© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Schmutz ist ein Unort
Sogar der Frühjahrsputz ist politisch: Was die Betätigung mit Schwamm und Essigreiniger mit unserer Befindlichkeit zu tun hat
Christian Dorn

Das Fazit des erkenntnistheoretischen Philosophen Karl Popper „Alles Leben ist Problemlösen“, ergänzt um die Weisheit der Putzfrau Poppova: „(...) und Kampf gegen den Schmutz!“, vor etlichen Jahren auf einer Postkarte in Umlauf gebracht, mutierte seither zu einer ungeahnten intellektuellen Herausforderung. Deutlich wird dies in der brillanten Analyse, welche die Philosophieprofessorin Nicole C. Karafyllis im ambitionierten Kulturverlag Kadmos publiziert hat. Unter dem verheißungsvollen Titel „Putzen als Passion“ behauptet sich die luzide Reflexion als „ein philosophischer Universalreiniger für klare Verhältnisse“, wie es der Untertitel vollmundig verspricht.

Tatsächlich dürften Ansage und Inhalt selten so deckungsgleich auftreten wie hier. Der an der Technischen Universität Braunschweig lehrenden Autorin Karafyllis gelingt es auf erfrischend unkonventionelle Weise, sich dem weitgehend tabuisierten Phänomen des Schmutzes zu nähern, der heute – in der Frage des Umgangs damit – vor allem ein Problem der gehobeneren Kreise ist. So zeigten die Leute, die Putzfrauen beschäftigen, beim Putzen die größte Bildungslücke.

Dabei betont Karafyllis die gesellschaftspolitische Dimension des leidenschaftlichen Putzens, dessen Modus ein „Handeln“ ausdrückt: „Wer sich dazu durchringt, zu seinem Vorgesetzten zu sagen ‘Ich mache einen Frühjahrsputz und brauche deshalb (...) eine Woche Urlaub’ ist ein politischer Mensch. Denn er bringt etwas zur Sprache, über das sonst nicht geredet wird und zeigt, daß das Private eben doch politisch ist.“ Leider hätten die Gesellschaftstheoretiker bislang darüber geschwiegen, daß unsere Konsumgesellschaft de facto eine Putzgesellschaft sei, liege doch heute den meisten Bedienungsanleitungen eine „Pflegeanleitung“ bei, die letztlich eine Drohung sei, denn: „Wenn der Schmutz haftet, haftet niemand mehr für die Produktgarantie.“

Universalismusproblem versus Universalreiniger

Freilich ist nicht ganz klar, welcher „Putztyp“ sich hier besonders gefordert sieht. Schließlich gilt es zu unterscheiden: Da ist der „Hygieniker“, der die Keimfreiheit als problematisches Ziel begreift, der „Funktionalist“, der nur putzt, was gebraucht wird, der „Ästhet“, vor dessen Auge nur die Oberflächen glänzen müssen und der Typ „Psychoanalytiker“, dessen Credo lautet: „Der verborgene Schmutz muß ans Tageslicht“. Nicht zu vergessen ist der medial vermittelte Typus „Tatortreiniger“, der das konstitutive Moment der Fahndung nach dem Schmutz verdeutlicht.

Der unterhaltsame Stil der Autorin macht die Annäherung an den gefürchteten Topos – der eigentlich „utopisch“ sei, da dem Schmutz kein Platz zukomme – zugleich zur vergnüglichen Lektüre. Auch wenn Karl Poppers Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ nicht als Analogie herangezogen wird, weist der Index des Buches eine illustre Reihe von Referenzen auf, die allein schon viel über die universalistische Annäherung an das Phänomen verraten, etwa beim Buchstaben T: „Toaster, Tod, Toilette, Toilettensitz, Toleranz, Transparenz, Tucholsky (Kurt), Türspione.“ Bezeichnenderweise hat das „Universalismusproblem“ in Karafyllis Studie dieselbe Anzahl an Seitenverweisen wie der „Universalreiniger“.

Dies beweist einmal mehr, daß Philosophen mit Putzenden viel verbindet: „Sie ordnen und sortieren erst, betrachten dann alles von allen Seiten und bearbeiten es, um die Lage komplizierter zu machen, als sie vorher war.“ Generell gehe es beiden erstens darum, dem „schönen Schein“ der Oberfläche auf den Grund zu gehen. Im zweiten Schritt lernten sie, daß die angebliche Lösung des Problems nicht in der Beseitigung desselben liegt, sondern darin, es genügend hoch verdünnt („gelöst“) und damit unsichtbar zu machen. Dies impliziere das Eingeständnis, daß „Reinheit“ eine Illusion bleiben müsse, nur „Sauberkeit“ sei zeitweise herzustellen. Bekannte Werbelosungen wie „Nicht sauber, sondern rein“ oder „Mit einem Wisch ist alles weg“ werden hier anhand minutiös geschilderter, an Sisyphos gemahnender Reinigungsszenarien als heillose Versprechungen entlarvt.

In Wirklichkeit, so das Plädoyer der Philosophin Karafyllis, sei das Putzen eine „Kulturtechnik“ wie Schreiben und Kochen. Das Bewußtsein hierfür sei aber schwer zu öffnen, da das Putzen den Charakter des Unwirklichen bekommen habe, dem augenscheinlich nur noch durch die Militarisierung des Haushalts begegnet werden kann, was wohl in der Bewaffnung mit zahllosen Sprühpistolen ablesbar ist. Diese Form halluzinierter „Selbstermächtigung“ dürfte von jener, die Bundespräsident Joachim Gauck immer vorschwebte, wohl mindestens einen Frühjahrsputz entfernt sein.

Nicole C. Karafyllis: Putzen als Passion. Ein philosophischer Universalreiniger für klare Verhältnisse. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2015, broschiert, 214 Seiten, 14,90 Euro

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