© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Erben der Wurst
Vor dem Eurovision Song Contest bringen sich die Bands für das Finale in Wien in Stellung
Henning Hoffgaard

Abschiedstour. Zumindest ein wenig. Conchita Wurst, die Gewinnerin des vergangenen Eurovision Song Contest (ESC), rührt derzeit kräftig die Werbetrommel für ihre österreichische Heimat. Am vergangenen Donnerstag trat sie deswegen vor einem kleinen ausgesuchten Publikum in Berlin auf. Die junge freiheit war dabei.

Wurst, die mit bürgerlichem Namen Thomas Neuwirth heißt, versteht es meisterhaft, ihren ESC-Sieg zu nutzen. Neues Album und eine Biographie kommen pünktlich zum nächsten Finale des Song Contest im Mai in Wien heraus. Warum ein 26jähriger Künstler seine Lebensgeschichte zu Papier bringen muß, wird wohl bis zur Veröffentlichung des Buches ein Geheimnis bleiben. Vielleicht auch noch danach.

Deutschlands Chancen sind sehr überschaubar

Ihren Aufritt (zwei Lieder) vor den etwa 75 Zuschauern in Berlin meisterte Wurst souverän. Keine Frage, singen kann sie. Es dürfte allerdings einer ihrer letzten Auftritte als ESC-Siegerin gewesen sein. Stellt sich also die Frage: Wer wird die neue Wurst? Wer hat gute Chancen, den Song Contest zu gewinnen?

Die Londoner Wettbörsen sehen derzeit den schwedischen Sänger Måns Zelmerlöw vorne. Das allerdings muß nicht viel heißen. Die schwedischen Teilnehmer gelten fast in jedem Jahr als Favoriten. Einen Vorteil hat Zelmerlöw zumindest. Er sieht gut aus und fällt damit in das „Beuteschema“ von Frauen und der Schwulengemeinschaft. Letztere hatten auch Wurst 2014 maßgeblich zum Sieg verholfen. Zelmerlöws Lied „Heroes“, das sich von einer Halbballade zum Popsong mit hymnenhaftem Refrain steigert, klingt mittlerweile allerdings arg austauschbar. Die eigene Note fehlt.

Zumindest das kann von den finnischen Teilnehmern nicht behauptet werden. Die nennen sich Pertti Kurikan Nimipäivät (PKN) und bestehen aus vier geistig behinderten Künstlern. Drei haben das Down-Syndom, einer ist Autist. Übersetzt heißt der Bandname „Pertti Kurikkas Namenstag“. Viel schlauer werden die deutschen Zuschauer daraus allerdings auch nicht werden. Die vier Männer treten mit einem gerade einmal 1:30 Minuten langen Punk-Stück an. Mehr als zwei Gitarrenakkorde sind darin nicht zu finden.

Schlechter als die meisten Punk-Stücke ist ihr Song „Aina mun pitää“ („Ich muß immer“) jedenfalls nicht. Darin berichtet Sänger Kari Aalto über sein Leben unter ständiger Betreuung. Ein Lied über Inklusion also. Daß die Finnen eine Vorliebe für die etwas härtere musikalische Gangart haben, ist spätestens seit dem Sieg der finnischen Hardrocker Lordi 2006 kein Geheimnis mehr. Daß PKN die Herzen der Zuschauer erreichen können, hat der Vorentscheid gezeigt. Dort fielen sie in der Jury-Wertung durch, punkteten allerdings bei der Publikumswahl. Dies könnte auch beim Finale der Fall sein. Benötigt wird dafür nur eine abstimmfreudige Minderheit.

Und Australien? Ja, Australien! Das Land darf wegen seiner Begeisterung für den ESC zum 60. Jubiläum mit einem eigenen Beitrag antreten. Stellt sich die Frage, was passiert, wenn „Down Under“ tatsächlich gewinnt. Eigentlich müßte der ESC in dem Gewinnerland stattfinden. Wegen der Zeitumstellung könnte dies jedoch Probleme bereiten.

Auf einen neuen Contest in Deutschland sollte allerdings niemand hoffen. Der Beitrag von Ann Sophie, „Black Smoke“, klingt einfach zu sehr nach von der Stange.