© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Umwelt
Wo bin ich nur?
Bernd Rademacher

Wer für jede einfache Addition den Taschenrechner zur Hand nimmt, verlernt irgendwann das Kopfrechnen. So ähnlich ist es auch mit dem Orientierungssinn, sagen Wissenschaftler nun. Forscher der TU Dresden gehen davon aus, daß Menschen in fremder Umgebung automatisch eine „innere Karte“ im Kopf speichern. Die Kartographen sind überzeugt, dieser angeborene Orientierungssinn leidet, wenn man sich nur noch aufs Navigationsgerät verläßt.

Psychologen, Verkehrsforscher und Geo-Informatiker verschiedener Universitäten stützen die These. In Saarbrücken wurden dazu Gruppen von Probanden ohne Ortskenntnisse durch den örtlichen Zoo geschickt. Die Gruppen mit dem Navi konnten die gelaufenen Wege anschließend kaum noch nachvollziehen, während sich die Nutzer von Papierkarten die Routen eingeprägt hatten. In Grönland stießen die Wissenschaftler auf eine tragische Bestätigung: Junge Eskimos finden sich im Eis ohne Navi nur noch sehr schlecht zurecht – ganz im Gegensatz zur Generation ihrer Eltern und Großeltern.

Durch die Ausschnitt-Sichtweise wird kein mentales Bild der

Gesamtschau aufgebaut.

Die Kritiker sind sich einig, daß die Funktionsweise der Geräte den Effekt noch verstärkt. So lenken werbliche Symbole für Banken, Tankstellen oder Restaurants die Nutzer ab und bringen für die Orientierung keinen Gewinn. Außerdem bauen die Anwender durch die Ausschnitt-Sichtweise kein mentales Bild der Gesamtperspektive auf.

An der Universität Münster arbeitet eine interdisziplinäre Mannschaft von Geographen, Psychologen und Informatikern an einer neuen Gerätegeneration, die den Nutzern helfen soll, ihren Orientierungssinn zurückzugewinnen und zu schärfen. Dazu bietet der Prototyp eine minimalistische Karte, die auf Orientierungspunkten wie markanten Gebäuden aufbaut.

Noch einfacher: Öfter mal zur Papierkarte greifen.