© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Die Väter sind unter uns
Scheidung, Umgang und Unterhalt: Im deutschen Familienrecht werden Männer nicht selten benachteiligt. Ein Schicksalsbericht
Hinrich Rohbohm

Die Aktenordner füllen fast komplett eine Zimmerwand aus. Mehr als 30 sind es, prall gefüllt mit Dokumenten, mit denen sich Peter Thumm im Verlauf seines fast zehn Jahre andauernden Rechtsstreits mit seiner Ex-Frau auseinandersetzen mußte und die ihn manches Mal an den Rand der Verzweiflung getrieben haben.

„Wenn Sie tätlich werden, haben Sie verloren“

Der 58jährige sitzt in einem Restaurant nahe dem Schloß Hellenstein, dem Wahrzeichen der 46.000 Einwohner zählenden ostschwäbischen Stadt Heidenheim an der Brenz. Hier ist er aufgewachsen, hat sein Abitur gemacht und im Alter von siebzehn Jahren mit dem Segelfliegen begonnen. „Ich hatte mich von klein auf für Flugzeuge begeistert“, verrät der gelernte Diplomingenieur, der 1986 seine Tätigkeit als Flugkapitän bei einer großen deutschen Luftfahrtgesellschaft begann.

Was das mit seiner Ehe zu tun hat? Einfach alles. Denn der Maschinen des Typs Airbus A320 fliegende Pilot lernte im Beruf seine künftige Frau, eine Stewardeß, kennen. Anfangs waren sie nur ein Paar, lebten unverheiratet zusammen. Nach zwei Jahren drängte der Schwiegervater, wollte wissen, wann denn nun geheiratet werde. Peter Thumm war nicht abgeneigt, aber vorsichtig. Als er mehr über den beruflichen Hintergrund seiner Schwiegereltern erfahren wollte, seien stets ausweichende Antworten gekommen. Das machte ihn erstmals mißtrauisch. „Irgendwo war da bei denen ein Wohlstand ausgebrochen, der nicht zu erklären ist“, erzählt er. Als die Frau 1993 schwanger wurde, heirateten sie schließlich doch. Peter Thumm hatte aber sicherheitshalber einen Ehevertrag auf den Weg gebracht.

Für die Flugbegleiterin war der Flugkapitän das, was man als gute Partie bezeichnen könnte. Angesehener Beruf, hohes Einkommen, mehr als 5.000 Euro netto im Monat. „Ich hatte immer gut was über“, spricht Thumm ganz offen über seine finanziellen Verhältnisse.

Dann wird er nachdenklich, seine Worte kommen ihm jetzt etwas leiser über die Lippen als zuvor. „Ich bin trotzdem sehr unbefangen in die Ehe gegangen“, sagt er rückblickend. Daß es Frauen gebe, die aus reiner Berechnung heirateten, habe er sich nicht in dem Ausmaß vorstellen können, wie er es später erleben sollte. Verbitterung ist in seinen Worten zu spüren. Und Enttäuschung. Zwei Kinder sind aus der Ehe hervorgegangen, eine Tochter und ein Sohn. Die Tochter ist mittlerweile 21, der Sohn 17. Zu beiden hat er heute kaum noch Kontakt, sie seien ihm von der Mutter im Lauf der Jahre entwöhnt worden, sagt er. Die Liebe zwischen dem Paar kühlte schnell ab. 1998 kriselte es derart heftig, daß sie zur Eheberatung gingen. Fünfmal sollten sie den Berater wechseln. „Da merkte ich langsam, die Ehe war ihr eigentlich wurscht. Und wenn man merkt, man ist dem Partner gleichgültig, dann ist das schon eine ungeheure Belastung für eine Beziehung“, schildert Thumm die damalige Situation.

2005 folgt für ihn der nächste Schock. Die Haushaltsausgaben seiner Familie waren sprunghaft gestiegen. „Erst fiel mir das gar nicht weiter auf, weil wir ja immer gut was überhatten.“ Nach einiger Zeit sei er dann jedoch mißtrauisch geworden, sprach das heikle Thema auch in der Eheberatung an.

„Aber meine Frau gab sich vollkommen ahnungslos.“ Die Eheberaterin machte einen Vorschlag: „Legen Sie doch einfach mal ein Haushaltsbuch an, dann sehen wir ja, wo das Geld hingeht.“ Seine Frau sei empört gewesen, empfand das als Zumutung. „Als klar wurde, daß sie die hohen Ausgaben nicht erklären konnte, richteten wir ein Haushaltskonto ein.“

Das sei der Moment gewesen, in dem seine Frau sofort zum Anwalt gegangen sei. „Sie hatte diesen Schritt schon länger geplant.“ Beim Durchsehen der Kontoauszüge habe er bemerkt, daß sie sein Einkommen bereits benutzt hatte, um für sich Rücklagen zu bilden. Auch habe sie ein Jahr zuvor schon einen Scheidungsanwalt aufgesucht. Ende 2005 erhielt Peter Thumm ein Schreiben von der Anwältin seiner Frau. „Darin hatte sie von mir monatlich 6.184 Euro an Unterhalt gefordert.“

Peter Thumm blättert in einem Aktenordner, tippt auf die von ihm gelb markierte Summe. Danach hatte seine Frau 3.872 Euro an monatlichem Unterhalt für sich selbst eingefordert sowie 1.146 Euro und 1.166 Euro für die Kinder. In der Auflistung der Kosten schlug allein eine private Lebensversicherung mit 800 Euro zu Buche. „Später stellte sich heraus, daß es die Versicherung nie gegeben hat.“ Abenteuerlich sei auch die Unterhaltsforderung für den damals neun Jahre alten Sohn ausgefallen. Demnach benötige dieser 300 Euro monatlich für den allgemeinen Lebensbedarf. Hinzu kämen 250 Euro monatlich, die der Junge für Urlaub brauche, und noch einmal weitere 200 Euro im Monat für die Versorgung einer Maus, die sich der Sohn als Haustier halte.

Für die Einrichtung einer neuen Wohnung sollte Thumm seiner Frau zudem 50.000 Euro zahlen, für ein neues Auto 25.000 Euro. „Als sie sich eine neue Küche für 12.000 Euro gekauft hatte, sollte ich ebenfalls dafür aufkommen.“ Er habe sich geweigert, wollte lieber alles im Gesamtpaket zahlen. „Da ist sie tätlich geworden, hat mich mit Gegenständen beworfen.“

Der Sohn habe das alles mit ansehen müssen, weinte. „Ich bin einfach gegangen. Ich wollte mich nicht wehren, denn dann wäre ich dran gewesen“, ist Peter Thumm überzeugt; die Gerichte hätten in so einem Fall zugunsten seiner Frau entschieden. „Wenn Sie tätlich werden, haben Sie verloren“, sagt er.

Sie habe ihm den Autoschlüssel des Zweitwagens weggenommen. Wenn er den zurückfordere, würde er Schwierigkeiten bekommen, habe sie ihm gedroht. „Die habe ich doch schon“, hatte er entgegnet. Das sei nur der Anfang gewesen, habe seine Frau angekündigt. 2008 verweigerte sie ihm das Umgangsrecht mit den Kindern. Interventionen von seiten der Behörden: Fehlanzeige.

Jahrelang hatte das Paar gegeneinander prozessiert. Immer wieder fand Thumm Anwaltsschreiben mit einzuhaltenden Fristen von oftmals nur einer Woche in seinem Briefkasten. Fristen, die er als Flugkapitän mit häufigen Auslandsaufenthalten unmöglich einhalten konnte. Der Aktenberg wuchs. Trennungsunterhaltsverfahren, Scheidungsverfahren, güterrechtliches Verfahren, Umgangsrechtsverfahren bezüglich der Kinder, all das prasselte auf Peter Thumm ein und hinterließ Spuren in seiner Gesundheit.

Doch Thumm kämpfte sich mit Erfolg durch die Instanzen. Das Stuttgarter Oberlandesgericht wertete schließlich die eingereichten Unterhaltsbelege der Ehefrau als Prozeßbetrug. Sie wurde wegen versuchten Betruges in zwei Fällen in Tateinheit mit falscher eidesstattlicher Versicherung angeklagt. Aber: „Die Anklage wegen versuchten Prozeßbetruges in besonders schwerem Fall wurde fallengelassen“, zeigt sich Thumm verärgert. Phasenweise blieben ihm aufgrund der hohen Unterhaltszahlungen weniger als 850 Euro zum Leben. „Ich habe in dieser Zeit von meinen Rücklagen gelebt.“

Nicht selten gerieten Väter aufgrund horrender Unterhaltsforderungen in Existenznöte. „Die Leute sind einfach fertig“, sagt der pensionierte Flugkapitän. Knapp 200.000 Scheidungen gebe es im Jahr. „Die Väter, bei denen nichts zu holen ist, läßt man in Ruhe. Da sind die Gerichtsakten entsprechend dünn. Bei denen aber, wo Einkommen und Vermögen vorhanden sind, da kommt es zu jahrelang andauernden Prozessen“, erklärt Thumm.

Für ihn einer der Gründe dafür, daß viele Menschen, die sich etwas aufgebaut haben und beruflich erfolgreich sind, das Risiko der Ehe inzwischen scheuen. Denn für einen Großteil der Betroffenen sei eine Scheidung gleichbedeutend mit finanziellem Ruin. Viele würden krank, andere obdachlos. Manche würden sich deswegen sogar umbringen. Immer mehr Männer würden sich daher gegen die Gründung einer Familie entscheiden.

Für eine Gesellschaft in Zeiten konstant rückläufiger Geburtenzahlen ein großer Verlust. Seit März vorigen Jahres ist für Peter Thumm der Rechtsstreit mit seiner Ex-Frau abgeschlossen. „Das Ganze hat mehr Zeit in Anspruch genommen als ein Hochschulstudium, und es hat mehr Geld gekostet“, resümiert er. „Egal, an wen Sie sich in solchen Fällen wenden, Sie werden allein gelassen.“ Er bat Abgeordnete verschiedener Parteien, sich des Themas anzunehmen. Die aber schrieben lediglich zurück, daß sie nichts tun könnten. Er kontaktierte die großen Printmagazine in Deutschland. Die hätten ihm aber mitgeteilt, sie hätten kein Interesse. Begründung: So etwas passiere ja schließlich millionenfach.

„Ich war einer der wenigen, die mal den Sprung in die Medien geschafft haben. Die meisten aber gehen kaputt“, verrät Thumm.

Das kann auch Franz Jörg Krieg bestätigen. „Gerade das Umgangsrecht des Vaters wird oft umgangen. Wenn die Mutter nicht will, dann wird das einfach unterlaufen“, erklärt der baden-württembergische Landesvorsitzende der Opferhilfsorganisation Väteraufbruch für Kinder (VAfK) gegenüber der jungen freiheit.

Endlich wieder Kontakt zum eigenen Sohn

Daß es auch anders gehen könne, sei etwa in Frankreich zu beobachten. „Wenn einem Vater dort der Umgang mit dem Kind vorenthalten wird, kommt die Polizei.“ Zudem werde in Deutschland gegen Mütter bei strafrechtlich relevanten Vergehen in familienrechtlichen Auseinandersetzungen nur selten das Strafrecht angewand; bei Vätern hingegen komme das weitaus häufiger vor.

Krieg sieht vor allem im Alleinerziehungsmerkmal ein Problem. „Alleinerziehen ist politisches Programm in Deutschland, und die Justiz führt das entsprechend aus.“ Jedoch dürfe es kein Automatismus sein, daß getrennt lebenden Müttern vorschnell auch der Status einer Alleinerziehenden zugeschrieben werde. „Wir haben in Deutschland das Residenzmodell“, erläutert Krieg. Dies bedeutet, daß das Kind bei einem Elternteil, zumeist der Mutter, bleibt und diese dann auch die Erziehung des Kindes übernimmt. „Aber Hunderttausende Väter wollen ihre Kinder auch miterziehen und können es oftmals nicht, weil Mütter ihnen das Umgangsrecht verweigern.“

Zieht die Mutter mit dem Kind in eine weiter entfernte Gegend, würden schnell Fakten geschaffen, der Vater von seinen Kindern dauerhaft getrennt. In den USA beispielsweise sei das so nicht möglich. Ziehe dort ein Elternteil in einen weiter als 100 Meilen entfernten Ort, bleibe das Kind beim Elternteil am alten Ort. Eine Hinwendung zum Wechselmodell, bei dem beide die Erziehung des Kindes übernehmen, dürfe daher kein Tabu mehr sein, fordert Krieg.

Für Peter Thumm hingegen gibt es nach den jahrelangen Prozeßstrapazen immerhin einen Hoffnungsschimmer: Seit ein paar Monaten hat er wieder Kontakt zu seinem Sohn.

„Fatale Entwicklung“

Von 1.000 geschlossenen Ehen wurden laut Statistischem Bundesamt 375 geschieden (2012). Aus etwas weniger als der Hälfe der in dem Jahr geschiedenen Ehen war mindestens ein Kind hervorgegangen. In den meisten Fällen ging der Antrag auf Scheidung von der Frau aus (94.155 gegenüber 71.011 vom Mann).

Nach Angaben von Opferhilfevereinen in Deutschland verlieren jedes Jahr Tausende Kinder nach einer Trennung der Eltern den Kontakt zu einem Elternteil – oftmals dem Vater. Um daran zu erinnern, wird seit 2006 jeweils am 25. April der Eltern und Kinder gedacht, die einander entfremdet wurden.

Astrid Leonhardt , die als Rechtspflegerin im Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis zuständig für Amtsvormundschaften und Unterhaltsvorschüsse war, resümierte auf einer Fachtagung, man beobachte „bei Trennungen eine für die Kinder sehr fatale Entwicklung, da die Intensität des Trennungskonfliktes gewaltig zugenommen hat. Vor allem Frauen kämpfen mit sehr harten Bandagen und lassen leider gar nichts aus.“ Die „Drückeberger unter Vätern“ seien eher selten und gegen sie werde durchaus mit juristischen Mitteln erfolgreich vorgegangen.

Foto: Kluft zwischen Mutter mit Kindern und dem Vater: Viele beruflich erfolgreiche Menschen scheuen mittlerweile das Risiko, eine Familie zu gründen