© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Spätes Erwachen in Brüssel
Illegale Migration: Erst Tausende Tote veranlassen die EU, gegen das Schlepperwesen vorzugehen / Zehn-Punkte-Plan soll helfen
René-Lysander Scheibe

Die Alarmglocken schrillen in Europa: Mit dem Frühling kommen neue Flüchtlingsboote über das Mittelmeer nach Italien, und verantwortungslose Schlepper verantworten binnen weniger Tage den Tod von über 1.500 Menschen. Die Zahl von 170.000 „Boat People“ anno 2014 wird allen Schätzungen nach in diesem Jahr noch weit übertroffen. Etwa 11.000 Personen wurden allein vergangene Woche von der italienischen Küstenwache und Rettungskräften in Sicherheit gebracht.

Zudem erschreckt die unglaubliche Brutalität einer Gruppe moslemischer illegaler Einwanderer die Öffentlichkeit: Christen wurden von ihren islamischen Mitpassagieren auf hoher See über Bord geworfen. Obwohl das Problem wahrlich nicht neu ist, wirken Italien und die EU hilflos.

Eine jüngste Havarie mit bis zu 950 Toten ist nun Anlaß eines Treffens der europäischen Außen- und Innenminister in Luxemburg. Vor dem Treffen äußerte sich der österreichische Außenminister Sebastian Kurz im ORF-Radio dahingehend, daß weitere „Todesfahrten“ dringlichst zu verhindern seien.

Illegale sollen zügiger

abgeschoben werden

Italiens Premierminister Matteo Renzi sprang ihm bei. Das Problem sei weniger die Rettung der Schiffbrüchigen, diese sei effizient, sondern einzig und allein die Schlepperbanden in Libyen. Die Bekämpfung dieser Organisationen habe Priorität. Auch die EU-Außenbeauftragte Mogherini äußerte sich gegenüber La Stampa, daß das Problem nur lösbar sei, wenn die Abfahrt der Boote in Nordafrika gestoppt werde.

Im Anschluß präsentierten die Minister einen Zehn-Punkte-Plan, über den die EU-Staats- und Regierungschefs auf einem Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage beraten werden. Demzufolge sollen unter anderem die EU-Grenzüberwachungsprojekte Triton und Poseidon finanziell besser ausgestattet und deren Operationsgebiet vergrößert werden. Zudem müßten die Polizeibehörde Europol, die EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie die Justizbehörde Eurojust stärker bei ihren Ermittlungen gegen Schleuser zusammenarbeiten. Unter Ägide von Frontex soll ein neues Programm garantieren, daß illegale Migranten zügig wieder in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.

Mit Ländern wie Libyen und seinen Nachbarn soll in diesem Kontext die Zusammenarbeit intensiviert werden. In wichtigen Drittstaaten könnten zudem sogenannte Verbindungsbeamte für Immigrationsfragen eingesetzt werden, um nachrichtendienstliche Informationen zu Migrantenströmen zu sammeln. Schließlich geht es auch darum, die „Neuansiedlung von Flüchtlingen“ auf die EU-Länder nach einem Schlüssel neu aufzuteilen.

Mitte Mai will dann zudem die EU-Kommission ein umfassendes Konzept zur europäischen Migrationspolitik vorstellen. Auch dabei steht der „konsequente“ Kampf gegen „irreguläre Migration und Menschenhandel“ ganz oben auf der politischen Agenda. Auch die „effektivere Überwachung der EU-Außengrenzen und die vollständige Implementierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ seien Teil des neuen Migrationskonzepts.

Doch Italien drängt. Innenminister Angelino Alfano wirbt für sein Projekt von drei Lagern in Niger, Sudan und Tunesien und fordert eine „internationale Polizeioperation“ gegen die Schlepper an der libyschen Küste und „auf den Stränden“.

Ein Schlag gelang den Behörden am Montag in Italien, als ein Schlepperring aus Schwarzafrikanern aufgedeckt wurde, wie ANSA berichtet. Eine Bande aus Eritrea, Äthiopien, Elfenbeinküste und Nigeria wurde aufgedeckt und unter anderem zwei Anführer verhaftet. Diese verfügten über ein Netz von Mittelsmännern in den italienischen Provinzen Palermo, Agrigent, Catania und auch Mailand. Die Kriminellen unterstützen die illegalen Einwanderer bei der Flucht aus Auffanglagern, der (illegalen) Niederlassung in Italien sowie bei einer Weiterreise nach Deutschland oder Skandinavien.

Während EU und Italien noch an einer Lösung der aktuellen Krise arbeiten, weist der jüngst veröffentlichte „Schlepperbericht 2014“ des österreichischen Bundeskriminalamtes eine massive Zunahme von Delikten aus. 34.070 Personen wurden im kleinen Österreich vergangenes Jahr aufgegriffen, das entspricht etwa der Einwohnerzahl der Stadt Steyr und macht im Schnitt über 90 Personen täglich.

Bei den Einreiserouten der illegalen Grenzgänger ist der Transit via Italien mit etwas über 50 Prozent am häufigsten, und dies steht offensichtlich in Zusammenhang mit der Anlandung der Einwanderungswilligen in Süditalien. An zweiter Stelle liegt der Grenzübertritt aus Ungarn mit gut einem Drittel der Fälle. Die Madjaren stellen mit 64 Personen auch das größte Kontingent unter den 511 aufgegriffenen Schleppern. Serbien folgt mit 56 Schleppern.

Betrachtet man die Nationalität der eingeschleusten Personen, die 2014 aufgegriffen wurden, so lagen Syrer nicht ganz überraschend mit 6.510 an der Spitze, gefolgt von über 4.000 Afghanen. Insgesamt ist im Schlepperbericht eine Zunahme von 24 Prozent zum Vorjahr 2013 nachgewiesen.

Das Bundeskriminalamt jedenfalls warnt in seinem Ausblick vor einer Verschlechterung der Situation. Sollte sich in Syrien keine Verbesserung der Lage ergeben, würden noch mehr Syrer die Reise nach Europa antreten. Auch die instabile Sicherheitslage in Afghanistan werde zu einem hohen Flüchtlingsstrom führen. Nicht zuletzt aber das Scheitern der Stabilisierungsmaßnahmen in Libyen lasse einen massiven Anstieg an Migranten erwarten – die zunächst nach Südeuropa und dann weiter in den Norden ziehen würden.

Foto: Rettungsaktion der italienischen Küstenwache vor der libyschen Küste: Italien will Einsatz an Stränden