© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de

Die Flüchtlingswelle reiten
Boombranche Asyl: Während die Kommunen stöhnen, profitieren manche Hoteliers, Wachfirmen und die Sozialindustrie von den Einwanderern
Billy Six/Ronald Gläser

Franz Allert spricht Klartext. „Sie kennen die Lage im Land Berlin. Wir müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen.“ Rums. Damit war in der Anwohneranhörung in Berlin-Marzahn für ihn alles gesagt.

Die Wortbeiträge der Anwohner, die unzufrieden mit dem geplanten Asylbewerberheim sind, hörte sich der Chef des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) zwar an. Aber sie bewirkten nichts. Allert, Berlins wichtigster Armutsbürokrat, reist durch die Stadt, um immer neue Unterkünfte zu eröffnen. Es ist seine Mission.

Nicht aus Nächstenliebe, sondern wegen des Profits

Inzwischen wächst die Kritik an Allerts Behörde – nicht nur von empörten Anwohnern. Auch für Aziz Bozkurt ist das Maß voll. „Das undurchsichtige Treiben im Hause von Senator Mario Czaja muß jetzt endlich ein Ende haben“, klagt der türkischstämmige SPD-Politiker in Berlin. Es geht um die dem Sozialsenator unterstellte Behörde. Allert werden nämlich mehrere Dinge zu Last gelegt: Zwei Firmen, die für das Landesamt arbeiten, sollen Leistungen falsch abgerechnet haben. Deswegen werden die Verträge mit den Heimbetreibern Gierso Boardinghaus Berlin GmbH (Gierso) und Professionelle Wohn- und Betreuungsgesellschaft mbH (Pewobe)von externen Wirtschaftsprüfern und Landesbeamten geprüft.

Damit nicht genug. Allerts Behörde soll zudem Mittel falsch eingesetzt und Pewobe bevorzugt haben. Die Firma wird von seinem Patensohn geleitet, berichtet der RBB. Wegen solcher Vorwürfe läuft seit 2014 ein Ermittlungsverfahren gegen den Spitzenbeamten. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft in der Zeit nicht eine einzige Akte sichergestellt. Diese Untätigkeit hat der Staatsanwaltschaft inzwischen eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt eingebracht.

Weitere Details sind nicht bekannt, weil die Firmen und Behörden mauern. Die Unternehmen Gierso und Pewebo, die allein in Berlin 17 Asylantenheime betreiben, machten gegenüber der JUNGEN FREIHEIT keine Angaben zu den Vorwürfen. Und wenn Journalisten beispielsweise das von der Pewobe betriebene Asylantenheim in der Carola-Neher-Straße in Berlin-Marzahn besuchen wollen, werden sie von einem Wachmann abgewimmelt: Unangemeldete Pressebesuche sind dort unerwünscht.

Das alles ist kein Einzelfall. Asyl ist eine neue Wachstumsbranche in Deutschland. Die Öffentlichkeit erfährt jedoch wenig davon, wird stattdessen abgespeist mit pauschalen Aussagen à la Wolfgang Schäubles Antwort auf Pegida: „Zuwanderung nutzt uns.“

Freyung knüpft Schicksal an neues Asylantenheim

In Wahrheit gibt es eine Reihe von Lobbyisten, die Zuwanderung befürworten, weil es sich für sie rechnet – und nicht, weil sie ein so großes Herz haben. Arbeitgeber und Vermieter etwa, die hoffen, langfristig die Löhne drücken und Mieten erhöhen zu können. Oder Politiker, die auf neue Wähler schielen. Gerade viele Hoteliers, deren Objekte sich nicht mehr so gut vermieten lassen, haben plötzlich neue Gäste, für die der Staat aufkommt. Dauerbelegung mit Vollpension, ein Traum jedes Hotelbetreibers. In Leipzig fand im April eigens eine Fachmesse zum Thema statt: Unter dem Motto „Flüchtlinge, Asyl und Immobilienwirtschaft“ berieten sich einen Tag lang Politiker und Vermieter über die Chancen, die die Zuwanderung der Branche bringe. Diskussionsrunden liefen zu Themen wie „Ja zur Zuwanderung – ein Plädoyer aus Erfahrung“ oder „Wie sage ich es meinem Mieter?“ statt.

Dann die Sozialindustrie, für die jeder neue Kunde eine neue Einnahmequelle darstellt. Und manchmal auch die Bürgermeister, die ihr Gemeindesäckel füllen – wie das Beispiel von Freyung zeigt. „Der Standort Freyung ist jetzt voll“, erklärte Bayerns östlichster Landkreis Freyung-Grafenau mit Blick auf seinen Verwaltungssitz im Oktober vergangenen Jahres vorzeitig. Die 7.000-Einwohner-Stadt, Tourismus-Magnet im Bayerischen Wald, hatte da gerade 24 junge Männer aus dem ostafrikanischen Eritrea aufgenommen. Sie leben in einer Sammelunterkunft, haben Fahrräder bekommen und erhalten im Monat 300 Euro pro Mann. Die Lokalpresse feierte die „herzliche Aufnahme“ durch die einheimische Bevölkerung. Die Männer erzählen beim Tee von ihrer gefährlichen Reise nach Europa: Über 6.000 Dollar haben sie für ihre monatelange Odyssee an die Schlepper gezahlt. Zu den Gründen ihrer Ausreise nur soviel: „Keine Demokratie, nix Freiheit.“ Eritrea ist Afrikas letzte sozialistische Diktatur.

Im November dann landete Bürgermeister Olaf Heinrich (CSU) einen besonderen Coup: Freiwillig wolle er weitere Asylbewerber aufnehmen – bis zu 450. Auf Nachfrage der JF bestätigt Freyungs Hauptamtsleiter Herbert Graf: „Es gab keinen Zwang.“

So wurde eine seit 15 Jahren leerstehende Kurklinik am Südrand der Stadt für vier Millionen Euro gekauft. Der Stadtrat, bestehend aus CSU, ÖDP und drei Wählergruppen, stimmte in nichtöffentlicher Sitzung einstimmig dafür. Freyung spekuliert auf ein einträgliches Geschäft. Knapp 40 Euro zahlt die Bezirksregierung von Niederbayern jeden Tag pro Asylant. Das entspräche einem Betrag von 6,5 Millionen Euro im Jahr. Ab wann sich das Geschäft für die verschuldete Kommune rentiert, mag die Stadt der JF nicht verraten. Wörtlich teilte Verwaltungsamtschef Graf mit: „Da die Aufwendungen sehr schwanken, ist diese Frage präzise nicht zu beantworten.“

Das Geschäftsmodell soll zudem nicht ewig betrieben werden. „Die Freyunger Bevölkerung kann sich darauf einstellen, daß die Nutzung als Unterkunft für Asylbewerber von begrenzter Dauer ist“, so der Bürgermeister bei einer Pressekonferenz. Es sei geplant, anschließend das Gebäude abzureißen und einen Investor zu suchen, der ein Hotel baue. Wenn dies gelänge, könne die Stadt einen Gewinn erwirtschaften – und habe Glücksritter davon abgehalten, mit der Geschäftsidee Geld in ihre Privattasche zu wirtschaften.

Aufgabenteilung verhindert Kostenrechnung

Das Geschäft mit der Unterbringung boomt. In Berlin machen Privatfirmen den Reibach, während in Bayern eine Gemeinde selbst abkassiert. Diese Unterschiede sind dem föderalen Aufbau Deutschlands geschuldet. Für die Unterbringung und Bezahlung der Asylanten sind die Bundesländer verantwortlich, auch wenn die Bundesregierung sich an den Kosten zunehmend beteiligt. Jede Landesregierung organisiert die Versorgung anders. Viele delegieren die Aufgabe an die nachgeordneten Kommunen. Diese erhalten meistens eine Pauschale. Jede eine andere für andere Leistungen. Daher sind die Gesamtkosten nicht eindeutig ermittelbar. Und die Kommunen geben das Geld weiter an Betreiberfirmen oder an Vermieter.

Die Regierung von Niederbayern reicht jene 40 Euro pro Asylbewerber und Tag an untere Gliederungen weiter, ein Spitzenwert. In Baden-Württemberg sind es laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 34 Euro. In Berlin hingegen 10 bis 30 Euro bei einer Unterbringung in einem Wohnheim. Deswegen sei es günstiger für die Stadt, Asylbewerber in eigens angemieteten Wohnungen unterzubringen, so die Prenzlauer Berg Nachrichten: „Für eine vierköpfige Familie kommen so zwischen 1.200 und 3.600 Euro pro Monat zusammen.“ Das ist deutlich mehr, als der Staat für eine deutsche Hartz-IV-Familie ausgeben würde. In Ausnahmefällen werden in Berlin auch Zimmer in Hostels angemietet – für 50 Euro pro Person und Tag.

Es gibt skurrile Einzelfälle, in denen Kommunen noch deutlich tiefer in die Tasche greifen, um die Asylbewerber unterzubringen. In Hamburg, wo die Lage auf dem Wohnungsmarkt ohnehin sehr angespannt ist, hat die Stadt zu einem besonders drastischen Mittel gegriffen: Sie mietete ein Hotelschiff an, die „Transit“.

Die Mietpreisbremse gilt nicht für Asylanten

Bei der Inhaberin, einer holländischen Reederei, dürften die Sektkorken geknallt haben, als der Vertrag unterzeichnet wurde. Der 21 Jahre alte Kahn kostet die Hansestadt nun 122.670 Euro im Monat. Der Kommunalpolitiker Rainer Bliefernicht (CDU) hat ausgerechnet, daß dies bei einer geplanten Maximalbelegung von 216 Gästen 568 Euro pro Person entspräche. Die Passagiere sind in Zwölf-Quadratmeter-Kabinen untergebracht. Die Miete pro Quadratmeter liegt demnach bei 47 Euro. Ein Wahnsinnspreis, wenn wir bedenken, daß selbst in vornehmen Gegenden wie Blankenese weniger als 20 Euro pro Quadratmeter gezahlt werden. Die Mietpreisbremse gilt hier offenbar nicht.

Zudem: Leider ist das Schiff derzeit noch nicht vollständig bezugsfähig, so daß der wirkliche Quadratmeterpreis möglicherweise fast dreimal so hoch ist. Ende April lebten dort 60 Personen. Der Chef der Hamburger Sozialbehörde, Jan Pörksen (SPD), wird mit den Worten zitiert, die Anschaffung des Schiffs sei „ein Fehlgriff“ gewesen. Leider kann Pörksen ihn erst 2019 wiedergutmachen, weil sein Amt den Mietvertrag vorsorglich auf fünf Jahre befristet hat. Die Reederei Chevalier Floatels mit Sitz im niederländischen Kootwijkerbroek ließ JF-Anfragen zu ihrem Geschäftsmodell bis Redaktionsschluß unbeantwortet.

Das steht einem Asylbewerber zu

In der dreimonatigen Aufnahmephase wird laut Gesetz der Bedarf an „Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern“ durch Sachleistungen gedeckt. Asylanten erhielten nur ein Taschengeld (40 Euro). Das Bundesverfassungsgericht verwarf das Gesetz: Es ordnete an, daß Asylbewerbern die gleichen Leistungen wie herkömmlichen Sozialhilfebeziehern zustehen.

Seit März haben Asylbewerber nach der Aufnahmeperiode Anspruch auf 359 Euro pro Monat. Außerdem kommt der Staat für Miete, Heizung und sogenannte „Leistungen für Bildung und Teilhabe“ auf. Er bezahlt die Arztrechnungen der in der Regel nicht krankenversicherten Asylbewerber. Diese Regelung gilt auch für alle rechtskräftig abgelehnten Asylbewerber. Deren Zahl betrug 533.208 (am Stichtag 31. Dezember 2014).

Foto: Hotelschiff „Transit“ in Hamburg und Lageso-Chef Franz Allert (mit Asylbewerberheim-Kritikerin) in Berlin (2013): Die Öffentlichkeit erfährt wenig über die neue Wachstumsbranche, in der das schnelle Geld winkt