© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Das Alte Reich als das wahre Deutschland: Bismarcks Irrweg in den Nationalstaat
Die Sehnsucht nach dem Flickenteppich
(wm)

Die Bundesrepublik, so behauptet der Politologe Thibaut de Champris (Institut Français Mainz), ruhe heute glücklicherweise in größerem Maß auf dem 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation als auf dem Bismarckreich (Cicero, 4/2015). „Verblüffend modern“ sei das schätzenswert „bunte“ Alte Reich gewesen, mit Selbstverwaltung auf allen Ebenen, Subsidiarität, Entstaatlichung, Dezentralisation. Trotzdem konnten Schuldenkrisen einzelner Territorien bewältigt und die Türken- wie die Franzosengefahr abgewehrt werden. Reichskreise und Kreisassoziationen hätten die Grenzen heutiger Bundesländer vorweggenommen. Das Unheil, so variiert der Geschichte naiv aus dem Gegenwartshorizont betrachtende Politologe die „Sonderwegsthese“, habe erst mit dem Aufstieg Preußens begonnen. Preußen bedeutete „Militarisierung, Zentralisierung, Verstaatlichung“. So sei ein auf Armee und Bürokratie basierender Nationalstaat entstanden. Unter Berufung auf Dieter Gosewinkels (Freie Universität Berlin) Pro-Asyl-Propaganda zu „Einbürgern und Ausschließen“ klagt de Champris Bismarcks Politik an, eine „tiefe Entfremdung“ von dem eingeleitet zu haben, was Deutschland ausmachte. Konsequent folgte nach 1871 die „Nationalisierung der deutschen Staatsbürgerschaft“ und eine „schleichende Ethnisierung“.

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