. Dabei erscheint der Freiherr Mannerheim in der Uniform eines Hauptmanns der russischen Kavallerie.

Zum neuen Vorsitzenden des Jünger-Freundeskreises wurde Alexander Pschera gewählt. Der 50jährige Germanist, Autor und Übersetzer veröffentlichte unter anderem Arbeiten zu Ernst Jünger im Verlag Matthes & Seitz; sein Stellvertreter ist Thomas Bantle, Verlagsleiter bei Koehler & Mittler in Hamburg. In dem traditionsreichen Verlagshaus E. S. Mittler & Sohn war neben anderen Jüngers erstes Werk „In Stahlgewittern“ erschienen (nach einer kleinen Auflage im Selbstverlag).

Mit diesem neugewählten Vorstand soll das Symposium im nächsten Jahr wieder in Heiligkreuztal stattfinden. Die angestrebte Überführung des Freundeskreises in eine reputierliche literarhistorische Gesellschaft, ohne darüber die Freundschaft einschlafen zu lassen, trifft dort auf die günstigsten Voraussetzungen. Die Unterbringung auf dem Klostergelände, die gemeinsamen Mahlzeiten im Refektorium und Spaziergänge durch den Klostergarten verleihen dem Treffen einen besonderen Zusammenhalt.

www.juenger-freundeskreis.de

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