© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Den Vereinigten Staaten zu Diensten
BND-Skandal: Über Jahre hat der Auslandsgeheimdienst möglicherweise die Spionage gegen Deutschland unterstützt
Paul Leonhard

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat wieder einmal einen handfesten Skandal. Anders lassen sich die dürren Worte von Regierungssprecher Steffen Seibert zur Fernmeldeaufklärung gar nicht interpretieren: Bei der Dienst- und Fachaufsicht habe das Bundeskanzleramt technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert und unverzüglich Weisung erteilt, diese zu beheben. Außerdem wird geprüft, ob Antworten der Bundesregierung auf Fragen von Bundestagsabgeordneten „weiterhin uneingeschränkt Bestand haben“.

Mit anderen Worten: Die Regierung ist sich zumindest unsicher, ob der deutsche Geheimdienst ihr die Wahrheit gesagt hat. Aus Seiberts Worten läßt sich herauslesen, daß deutsche und europäische Staatsbürger vom BND ausgespäht worden sind. Denn dieser betont lediglich, daß es „nach wie vor keine Hinweise auf eine massenhafte Ausspähung“ gibt.

Damit dürfte klar sein, daß der BND tatsächlich, wie Spiegel Online am Donnerstag vergangener Woche berichtet hatte, über Jahre hinweg Daten aus europäischen Partnerländern an den amerikanischen Geheimdienst NSA weitergegeben hat, darunter sensible Informationen über Unternehmen und Politiker. Betroffen sollen insbesondere französische Behörden und Institutionen der EU sein. Bereits nach den Snowden-Enthüllungen war bekanntgeworden, daß die Deutschen alle Daten, die bei bestimmten Suchkriterien, E-Mail- und IP-Adressen sowie Telefonnummern registriert wurden, an die Amerikaner weitergegeben haben, von denen der BND die dafür nötige Analysesoftware übernommen hatte. Dabei ging es nicht nur um Terrorismus, sondern auch um europäische Rüstungsunternehmen wie EADS (Airbus) und Eurocopter. Als Konsequenz war das bis dahin von der G-10-Kommission des Bundestages genehmigte gemeinsame Aufklärungsprogramm „Eikonal“ beerdigt worden.

Jetzt mußte der für den Geheimdienst zuständige Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) vor den Obleuten des NSA-Untersuchungsausschusses einräumen, daß weiterhin unzulässige Suchbegriffe eingegeben und die Ergebnisse an die NSA weitergegeben wurden. Der Brisanz der illegalen Aktion war man sich beim BND sehr wohl bewußt.

Internetknoten im Visier

„Moratorium der G-10-Erfassung und parlamentarische Befassung mit unabsehbaren Folgen für FmA“ (Fernmeldeaufklärung), zitierte die Süddeutsche Zeitung aus einem Vermerk der zuständigen BND-Abteilung. Der BND habe sich wissentlich auf eine unkontrollierbare Zusammenarbeit mit der NSA eingelassen, wird Konstantin von Notz, Grünen-Obmann, im NSA-Untersuchungsausschuß, zitiert: „Der BND weiß, daß er Teil einer Gesamtmaschinerie ist, die deutschen Interessen widerspricht.“ Unklar ist, inwieweit das Bundeskanzleramt informiert war.

Die Ausschußmitglieder wollen daher Klarheit, was sich konkret hinter den bis zu 40.000 eigentlich vom BND abzulehnenden Suchanfragen der Amerikaner verbirgt. Entsetzt „über das Ausmaß der Desorganisation“ zeigt sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Im BND scheine es Bereiche zu geben, in denen sich „ein von Vorschriften und Rechtslage ungestörtes Eigenleben entwickelt hat“, sagte er Spiegel Online. Der Vorsitzende des NSA-Ausschusses, Patrick Sensburg (CDU), mag nicht glauben, daß der BND „Steigbügelhalter für die amerikanischen Geheimdienste“ war und fordert eine genaue Prüfung.

Während das politische Berlin noch uneins ist, wie mit dem neuen Geheimdienstskandal umgegangen werden soll und wen der BND nun unter welchen Voraussetzungen abhören darf und wen nicht, will der Betreiber des weltgrößten Internetknotens, des DE-CIX in Frankfurt am Main, sich gegen die Überwachungspraxis wehren. DE-CIX-Aufsichtsrat Klaus Langefeld kündigte in der Süddeutschen Zeitung eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht an. Seit mindestens 2009 soll der BND im großen Umfang Telefonate, Chats und E-Mails abfangen. Geprüft werden soll unter anderem, ob der deutsche Geheimdienst Ausländer ohne jede Einschränkung abhören darf.

Der Bedarf an Spezialisten ist beim BND indes ungebrochen hoch. Neben Übersetzern für Farsi oder Paschtu werden auf der Internetseite des Geheimdienstes händeringend Informatiker und Ingenieure der Elektro- und Informationstechnik gesucht.