© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Sonntagsspaziergang, Unter den Linden, Richtung Brandenburger Tor. An der Baustelle der eingerüsteten Staatsoper bleibe ich längere Zeit stehen. Was für ein Desaster! Berlin blamiert sich nicht nur beim Bau seines Flughafens. Begonnen hatte die Sanierung der Staatsoper 2010, die Wiedereröffnung sollte ursprünglich im Herbst 2013 stattfinden. Inzwischen wurde dieser Termin auf den Herbst 2017 verschoben. Von der Kostenexplosion ganz zu schweigen. Die Sanierung wird nach derzeitigem Stand 150 Millionen Euro mehr kosten, als zu Sanierungsbeginn geplant. Dabei hatte die Berliner Bauverwaltung Dutzende von Gutachten eingeholt. Auf Anfrage eines Piraten-Abgeordneten listete sie kürzlich eine Auswahl auf, darunter: Bodengutachten, Baugrunduntersuchungen, Schadstoffgutachten, Verformungs- und Risikoanalysen bezüglich der Baugrube, denkmalpflegerische Gutachten, Gutachten zur koordinierten Leitungsplanung, Fundamentuntersuchungen und Suchschachtungen, archäologische Begleitung, Rückbau- und Entsorgungskonzepte, Salz- und Feuchtegutachten, baubegleitende Restaurierungsgutachten, statische Gutachten, brandschutztechnische Beurteilung, Erfassung und Beurteilung von Tragwerksschäden, Bauphysikgutachten. – Resultat? Millionen Euro für die Katz.

Nichts ist erledigt. (Spruchband an der Fassade der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz)

Zu meinen Lieblinsgblogs im Netz gehört Michael Klonovskys Acta diurna. Der 52jährige Schriftsteller und Publizist bietet in seinem Tagebuch nicht einfach nur geistige Erfrischung, indem er das Zeitgeschehen gegen den Strich bürstet, Widrigkeiten aufspießt und Zumutungen des bundesrepublikanischen Alltags zurechtrückt. Seine Eintragungen sind das Antidoton zu jenen geistigen Vergiftungen, denen wir alle nicht zuletzt durch das „Regime der telekratischen Öffentlichkeit“ (Botho Strauß) ausgesetzt sind. Klonovsky bildet eine Art Ein-Mann-Opposition, Milieus sind ihm ein Greuel, er fühlt sich keinem zugehörig. Von sich selbst sagt der Autor, er sei „ein Reaktionär, das heißt: ein Konservativer, der keinen Wert mehr darauf legt, von irgendwem eingeladen zu werden“. Das ist mir hochsympathisch. Soeben nun sind Klonovskys gesammelte Diarium-Eintragungen der vergangenen drei Jahre unter dem Titel „Bitte nach Ihnen. Reaktionäres vom Tage: Acta diurna 2012–2014“ in Buchform erschienen (Edition Sonderwege bei Manuscriptum, Softcover, 472 Seiten, 22,80 Euro). Pflichtlektüre für Nichteinverstandene!