© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

„Die Welt ist aus den Fugen geraten“
Einwanderung: Nach dem Brand in der Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz hat sich die Asyldebatte weiter verschärft
Lion Edler

Das Auswärtige Amt beschäftigt ein ausgebrannter Dachstuhl in der deutschen Provinz. Der Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft im sachsen-anhaltinischen Tröglitz, der seit Ostern die Republik beschäftigt, gefährdet nach Ansicht von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) das Ansehen Deutschlands. „Die Ereignisse von Tröglitz sind eine Schande“, sagte er der Welt am Sonntag. Steinmeier weiter: „Wir sollten nicht überrascht sein, daß auch bei unseren Partnern in der Welt mit großer Sorge registriert wird, wenn in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte brennen, und daß genau verfolgt wird, wie die deutsche Gesellschaft darauf reagiert.“

Möglicherweise haben auch manche Medienberichte zur Sorge im Ausland beigetragen. Obwohl die Polizei noch nicht weiß, ob das Flüchtlingsheim tatsächlich von Fremdenfeinden angezündet wurde

(JF 16/15), wird der Ton immer schriller. Ein „Tagesschau“-Kommentar sprach gar von „ausländerfeindlichem Pack“ – und spielte damit auf die Pegida-Bewegung an. Und der Berliner Kurier titelte: „Studie: In Sachen-Anhalt leben die fremdenfeindlichsten Deutschen – Willkommen im Land der Nieversteher“.

Zu diesen gehört wohl auch der Chef des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt, Jürgen Schmökel, der für die Ermittlungen zum Brandanschlag zuständig ist. Zwar betont Schmökel, daß das Hauptaugenmerk der Ermittlungen auf Fremdenfeindlichkeit liege. Jedoch: „Es kann aber überhaupt nicht ausgeschlossen werden, daß eine politische Richtung diskreditiert werden soll“, sagte Schmökel der Mitteldeutschen Zeitung. Mit anderen Worten: Bislang kann nicht völlig ausgeschlossen werden, daß Linksextremisten das Gebäude in Brand gesetzt haben könnten, um tatsächliche oder vermeintliche „Rechte“ zu diskreditieren. Mit seiner Spekulation sorgte der LKA-Mann in Politik und Medien für einige Aufregung. „Wenn ein Polizeichef in Sachsen-Anhalt öffentlich darüber spekuliert, daß die Brandstiftung in Tröglitz ja auch zur Diskreditierung einer politischen Richtung dienen könne, ist das keine Unvoreingenommenheit, sondern verrät viel über dessen Weltsicht“, sagte der Chef der Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert, dem Tagesspiegel. Die Äußerungen hätten nach Ansicht Gallerts als abwegig ignoriert werden können, „wenn wir nicht die traurigen Erfahrungen mit dem polizeilichen Versagen beim NSU gemacht hätten“. Auch der innenpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Sebastian Striegel, fragte sich, ob Schmökel „aus dem NSU tatsächlich gelernt hat“. Solange es „keine belastbaren Hinweise in dieser Richtung gibt“, verbiete es sich, „solche Sprüche zu machen“.

Vor dem Hintergrund des Anschlages in Tröglitz ringt die Politik unterdessen um eine Lösung der Asylproblematik, die nach dem Brandanschlag wieder in den Fokus rückt. SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach sich dafür aus, die Kommunen, die dafür zuständig sind, die Asylbewerber unterzubringen, finanziell zu entlasten. Etwa eine Milliarde Euro hatte der Bund dafür bislang angekündigt – jeweils 500 Millionen Euro in diesem und im kommenden Jahr. Zuwenig, glaubt Gabriel. „Es darf nicht sein, daß die Kommunen am Ende nicht mehr für ihre originären Aufgaben aufkommen können“, sagte der Wirtschaftsminister. Denn gerade darauf würden manche „ihr Süppchen“ kochen. „Dem müssen wir den Boden entziehen. Ansonsten drohen soziale Spannungen, die weit über das hinausgehen, was wir bisher erlebt haben.“ Mit einer Entspannung der Lage rechnet Gabriel nicht: „Die Welt ist so sehr aus den Fugen geraten, daß wir nicht erwarten können, daß sich das Flüchtlingsproblem in den nächsten Jahren von selbst erledigt.“

Beim Landrat des Burgenlandkreises, zu dem Tröglitz gehört, rannte Gabriel damit offene Türen ein. In seinem Landkreis seien für dieses Jahr elf Millionen Euro für Asylbewerberleistungen veranschlagt und damit mehr als dreimal soviel wie 2014, sagte Götz Ulrich (CDU) der Welt. Da sich der Fehlbetrag im Haushalt somit von fünf auf zehn Millionen Euro verdopple, entstehe „ein gefundenes Fressen für die Propaganda der NPD und anderer Rechtsextremisten“. Er könne daher die Bundespolitik nur dringend um zusätzliche Mittel bitten. Der Städte- und Gemeindebund schlägt in die gleiche Kerbe. „Wenn in den Städten plötzlich Geld für Sport, Bildung und Kultur fehlt, weil es für Flüchtlinge gebraucht wird, führt das nicht zu einer höheren Akzeptanz“, warnte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg in der Passauer Neuen Presse. Diese Situation könne „zum sozialen Sprengstoff werden“.

Wie zugespitzt der Ton in der Asyl-debatte mittlerweile ist, mußte Bodo Ramelow (Linkspartei) erfahren. Nach mehreren Morddrohungen hat das LKA die Sicherheitsvorkehrungen für den Thüringer Ministerpräsidenten erhöht.

Foto: Abgebrannter Dachstuhl in Tröglitz: Polizei schließt auch linksextreme Täter nicht völlig aus