© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Volkskunstkollektiv
Tanzfilmklamotte: „Dessau Dancers“ spielt in der DDR der achtziger Jahre
Sebastian Hennig

Die erinnerte DDR ist ein Reich, nicht von dieser Welt; es läßt sich nicht ins Grab senken. Seit der Wiedervereinigung vor 25 Jahren pflegen Kulturbetrieb und Medien ihre Reminiszenzen an den Untoten. Nach „Sushi in Suhl“ bekommen wir nun eine weitere dieser staunenswerten DDRiaden erzählt. Diesmal geht es nicht um Wasabi und Geishas, sondern um Breakdance und B-Boys.

Die hatten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in der DDR ihre große Zeit. Es war zugleich die Zeit der erfolgreichen Integration jugendlicher Kulturschaffender in die realsozialistische Gesellschaft. Die empirischen Studien des Zentralinstituts für Jugendforschung in Leipzig hatten die wissenschaftliche Expertise für einen temporären sozialistischen Generationsfrieden geliefert. Als Folge der Auswertung schossen nun Kulturhäuser und Jugendklubs aus dem Boden. Rebellische Reflexe, für die ein jugendlicher Aktivist Jahre vorher geschurigelt, ins Gefängnis und in den Westen gedrängt wurde, konnte er etwa ab 1985 unter dem Dach der sozialistischen Jugendorganisation ausleben. Die Erfolgsbiographien von Neo Rauch, Durs Grünbein und Rammstein alias Feeling B fanden in diesem Wohlwollen den staatlich alimentierten Anlauf, von dem sie in den neunziger Jahren so weit springen konnten.

Die universale Wirksamkeit der US-amerikanischen Leitkultur trieb von der anderen Seite ein doppelt-richtiges Leben im falschen Leben an. Der US-Hiphop-Film „Beat Street“ lief 1985 auch in den Flohkisten von Saßnitz bis Zittau. Dessen Produzent Harry Belafonte war zum „Festival des politischen Liedes“ in Ost-Berlin im Palast der Republik aufgetreten. Damit können die jungen Breakdancer aus Dessau im Film den Spieß umdrehen. Vor der mißtrauischen Obrigkeit berufen sie sich auf den Street style der „Armen und Geknechteten“ und bezeichnen Belafonte als einen „Freund der DDR“.

Mit hochgestreckter Faust stehen sie im Modus antiimperialistischer Solidarität vor den Genossen der Volkspolizei. Ihr Sporttrainer erhält bald darauf den Auftrag, die Gruppe zu domestizieren. Eine Übungshalle und ein Tourbus wird gestellt und die „Breakbeaters“ vor einer Jury als Volkskunstkollektiv bestätigt. Alex (Oliver Konietzny), Frank (Gordon Kämmerer), Matti (Sonja Gerhardt) werden mit Michel (gespielt vom Star der deutschen B-Boy-Szene, Sebastian „Killa Sebi“ Jäger) zu einer erfolgreichen Gruppe, die zuletzt an Kabale und Liebe anläßlich eines Fernsehauftritts zerbricht.

Was „ein mitreißender und bewegender Tanzfilm über Anpassung, Auflehnung und die erste große Liebe“ sein soll, ist allzuoft affektiert und überauthentisch bis zur Unglaubwürdigkeit. Der sächsische Komiker Wolfgang Stumph bleibt auch im Lustspielfilm das unerfreuliche DDR-Gewächs, ebenso der Entertainer von der traurigen Gestalt, Wolfgang Lippert, der sich kurz selbst darstellen darf.

Paradoxerweise verkörpert ausgerechnet der Kieler Rainer Bock die Ambivalenz jener Zeit am überzeugendsten. Als Sporttrainer Hartmann Dietz dressiert er die Jugend: „Ab in die Reihe, sonst macht ihr Liegestütze, bis ihr kotzt.“ Der vielerprobte Stasi-Mann, den er schon in „Barbara“ und „Zwei Leben“ verkörperte, hat das Zeug zum eigentlichen Sympathieträger dieser handlungsträgen Tanzklamotte. Seinen Vorgesetzten versichert er über die Eleven: „Wenn ich das will, dann zucken die vollsynchron.“ Der hinterhältige, aber fachlich versierte Sportsfreund versucht zum persönlichen Kameraden der Gruppe aufzuschließen.

Der Historiker und Anglist Leonard Schmieding promovierte 2011 über den Hiphop in der DDR. Er begleitete die Entstehung des Films als Fachberater und konnte wenigstens etwas auf die Plausibilität der Filmszenen einwirken. Er gibt zu bedenken, das Anliegen eines Spielfilms bestehe nicht darin, „historischen Stoff korrekt darzustellen“. Vielmehr liege die Herausforderung darin, „sich als Produzent bewußt zu machen, daß man durch den Beitrag des Films aktiv an der Geschichtskultur in Deutschland teilnimmt“.

Dieser Beitrag hat allerdings keinen guten Geschmack. Das Setdesign ist eigentlich ein Bühnenbild. Da ersteht eine zweihundertprozentige DDR. Für die Interieurs fanden die Filmemacher im Kölner Rathaus die entsprechende Aura vor. Wo die Schautänzer ihre Kräfte auf offener Straße messen, muß im Hintergrund eine alte Frau in Kittelschürze gerade ihre sommers auf den Bürgersteig geschütteten Kohlen in den Emaille-Eimer sammeln. Etwas weniger eindeutig wäre glaubhafter gewesen. Andreas Dresen hat das mit „Als wir träumten“ vorgeführt (JF 10/15). Dort atmeten die Lokalitäten echte Atmosphäre. In „Dessau Dancers“ wirken die Hintergründe zuweilen wie auf Leinwand gemalt.

Regisseur Jan Martin Scharf betont, es ginge ihm um den Konflikt zwischen Kunst und Kommerz, wie er ihn in der eigenen Szene seit der Filmhochschule erlebt. Mit „Dessau Dancers“ hat er sich allerdings für den Kommerz entschieden. Von diesem Film wird nicht viel mehr bleiben als ein kurzes Schmunzeln und ein paar gut ins Bild gesetzte Nummern des akrobatischen Schautanzes. Die sind freilich wirklich gelungen. Der albanische Tänzer Ardit „Airdit“ Gjikaj wirbelt als Double für Gordon Kämmerer, die Leipzigerin Eva „Evil Eve“ Scholl und die Berlinerin Friederike „Frieda“ Frost für Sonja Gerhardt. Der deutsche Breakdance-Weltmeister 2012 und amtierende deutscher Meiste Sebastian Jäger alias Killa Sebi hat kein Double nötig und ist der Star des Films.

Foto: Dessauer Breakdancer in Aktion: „Wenn ich das will, dann zucken die vollsynchron“, sagt ein Stasi-Mann