© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Der schwärzeste Tag der US-amerikanischen Geschichte
Vor vierzig Jahren stürmten kommunistische Truppen Saigon: Das Ende des Krieges bedeutete für Millionen Vietnamesen den Beginn einer Schreckenszeit
Wolfgang Kaufmann

Am 27. Januar 1973 unterzeichneten die USA sowie Nord- und Südvietnam das Pariser Friedensabkommen, in dem sich die Vereinigten Staaten zu einem vollständigen Truppenabzug aus dem südostasiatischen Land verpflichteten. Allerdings war der Konflikt damit noch nicht beendet, denn es kam zu weiteren militärischen Zusammenstößen zwischen der Armee des kommunistischen Nordens (PAVN) und den Streitkräften der Regierung in Saigon (ARVN), welche bis dahin die Unterstützung Washingtons genossen hatten.

In deren Verlauf geriet die ARVN sofort in die Defensive. So konnte die PAVN im März 1975 die Demarkationslinie überschreiten und im Verein mit den in Südvietnam operierenden Vietcong-Guerillas zügig nach Süden vorrücken. Dabei stießen die Nordvietnamesen nur bei Xuan Loc auf nennenswerten Widerstand. Hier entspann sich zwischen dem 9. und 20. April die letzte große Schlacht des Vietnamkriegs, in der die 18. Infanterie-Division der ARVN versuchte, den dreifach überlegenen Feind aufzuhalten – allerdings vergeblich. Deshalb erreichte das IV. Korps der PAVN dann am 21. April 1975 den Stadtrand von Saigon.

300.000 Südvietnamesen wurden nach 1975 ermordet

Das bewog den südvietnamesischen Präsidenten Nguyen Van Thieu zur Flucht nach Taiwan, woraufhin Vizepräsident Tran Van Huong die Macht übernahm, die er dann aber schon am 28. April an General Duong Van Minh übergab. Einen Nutzen vermochten diese Personalrochaden freilich nicht mehr zu zeitigen: Saigon war verloren. Die finale Offensive der PAVN begann am 29. April, woraufhin die Vereinigten Staaten eine großangelegte Evakuierungsaktion einleiteten, um ihre eigenen Bürger, aber auch südvietnamesische Zivilbeschäftigte der US-Dienststellen, in Sicherheit zu bringen. Immerhin eilte den Truppen Hanois der Ruf voraus, „Kollaborateure“ gnadenlos zu exekutieren – so beispielsweise geschehen 1968 anläßlich eines Vorstoßes nach Hue.

Während der „Operation Frequent Wind“ brachten US-Helikopter 1.373 Amerikaner und 5.595 Südvietnamesen auf Flugzeugträger vor der Küste – wobei lediglich ein Hubschrauber durch Absturz verloren ging, weil der PAVN-Oberbefehlshaber Van Tien Dung angeordnet hatte, nicht auf die amerikanischen Maschinen zu schießen, welche Rettungsflüge durchführten. Allerdings drangen seine Truppen zeitgleich ins Zentrum der südvietnamesischen Hauptstadt ein. Besonders tat sich dabei eine Panzereinheit unter dem Kommando von Oberst Bui Tin hervor: dessen T-54 rasselten am 30. April mit brachialer Gewalt auf den Hof des Präsidentenpalastes, in dem Staatschef Minh bereits wartete, um die bedingungslose Kapitulation zu erklären, welche dann zum 1. Mai 1975 in Kraft trat.

Damit endete der seit zwanzig Jahren andauernde Krieg, der Vietnam in extremer Weise heimgesucht hatte. So war das Land infolge der massiven Luftangriffe der US Air Force mit 21 Millionen Bombenkratern übersät, dazu kam die Entlaubung von 3,3 Millionen Hektar Wald durch dioxinhaltige Herbizide wie das berüchtigte „Agent Orange“. Darüber hinaus steckten noch rund 3,5 Millionen Landminen im Boden Vietnams.

Der Vietnamkrieg forderte den Tod zahlloser Nord- und Südvietnamesen – wie viele genau, ist bis heute nicht zu ermitteln: Möglicherweise waren es an die vier Millionen. Die USA wiederum verloren exakt 58.220 Soldaten, davon wiederum 18 Prozent durch „friendly fire“.

Und das Sterben war dann auch mit dem nordvietnamesischen Sieg noch nicht vorbei, denn die Kommunisten begannen nun mit der Liquidierung politischer Gegner; vermutlich wurden dabei um die 200.000 Südvietnamesen ermordet. Des weiteren wanderten etwa 2,5 Millionen „Reaktionäre“ in „Umerziehungslager“, in denen nochmals 165.000 Menschen zugrunde gingen. Ebenso deportierten die Handlanger der Partei der Werktätigen Vietnams eine Million Einwohner Saigons in sogenannte „Neue Ökonomische Zonen“ auf dem Land, wo sie Sklavenarbeit leisten mußten, was zu weiteren 50.000 Todesfällen führte.

Ansonsten setzte durch die Verstaatlichung der südvietnamesischen Industrie und die flächendeckende Bildung landwirtschaftlicher Kooperativen ein rapider wirtschaftlicher Niedergang ein, der ab 1978 zu dramatischen Massenfluchten führte: Bis Ende der achtziger Jahre verließen etwa 1,6 Millionen Menschen die nunmehrige Sozialistische Republik Vietnam und landeten als „Boat people“ in Hongkong, Macao, Singapur und anderswo – sofern sie nicht im Südchinesischen Meer ertranken oder Piraten zum Opfer fielen. An die 10.500 dieser Flüchtlinge wurden vom Hospitalschiff „Cap Anamur“ aufgenommen und nach Deutschland gebracht, wo sie politisches Asyl erhielten und nachfolgend ein Beispiel an gelungener Integration boten (JF 51/14).