© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

EU-Kommission leitet Kartellverfahren gegen Gazprom ein
Kraftprotzerei
Thomas Fasbender

Geht es um das Aushorchen europäischer Institutionen oder um Wirtschaftsspionage durch transatlantische Partner regiert diplomatische Zurückhaltung. In anderen Bereichen glaubt man, daß die EU vor Kraft kaum laufen kann. Hier werden Sanktionen durchgesetzt, dort Strafen erteilt, jene werden boykottiert und andere ermahnt. Menschenrechte, Demokratie, Freiheit, Wettbewerb – man weiß am Ende gar nicht mehr, was wir nicht alles besser wissen.

Seit voriger Woche ist Gazprom dran, zuvor war der US-Konzern Google im Visier. Das russische Gas-Gigant soll in Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Tschechei und der Slowakei sowie in Ungarn seine Marktposition mißbraucht und EU-Wettbewerbsrecht verletzt haben. Aber natürlich geht es um Politik. Der Ausstieg der Russen aus dem Schwarzmeer-Pipelineprojekt „South Stream“ hat Brüssel tief getroffen. Hinzu kam die Ankündigung, ab 2019 werde es keinen Gastransit durch die Ukraine mehr geben. Europa möge Vorkehrungen für die Übernahme des Gases an der türkisch-griechischen Grenze treffen.

Nicht nur wirft das die langfristige Planung der EU-Gasinfrastruktur über den Haufen. Auch politisch paßt die Perspektive, daß die Ukraine beim Gas-Transit umgangen wird, nicht ins Konzept: Das Transitgeschäft verhilft Kiew nicht nur zu dringend benötigten Devisen, es verschafft dem mühsam ins westliche Lager gezogenen Alliierten auch politisches Gewicht.

Europa spekuliert darauf, daß es am längeren Hebel sitzt. Rußland werde es nicht schaffen, den sinkenden Gasabsatz im Westen durch neue Lieferungen nach China und Restasien zu kompensieren. Manche halten sogar die völlige Abkoppelung von russischen Lieferungen für realistisch. Doch weder reichen die Hafen- und Anlagenkapazitäten für teures Flüssiggas aus Amerika oder Katar, noch ergibt die komplette Umstellung der EU-Versorgungsstruktur kommerziell Sinn. Und wenn es ums Gas ging, waren die Geschäftsbeziehungen selbst zur Zeit des Kalten Krieges stabil. Beide Seiten wußten, was sie aneinander hatten.

Aber das ist Vergangenheit. Heute lehrt die EU-Kommission den Großen dieser Welt Mores. Ob die Russen die Lektion goutieren? Die Brüsseler Beamten interessiert das nicht. Mit der Ukraine haben sie 2013 die Assoziierung durchgepaukt, mit Gazprom pauken sie jetzt Wettbewerb. So lange, bis es sitzt.

Nur wissen die Russen eben auch, daß alles nur Mummenschanz ist. Die Drohungen, die Prozesse – nur Kraftprotzereien fürs Publikum. Die paar hundert Millionen, die Microsoft an die EU zahlte, haben allenfalls am Quartalsergebnis gekratzt. Facebook reagiert mit ein wenig Privatsphäre-Kosmetik. Glaubt irgendwer, die Welt nähme Europa ernst?

Kartellverfahren der EU-Kommission: ec.europa.eu/