© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Die Alternativlose
CDU: Angela Merkel ist für die Union, an deren Spitze sie seit nunmehr 15 Jahren unangefochten steht, Fluch und Segen zugleich
Paul Rosen

Wie Angela Merkel funktioniert, wurde in diesen Tagen wieder deutlich. Standhaft hatte sie verkünden lassen, den Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg wolle man doch lieber nicht so nennen. Aus einer Vorlage für den Bundestag wurde der Begriff auf Drängen des Kanzleramts herausgestrichen. Als der Kanzlerin am Montag Nachrichten von den ersten Treffen der aus dem Osterurlaub nach Berlin zurückkehrenden Abgeordneten zugetragen wurden, wurde ihr die drohende kleine Palastrevolution klar. Merkel wechselte schleunigst die Position, das Wort Völkermord kam wieder in den Bundestagsantrag hinein (siehe Seite 4).

Das Aufgreifen von Stimmungen ist ein Erfolgsgeheimnis der in Hamburg geborenen Pastorentochter, die vor 15 Jahren als erste Frau und erste ostdeutsche Politikerin an die Spitze der CDU gewählt wurde. Aus Helmut Kohls „Mädchen“ wurde eine eiskalte Machtpolitikern vom Schlage einer Margaret Thatcher, für die die Bezeichnung „Mutti“ eine Verniedlichung ist. Als Generalsekretärin stürzte sie in der Spendenaffäre den Ehrenvorsitzenden Kohl vom Sockel. Kurz danach fiel der ebenfalls in die Affäre verstrickte Wolfgang Schäuble, den sie aber nach ihrem Wahlsieg 2005 wie einen Lakaien in ihr Kabinett holte, wo er als Finanzminister heute genauso treu dient wie Innenminister Thomas de Maizière.

Widersacher und heimliche Konkurrenten wie Jürgen Rüttgers, Roland Koch, Christian Wulff und Friedrich Merz sind längst von der Bühne verschwunden. Den Wechsel des 2002 gescheiterten Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber in ihr Kabinett nach der Wahl 2005 ließ sie durch Ränkespiele um Zuständigkeiten so lange hintertreiben, bis der Bayer erschöpft die Flucht Richtung Alpen antrat.

Selbst von der sie unterstützenden „Boygroup“ mit Norbert Röttgen und Ronald Pofalla ist außer Gesundheitsminister Hermann Gröhe niemand übriggeblieben. Die einst mächtige Runde der CDU-Ministerpräsidenten gibt es nicht mehr. Zehn von 16 Länder-Regierungschefs stellte die CDU vor

15 Jahren. Heute sind es noch vier.

Partei ist überaltert und entkernt

Der personellen Auszehrung entspricht die programmatische Entleerung der CDU seit Merkels Amtsantritt. Es ist beinahe unglaublich, zu welchen Drehungen Merkel die CDU gebracht hat. 2003 auf dem Leipziger Parteitag stieg sie in die Fußstapfen von Thatcher, forderte zusammen mit Merz niedrige Stufensteuertarife. Ein Dutzend Jahre später haben deutsche Arbeitnehmer nach Berechnungen der OECD mit 50 Prozent die höchste Steuer- und Abgabenlast in Europa zu tragen. Eine Steuer- und Abgabenquote in dieser Höhe war für die CDU in den achtziger Jahren noch Sozialismus pur.

Merkel hat die Forderungen und Positionen der anderen Parteien kopiert. Die Wehrpflicht ist weg, die Atomkraftwerke sind schon oder werden noch abgeschaltet, die Homo-Ehe nur noch eine Frage der Zeit. Die CDU ist für den Mindestlohn, grenzenlose Einwanderung, Frauenquote nicht nur in Aufsichtsräten und Rente mit 63. Sechs SPD-Vorsitzende haben bisher versucht, sich mit ihr anzulegen, und mußten die Erfahrung machen: Wo sie auch hinkamen, war Merkel schon da. „Merkel macht, was dem Machterhalt dient“, sagte ihr verstorbener Biograph Gerd Langguth. Drastischer formuliert es Getrud Höhler in ihrem Merkel-Buch „Die Patin“. „Das System M etabliert eine leise Variante autoritärer Machtentfaltung, die Deutschland so noch nicht kannte“, schreibt Höhler. Tatsächlich ist es in der Bundesrepublik schwer geworden, eine andere Meinung als die der Regierung zu vertreten: Wer gegen unkontrollierte Einwanderung ist, kritische Fragen zur Energiewende stellt, den Erfolg der Euro-Währung in Zweifel zieht, nach der Bezahlbarkeit sozialer Wohltaten wie der Rente mit 63 und nach dem Beitrag von Homosexuellen gegen den demographischen Wandel fragt, sieht sich sehr schnell ausgegrenzt. Eine Laufbahn im Regierungsapparat ist ausgeschlossen.

Merkel sieht unangefochten aus. Viele Kommentatoren halten es für möglich, daß sie länger als Konrad Adenauer und Kohl im Kanzleramt bleiben könnte. Das System Merkel hat aber Schwachstellen: Ihre Festlegung auf die Alternativlosigkeit der Euro-Währung hat ihr und der CDU mit der Alternative für Deutschland (AfD) erstmals eine politische Konkurrenz von rechts beschert. Wenn Griechenland im Schuldenmeer versinkt, könnte auch die deutsche Kanzlerin mit in die Tiefe gezogen werden. Ihr zweiter Fehler war die Wiederholung von Wulffs Bekenntnis, der Islam gehöre zu Deutschland, eine Geschichtsvergessenheit ohnegleichen.

Nach wie vor wendig genug, um auch diese Positionen bei Bedarf schnell wieder aufzugeben, ist aber ungewiß, ob sie bei den Wählern damit noch durchkommen würde. Dann kommt für die CDU die Stunde der Wahrheit: Personell ausgezehrt, an der Basis hoffnungslos überaltert und inhaltlich völlig entkernt, könnte sie wie ein Kartenhaus zusammenfallen.

Foto: Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel: Bei Bedarf gibt sie ihre Positionen schnell auf