© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Alles andere als heile Welt
Zwischen Reue- und Glücksgefühlen: In den Sozialen Netzwerken wird über das Muttersein diskutiert
Anni Mursula

Ich sitze im Auto, hinter mir drei Quälgeister, die sich meine Kinder nennen. Eines davon hat mich eben „Kacka-Mama“ genannt. Weil ich ihm keinen dritten Keks gegeben habe. Hat ja Zucker und so, der soll Kindern schaden. Es ist ungesund, Kindern zu viel davon zu geben. Gute Mütter verfüttern Dinkel-Cräcker und Reiswaffeln. Aber ich bremse das Auto wütend. Schreie. Drohe. Dann besteche ich sie – mit den besagten Keksen. Daß sie wenigstens eine Minute still sind und ich klar denken kann.

Es ist nicht witzig, eher zum Heulen. So wollte ich nie sein. Als konservative Frau wollte ich wandern, basteln, backen, mit meinen Kindern. Eine Schürze tragen, wie in Bilderbüchern. Jetzt versuche ich nur zu überleben, irgendwie, jeden Tag. Daß man für diesen Alltagsirrsinn zwischen Arbeit und Kindern keine Anerkennung, keine Beförderung oder Gehaltserhöhung, ja, nicht einmal ein einfaches Dankeschön bekommt, ist bitter. Statt dessen ist man mal wieder die „Kacka-Mama“.

Wie passend, denke ich, daß ich gerade heute einen Beitrag zur aktuellen Debatte über unglückliche Mütter schreiben wollte. Im Internet unter dem Hashtag #regrettingmotherhood, also „Mutterschaft bereuen“, wird heftigst über das Muttersein diskutiert, seit die Süddeutsche Zeitung vor etwa zwei Wochen einen Artikel über eine Studie zu diesem Thema veröffentlichte. Für diese Studie wurden zwar nur 23 Israelinnen befragt, doch geht es hier nicht um statistische Erhebungen, sondern um die dadurch ausgelöste Debatte.

Für Deutschland, mit einem langen, ideologisch geprägten Verhältnis zur Mutterschaft, ist diese Debatte durchaus neu. In den Zeitungen, Blogs und sozialen Medien ist ein kollektives Coming-out der Mütter zu verzeichnen: „Muttersein macht mich nicht glücklich“, „Ich hasse es“, „Ich fühle mich im Käfig gefangen“, „Ich will mein altes Leben zurück“. Das sind nur wenige Sätze, wie sie momentan zu lesen sind. Viele mildern ihre Aussage ab, indem sie das Wort „aber“ hintendran hängen: „Ich bereue es, Mutter geworden zu sein, aber ich liebe meine Kinder. Sie bereue ich nicht.“

Und genau darum geht es bei dieser Diskussion. Frauen entdecken nicht plötzlich, daß sie keine Gefühle für ihren Nachwuchs haben. Im Gegenteil. Sie lassen endlich ihre Gefühle zu. Auch die negativen. Diese Frauen sagen, daß ihr Alltag alles andere ist als heile Welt, als Stilleben und idyllische Bilder aus Kinderbüchern. Viele Frauen, die studiert, gearbeitet und jahrelang vor ihren Kindern ein freies, emanzipiertes Leben genossen haben, können als späte Mütter genausowenig ein von einem Säugling fremdbestimmtes Leben genießen, wie es ein Mann in ihrem Fall würde. Und so schön Mutterglück auch ist, sich allein über die Mutterrolle zu definieren, macht trotzdem nicht 24 Stunden am Tag glücklich.

Muß es auch nicht. Doch damit können viele heute gar nicht mehr umgehen. Denn Glück, oder vielmehr die ständige Jagd danach, ist zu einem der Hauptanliegen in der hedonistischen Gesellschaft geworden. Das ist kein ausschließliches Frauenphänomen. Doch nur bei ihnen kollidiert dieser Hedonismus so offensichtlich mit der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an die „perfekte“, aufopferungsvolle Mutter.

Ich sitze am Rechner, versuche, diesen Text zu schreiben – und werde wieder aus den Gedanken gerissen. Ein Kind weint: Es hat in die Hosen gemacht, sich diese selbst ausgezogen und ist dann mit dreckigen Füßen durch die Wohnung gelaufen. Ich denke nur: „Scheiße!“ Nicht, weil ich es wegmachen muß. Wenn es nur das wäre! Es ist diese sich ewig anfühlende Versklavung durch die kleinen Zeiträuber.

Die Verantwortung, das tägliche Versagen. Nein, Muttersein ist nicht, was ich mir ausgemalt hatte. Und ich bin eine ganz andere Mutter geworden, als ich werden wollte. Eine viel schlechtere, ungeduldigere und härtere. „Doch, du bist eine gute Mutter, Anni“, sagen mir meine Mamafreundinnen. Aber wieso klingt das so hohl? Was ist eine „gute Mutter“ eigentlich? Wer entscheidet das? Und muß ich überhaupt so sein, um gut genug zu sein – für meine Kinder? Diese Fragen zu stellen, ist aber etwas anderes, als meine Kinder zu bereuen. Ich bereue sie nämlich nicht. Niemals. Denn sie fordern mich heraus, durch sie bin ich über mich hinausgewachsen, ohne sie wäre ich in dem falschen Glauben geblieben, ein guter Mensch zu sein.

Interessant ist #regrettingmotherhood vor allem wegen der Rezeption. Daß sich die hiesige Presse auf das Bekenntnis der deutschen Frauen zur Mutterschaftsreue stürzt, ist bezeichnend. Als ob das alles ein Beweis dafür wäre, was Feministen seit Jahrzehnten propagieren: Die Mutterschaft mache eine Frau zur Sklavin und somit unglücklich. Doch so einfach ist das nicht. Schließlich sind die meisten Frauen, die ungewollt keine Kinder bekommen, ebenfalls unglücklich. Und viele meiner Freundinnen, die ihren Kinderwunsch zu lange der Karriere wegen verschoben haben, bereuen es ebenfalls. Zutiefst.

Aber was bedeutet das Mutterunglück für eine Gesellschaft? Es heißt zumindest nicht, daß Frauen keine Kinder wollen. Vielmehr bedeutet es, daß die Frauen heute schneller überfordert sind, daß sie ein ernstzunehmendes Identitätsproblem haben. Doch angesichts der demographischen Katastrophe nutzt es nichts, auf sie mit dem Finger zu zeigen und zu sagen, mit ihnen stimme etwas nicht.

Deshalb ist #regrettingmotherhood auch keine Phantomdiskussion. Und wer möchte, daß Frauen wieder mehr Kinder bekommen, sollte sie nicht vorschnell als Luxusdebatte abtun. Die Diskussion hat auch nichts mit dem eigenen politischen Standpunkt zu tun, denn versagt haben eigentlich bislang alle Seiten. Die Links-Grünen, die das Betreuungsgeld kippen wollen, tragen zu der Doppelbelastung der Frauen bei. Doch die veralteten Rollenklischees aus der konservativen Ecke überfordern ebenso. Tröstlich für junge Mütter sind überhöhte Mutter-ideale nicht. Eher fühlen sie eine immer größer werdende Schere zwischen diesen Idealen und ihrem wirklichen Alltag.

Und genau mit dieser Diskrepanz hadert die Generation, die jetzt merkt, daß sie niemals die herkömmliche Mutterrolle erfüllen kann. Will sie auch nicht. Denn junge Frauen haben heute nun mal mehrere Rollen zu erfüllen. Da ist kein Platz für eine aufopferungsvolle Märtyrer-Mutterschaft. Das macht sie aber nicht zu schlechteren Müttern. Wer daran seine Zweifel hat, sollte in sich gehen und überlegen, warum. Letztlich heißt das ja nur, daß auch Mütter keine Heiligen, sondern lediglich Menschen sind.

Foto: Muttersein ist nicht immer leicht: Frauen haben heute mehrere Rollen zu erfüllen, viele haben ein Identitätsproblem