© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Spiel um die Macht
Was man von Politikern zu wissen glaubt: Die US-Serie „House of Cards“ läuft in der dritten Staffel
Jo Harpen

Die Ankündigung Hillary Clintons, sich um die nächste demokratische Präsidentschaftskandidatur in den Vereinigten Staaten bewerben zu wollen, wird viele Fernsehzuschauer rund um den Erdball verblüfft haben. Will denn Frank Underwood nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren?

Francis „Frank“ Underwood, der skrupellose Machtpolitiker, der für den begehrten Job im Oval Office im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht, ist eine Kunstfigur, die im Mittelpunkt der Fernsehserie „House of Cards“ (Kartenhaus) steht, und die auch in Deutschland populär ist. Sie wird mittlerweile in der dritten Staffel ausgestrahlt. Produziert wurde sie im Auftrag des Online-Videodienstes Netflix, der vor „House of Cards“ wenig bekannt war, inzwischen aber ganz wesentlich dank der Eskapaden des von Kevin Spacey herausragend dargestellten Frank Underwood weltweit über 40 Millionen Abonnenten gewinnen und mit ihnen 1,1 Milliarden Dollar Umsatz erzielen konnte.

Um was geht es? Der Kongreßabgeordnete Underwood, Mehrheitsführer der Demokratischen Partei, hofft darauf, nach dem Wahlsieg seiner Partei vom neuen Präsidenten das Amt des Außenministers übertragen zu bekommen. Als ihm dies verweigert wird, beschließt der düpierte Politiker, sein eigenes Spiel um die Macht zu spielen. Nach oben, ohne Rücksicht auf Verluste, heißt fortan die Devise für Underwood, der unterstützt von seiner Frau Claire (Robin Wright) mit größtmöglichem Zynismus und ohne ein lästiges Gewissen alles zeigt, was man schon immer von Politikern zu wissen glaubte. In den USA noch mehr als hierzulande trauen viele Menschen Politikern alles Schlechte zu. Kaum sind diejenigen, die man gewählt hat, im Zentrum der Macht angekommen, denken die frisch gewählten Volksvertreter nur noch an sich selbst, lautet die Annahme. Und tatsächlich lassen sich unzählige Beispiele für unmoralisches Verhalten und unbedingtes Machtstreben im realen Washington finden. Etwa der frühere republikanische Präsident Richard Nixon, der in die Wahlkampfzentrale der Demokraten einbrechen ließ, oder der demokratische Präsident Bill Clinton, der im Oval Office Sex (oder nach seiner Definition so etwas Ähnliches) mit einer Praktikantin hatte.

All solche Dinge vereint Francis Underwood in seiner Person und noch viel mehr. Es ist die Vorstellung eines durch und durch unmoralischen Politikers, der weder vor Erpressung noch vor billigster Heuchelei und letztlich nicht einmal vor einem Mord zurückschreckt, wenn es nur seinen Zielen dient. Mit seiner ehrgeizigen Gattin Claire ist er ein Zweckbündnis eingegangen, das mit den Vorstellungen, die man gemeinhin von einer Ehe pflegt, nichts zu tun hat. Er hat Sex mit einer jungen Journalistin, die im Gegenzug vertrauliche Informationen erhält und verbreitet, die wiederum Underwoods Karriere förderlich sind. Seine Frau stört das nicht, ja sie plaudert mit Underwood lässig am Telefon über den Ehebruch. Alles wird dem großen gemeinsamen Ziel untergeordnet.

Die Parallelen zwischen den fiktiven Underwoods und den realen Clintons sind dabei unübersehbar. Leser von Boulevardmedien wissen auch in Deutschland, daß Hillary Clinton dem mächtigsten Ehemann der Welt einst ein Buch an den Kopf geknallt und ihn vor seinen Mitarbeitern lautstark zusammengefaltet haben soll, nachdem dieser seine theatralische Sex-Beichte aufgeführt hatte. Aber deshalb scheiden lassen? Natürlich nicht, denn Teil zwei der Clinton-Saga stand und steht ja noch aus. Nun rüttelt Hillary am Tor des Weißen Hauses und will da rein, um es mit den Worten eines früheren deutschen Kanzlers zu beschreiben.

Kulturell interessant ist dabei auch, daß Underwood ein durchtriebener Halunke ist, dessen finstere Eigenschaften hierzulande zweifellos einem Republikaner zugeordnet würden. Doch der Schurke ist Demokrat – übrigens ebenso wie der fiktive Präsident Bartlet (Martin Sheen) in der weniger dramatischen und gleichwohl sehenswerten Präsidenten-Serie „The West Wing“. Der war ein durch und durch guter Mensch, anders als sein „Nachfolger“. Und natürlich auch Demokrat. Spötter könnten meinen, in Hollywood gehe man wohl inzwischen davon aus, daß US-Präsident nur noch ein Demokrat werden kann.

Wer einen Blick auf skrupellose Strippenzieher der Macht werfen und dabei noch bestens unterhalten werden will, kommt an „House of Cards“ kaum vorbei. Die allzu schamlose Überzeichnung der Figur Underwood, der sich zwischendurch mit sarkastischen Bemerkungen immer wieder direkt an die Zuschauer wendet, könnte allerdings in Deutschland auch manche abstoßen. Zumal es zum gleichen Thema durchaus schon intelligentere Kost zu sehen gab. Die dänische TV-Serie „Borgen“ zum Beispiel, in der politischer Alltag, Machtkämpfe und Intrigen um die Politikerin Birgitte Nyborg den Mittelpunkt der Handlung bilden. Hier werden ebenso üble Tricks angewendet, es werden auch Schmuddel-Geschichten über politische Konkurrenten an Journalisten „durchgestochen“, aber es entfalten sich logisch nachzuvollziehende Prozesse, wie sie in der Politik unserer Zeit tatsächlich existieren.

Oder in Deutschland der Sechsteiler „Die Affäre Semmeling“ von Regisseur Dieter Wedel, ausgestrahlt 2002 vom ZDF, der sich mit politischen Ränkespielen rund um einen SPD-Bürgermeister im Hamburger Rathaus beschäftigt. Großartig wurde da erzählt, wie persönliche Beziehungen Einfluß auf das Geschehen nehmen und wie im Hintergrund erfahrene Strategen, unsichtbar für die Öffentlichkeit, die Fäden ziehen.

„Borgen“ und „Semmeling“ sind deutlich näher an der Wirklichkeit in einer parlamentarischen Demokratie als das amerikanische „Kartenhaus“ (übrigens der Titel des Romans von Michael Dobbs aus dem Jahr 1989, auf dem die Serie basiert). Beide zeigen Politiker als Menschen mit Schwächen und auch als machtgierige Karrieristen. Doch im Unterschied zu „House of Cards“ gibt es bei den europäischen Produktionen auch immer mal wieder ein paar „Gute“, die ihre Aufgabe als Parlamentarier ebenso ernst nehmen wie den Willen ihrer Wähler. Und solche gibt es ja auch im wirklichen Leben. Wenigstens einige …

Foto: Frank und Claire Underwood (Kevin Spacey, Robin Wright) in der US-Serie „House of Cards“: Parallelen zu Bill und Hillary Clinton