© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Der Flaneur
Wie klein die Welt ist!
Tobias Dahlbrügge

Ich stehe mit dem Kollegen vor dem Betrieb, wir erzählen uns was. Unvermutet kommt ein Radfahrer ums Eck und hält vor uns. Ob wir ihm bitte mal helfen könnten, irgendwas schleife an seinem Hinterrad. Zu dritt untersuchen wir die Ursache. Der Mantelschoner ist verbogen. Das kriegen wir schon hin. Das Rad ist ein Leihrad für Touristen. Aus Hamburg sei er, erzählt er uns.

Der Kollege zählt Orte, Straßen, Verkehrsverbindungen auf. „Sie kennen sich aber gut aus.“

Hamburg! sagt mein Kollege: Da war ich erst letzte Woche. Was er sich denn angeschaut hätte, will der Hamburger wissen. Der Kollege zählt Orte, Straßen und Verkehrsverbindungen auf. „Sie kennen sich aber gut aus“, erkennt der Hamburger an. Er stamme aus Hamburg, erklärt mein Kollege. „Ach was, von wo denn?“ interessiert sich der Hanseate. Der Mitarbeiter erzählt, er sei am alten Trainingsgelände vom HSV groß geworden.

„Nein! Da wohne ich“, staunt der Hamburger. Er fahre immer über Hamburg, wenn er Urlaub auf Sylt mache, dort habe er eine Stammpension, plaudert mein Kollege weiter. Jetzt wird der Hamburger neugierig, welche Pension das denn sei. Großes Hallo bei der Antwort: „Die gehört meiner Schwester!“ Ach, die kenne er gut, sagt mein Kollege und nennt ihren Namen. „Das gibt’s ja gar nicht!“ Die Zufallsbegegnung wird zum Familientreffen.

Er mache in der Pension auch oft Urlaub und nutze dann immer dasselbe Appartement, sagt der Tourist. Er auch, erklärt mein Kollege. Es stellt sich heraus, daß sie dieselbe Wohnung belegen. Gelächter, Händeschütteln, Vornamen werden ausgetauscht. „Beim nächsten Mal treffen wir uns dort.“ „Aber sicher!“ Fehlt bloß noch, daß sie gleich feststellen, miteinander verwandt zu sein. Und wieder muß der alte Spruch herhalten: „Wie klein die Welt ist!“