© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Blühende Geschäfte mit dem Elend anderer
Sklaverei: Ob auf den Feldern Mauretaniens oder in den Minen Indiens – weltweit sorgt ein Heer von 30 Millionen Leibeigenen für Profit
Marc Zoellner

Biram Dah Abeid kennt die Gefängnisse Nouakchotts nur zu gut. Zweimal saß der Mauretanier bereits für längere Zeit ein, wurde einmal vom Präsidenten begnadigt, ein weiteres Mal von diesem mit der Todesstrafe bedroht. Den „Abrégé de Khalil“ habe er verbrannt, lautete die wütende Begründung des Machthabers Mohamed Aziz, einen in Mauretanien als katechetisch geltenden, den Koran interpretierenden Text, welcher bis heute auch fatalen Einfluß auf die Gesetzgebung des westafrikanischen Landes besitzt. Denn neben der Beschreibung üblicher islamischer Riten rechtfertigt dieser Abriß eines: die Versklavung der dunkelhäutigen Einwohner Mauretaniens durch die Minderheit der arabisierten Berber.

Regierungen schauen

gerne weg

Was Abeid treibt, ist die Geschichte seiner Familie: Bereits seine Großeltern wurden als Sklaven geboren. Sein Vater, dessen Besitzer ihm im Mutterleib die Freiheit schenkte, mußte sich von seiner erster Frau trennen, einer Sklavin, welche er nicht freikaufen konnte. 2007 gründete Abeid die „Initiative für die Wiederauferstehung der Abolitionistenbewegung“ (IRA). Drei Jahre später kam er zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt. Bei einer Demonstration zur Freilassung zweier entflohener Sklavinnen aus dem Gefängnis schlug er einen Polizisten und wurde selbst verhaftet.

„Ich wollte sogar ins Gefängnis“, erzählt der Historiker im Gespräch mit dem New Yorker. „Wenn die Leute dann nämlich fragten, warum ich im Gefängnis bin, werden sie auch erfahren, daß dort zwei entlaufene Sklavenmädchen sind und die Regierung sich weigert, deren Besitzer hinter Gitter zu bringen.“

Sklaverei ist kein mauretanisches Phänomen. Weltweit, so schätzt die in Australien ansässige Nichtregierungsorganisation Walk Free Foundation, wurden 2014 rund 36 Millionen Menschen in Leibeigenschaft beziehungsweise unter sklavenähnlichen Bedingungen ökonomisch ausgebeutet. Dieselbe Organisation recherchierte in ihrem Vorjahresbericht, dem „Global Slavery Index“, noch circa 30 Millionen Sklaven auf sämtlichen Kontinenten.

Allein Indien zählt, trotz seines Rufs als größte Demokratie der Erde, über 14 Millionen Sklaven. Massenhaft werden auf dem Subkontinent zumeist Kinder und Jugendliche zu Schwerstarbeit in Bergwerken und Steinbrüchen gezwungen. Von der Landwirtschaft über die Textilverarbeitung bis hin zum Baugewerbe verzeichnet Indien gerade wegen des kaum enden wollenden Zustroms an Leibeigenen aus den untersten Kasten enorme Wachstumsraten. Ganze 1,2 Prozent der Bevölkerung des Milliardenstaats gelten mittlerweile als versklavt – mit rapide steigender Tendenz.

Mit zwei Millionen Sklaven zählt auch Pakistan zu den am meisten von der Sklaverei betroffenen Nationen der Welt. Durch deren private Verschuldung, erklärt die Foundation in ihrem Jahresbericht, würden hier Arbeiter an ihre Dienstherren dauerhaft gebunden und ebenso wie im indischen Nachbarstaat vorrangig in ländlichen Gegenden sowie im Handwerk ausgebeutet.

Muslimische Berber

drangsalieren Schwarze

Die rechtsstaatliche Verantwortung für den Schutz der fundamentalen Freiheiten ihrer Bürger schob die pakistanische Regierung, sich dieser Problematik wohlbewußt, in einer Gesetzesnovelle von 2010 an die jeweiligen Lokalbehörden ab. Die grassierende Korruption unter den Provinzbeamten verhindert seitdem jedoch eine effektive Bekämpfung der Sklaverei im Land.

Überhaupt scheint abgesehen vom Fernen Osten kaum noch eine asiatische Volkswirtschaft ohne Zwangsarbeit auszukommen. Ein besonderer Präzedenzfall ist Usbekistan. Der rund 30 Millionen Einwohner zählende zentralasiatische Binnenstaat gilt als drittgrößter Baumwollexporteur der Welt. Gut 80 Prozent des usbekischen Ackerbodens werden für den Anbau dieser Kulturpflanze verwendet.

Als primäre Stütze des usbekischen Finanzhaushalts ist der Baumwollanbau von daher auch bis heute staatlich monopolisiert. Verkaufspreise und Abgabemengen werden von den Behörden streng geregelt. Um eine sichere Ernte zu gewährleisten, werden alljährlich im September rund fünf Millionen Usbeken, zumeist Schüler und Studenten, in das fruchtbare Ferghanatal im Osten des Landes gefahren, um für die kommenden drei Monate auf den dortigen Feldern ihren Dienst zu verrichten.

Lohn gibt es für diese Arbeit nicht: Mit Knebelverträgen gegen die Eltern, welche in die „freiwillige Arbeit“ ihrer Kinder einzuwilligen haben, gibt sich der usbekische Staat, der die Kinderarbeit nach internationalem Druck 2012 offiziell verboten hat, zumindest den Anschein von Legalität. Insgesamt, so konstatiert die Walk Free Foundation die derzeitige Situation in Usbekistan, würden rund 1,2 Millionen Menschen sogar dauerhaft in landwirtschaftlicher Sklaverei gehalten. Auf ihrem „Global Slavery Index“ belegt das Land somit einen traurigen zweiten Platz.

Doch nirgends ist Sklaverei so evident wie in Mauretanien: Zwischen vier und zwanzig Prozent der Bevölkerung gelten hier als versklavt. Mit ihren Arbeiten in Haushalten und auf den Feldern erwirtschaften sie einen ansehnlichen Wohlstand für ihre Herren, die oft, so Abeid, „selbst keinen Finger mehr rühren“.

Zwar wurde die Sklaverei in Mauretanien 2007 verboten, die rigorose Auslegung der mauretanischen Koraninterpretationen steht in weiten Teilen der Bevölkerung jedoch höher als die offizielle Rechtsprechung. „Die arabisch-berberische Minderheit beherrscht dieses Land ebenso wie die Buren Südafrika während der Apartheid“, erklärt Abeid. „Diese Leute leiten den Staat, die Armee, die Polizei und die Justiz. Sie wollen die Sklaverei nicht auslöschen, sondern erhalten. Denn sie wollen so gleichzeitig auch ihre Lebensweise erhalten.“