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Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Grünes Flügelschlagen
Christian Schreiber

Schon vor Schließung der Bremer Wahllokale am Sonntag steht für Beobachter im politischen Berlin ein Verlierer fest: die Grünen. Vor vier Jahren, nach dem Reaktorunglück in Fukushima, erzielte die Partei im Norden mehr als 20 Prozent. Mindestens fünf Prozent weniger sagen die Demoskopen diesmal voraus.

Es wäre ein Ergebnis, das sich einreihen würde in eine lange Liste von mäßigen Resultaten seit der Bundestagswahl 2013. Und es käme zu einem Zeitpunkt, in dem die Partei von Personal- und Richtungsdebatten durchgeschüttelt wird. Die Fraktionsführung mit Katrin Göring-Eckardt und Toni Hofreiter sowie die Parteispitze mit Cem Özdemir und Simone Peter sind bislang blaß geblieben. Es gärt in der Partei. „Wer die Chance hat, einen Beitrag zu leisten, der unserer Partei größere Verantwortung ermöglicht, sollte diese Chance nicht leichtfertig wegwischen“, erklärte unlängst der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck. Dem 45jährigen werden Ambitionen nachgesagt, nach Berlin zu wechseln.

Dies wäre eine Kampfansage an die Parteiführung, zumal der linke Parteiflügel alles unternehmen wird, um eine Spitzenkandidatur Özdemirs bei der Bundestagswahl zu verhindern. Denn daß der Realo-Flügel um Özdemir ein Bündnis mit der Union nicht mehr ausschließt, geht den Fundis entschieden zu weit. Und so meldete sich der linke Parteiflügel jetzt in einer Form zu Wort, die für Özdemir der Inbegriff der von ihm kritisierten „Krawallpolitik“ sein muß. Die Bundestagsabgeordneten Katharina Dröge und Sven-Christian Kindler fordern in einem Positionspapier einen „radikalen Umbruch des Wirtschaftssystems, um eine andere Gesellschaft in Deutschland, ja, um eine andere Welt“ zu erreichen. Solche Töne sind Gift für das interne Klima. Denn nach der Bremen-Wahl dürfte sich der Blick ziemlich bald nach Baden-Württemberg richten, wo 2016 gewählt wird und wo mit Winfried Kretschmann der einzige grüne Ministerpräsident zur Wiederwahl steht. „Mit einem Kuschelkurs mit der Wirtschaft, der soziale Fragen ausblendet, wird der ökologische Umbau schon im Ansatz scheitern. Um die Klimakatastrophe noch abzuwenden, braucht es eine ökologische Revolution unserer Wirtschaft, heißt es in Richtung der Parteiführung

Wie das finanziert werden soll, erklären die Autoren auch gleich. „Ein starker Sozialstaat und eine massive Umverteilung von oben nach unten“, heißt die Parole, die wohl auch die Linkspartei nicht radikaler formulieren könnte. Mehr Ganztagsschulplätze, zusätzliche Kita-Plätze, eine Garantierente und höhere Steuern auf Vermögen, Erbschaften, Einkommen und Kapitalerträge bilden den Rahmen für eine Wirtschaft, „die gleichzeitig eine soziale und eine ökologische Lenkungswirkung hätte, heißt es. Und auch ein Dauerbrenner aus grauer Vorzeit wurde wieder hervorgekramt. Das Benzin solle deutlich teurer werden. Vermutlich hatte Parteichef Özdemir das gemeint, als er vor einem Rückfall in die Flegeljahre gewarnt hatte.