© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Fortschreitender Verfall
AfD: Mit den Rücktritten der stellvertretenden Vorsitzenden Hans-Olaf Henkel und Patricia Casale spitzt sich die Krise der Partei zu
Marcus Schmidt

Es ist nur ein Nebensatz. In der vergangenen Woche verschickte AfD-Chef Bernd Lucke ein Rundschreiben an die Mitglieder, in dem er sich bei denen bedankte, die für den Parteitag im Juni gespendet hatten. Ein ähnliches Schreiben hatten wenige Tage zuvor bereits Luckes Co-Sprecher Frauke Petry und Konrad Adam verschickt. Warum es kein gemeinsames Dankschreiben der formal gleichberechtigten Sprecher gab, deutete Lucke nur an. Petry und Adam hätten ihren Brief verschickt, „als sie mich offenbar kurzfristig nicht erreichen konnten“. Doch an derlei Terminschwierigkeiten glaubt in der Partei niemand. Dieses Detail macht vielmehr deutlich, wie zerrüttet das Verhältnis an der Parteispitze mittlerweile ist. Im Bundesvorstand der AfD ist keine vertrauensvolle Zusammenarbeit mehr möglich.

Fraktion in Brüssel setzt Pretzell vor die Tür

Mit dem Rücktritt von Parteivize Hans-Olaf Henkel erreichte die Krise in der vergangenen Woche ihren bisherigen Höhepunkt. Henkel hatte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine Entscheidung mit den angeblichen Versuchen von „Rechtsideologen“ begründet, die Partei zu übernehmen. Sollte es nicht zu einer „Klärung“ im Richtungsstreit kommen, drohe der AfD der Untergang, warnte er. Der jungen freiheit sagte Henkel, er sehe seine Entscheidung als „Weckruf an die Anständigen und Vernünftigen in der Partei“. Diese sollten das umsetzen, was in den Wahlprogrammen und den politischen Leitlinien der AfD beschlossen worden sei. „Und nicht denen das Ruder überlassen, die die Partei kapern wollen.“

Wohl auch aus diesem Grund, war in den vergangenen Wochen versucht worden, den Delegiertenparteitag im Juni in einen Mitgliederparteitag umzuwandeln. Damit wollte Lucke seine Chance verbessern, in Kassel zum alleinigen Parteivorsitzenden gewählt zu werden. Die Mehrheit der Mitglieder glaubt er nach wie vor hinter sich. Bei einem Delegiertenparteitag, bei dem die Teilnehmer zuvor auf den Landesparteitagen ausgewählt werden, hält Luckes Umfeld dagegen eine Niederlage nicht mehr für ausgeschlossen. Doch die für einen kostspieligeren Mitgliederparteitag notwendigen 160.000 Euro, für die die klamme Partei zu Spenden aufgerufen hatte, kamen nicht zusammen. Nun soll das eingegangene Geld, immerhin mehrere zehntausend Euro, unter anderem für einen Mitgliederentscheid zur Ausrichtung der Partei verwendet werden.

„Die Lage in der Partei spitzt sich zu, die Partei braucht eine Richtungsentscheidung, die Meinungsverschiedenheiten können nicht länger zugedeckt werden“, sagte Lucke der jungen freiheit. Selbstverständlich sei die AfD auf Pluralismus und Meinungsvielfalt angewiesen. „Aber es braucht auch Grenzen, sonst wird die Integrationskraft der Partei überdehnt“, warnt Lucke.

Doch in der AfD regt sich Widerstand gegen den Mitgliederentscheid, der von den notwendigen drei Prozent der Mitglieder unterstützt wird. In der Partei wird darauf hingewiesen, daß damit die auf Hochtouren laufende Arbeit an dem AfD-Programm unterlaufen werde. Auch innerhalb des Bundesvorstandes ist der Mitgliederentscheid umstritten. „Das lehne ich ab“, sagte AfD-Sprecherin Frauke Petry der jungen freiheit. „Lucke fordert damit quasi eine Bestätigung seiner Person vor dem Parteitag“, kritisierte sie.

Der Initiator des Mitgliederentscheids, Ronald Geiger, beteuert dagegen, daß mit seinem Entwurf die Programmarbeit nicht vorweggenommen werden solle. Im derzeit tobenden Richtungsstreit sei aber eine „zeitnahe Lösung“ notwendig. Das Papier wendet sich unter anderem gegen eine Fundamentalkritik der AfD „an unserem Staat, unserer Gesellschaft oder unserem Wirtschaftssystem“. Deutlich fällt die Abgrenzung der Partei zum rechten Rand des politischen Spektrums aus. „Wir lehnen eine Zusammenarbeit mit Parteien ab, die europafeindliche oder ausländerfeindliche Positionen vertreten. Dazu zählen z. B. der französische Front National und die niederländische Partij voor de Vrijheid“, heißt es in dem Papier.

Mittlerweile hat der Stuttgarter AfD-Stadtrat Lothar Maier den Entwurf für einen konkurrierenden Mitgliederentschied vorgelegt. „Von einer übertriebenen Abgrenzungspolitik, die letztlich in die politische Isolation führt, halten wir nichts“, heißt es darin unter anderem. Nach Angaben von Maier haben seit Ende vergangener Woche bereits Hunderte AfD-Mitglieder das Papier unterzeichnet. Das notwendige Drei-Prozent-Quorum werde voraussichtlich bereits nächste Woche erreicht. Sehr wahrscheinlich können die rund 22.000 AfD-Mitglieder demnächst also über beide Vorlagen abstimmen.

Unterdessen ging am Montag der Zerfall der Parteispitze weiter. Die stellvertretende AfD-Vorsitzende Patricia Casale legte ihr Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Die Entwicklung der Partei und der Umgang innerhalb des Vorstands ließen ihr keine andere Wahl, begründete Casale ihren Schritt. Innerhalb des Vorstandes hätten sich tiefe Gräben aufgetan.

Auch nach Brüssel strahlt der Streit mittlerweile aus. Auf Betreiben von Henkel schlossen die AfD-Abgeordneten Marcus Pretzell ebenfalls am Montag von allen weiteren Sitzungen aus. Henkel hatte Pretzell vorgeworfen, Interna aus den Sitzungen an Journalisten weitergegeben zu haben.