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Die Mafia mischt ordentlich mit
Italien: Die Seenotrettung schützt nicht nur Menschenleben, sondern forciert das Geschäft mit der illegalen Migration
Marco F. Hermann

Italien klagt auf hohem Niveau. Das behauptet Izzeddin Elzir, Präsident des UCOII, des größten muslimischen Dachverbandes auf der Apen-ninhalbinsel. „Wenn ein kleiner Staat wie Jordanien eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat, dann kann die Zahl für Italien höher ausfallen“, provoziert Elzir und fährt fort: Zwei Millionen – wie in der Türkei – seien verkraftbar. Die Immigranten belebten darüber hinaus die lokale Wirtschaft.

Matteo Salvini von der Lega Nord sieht das prinzipiell anders. Ginge es nach dem Parteichef, käme es zum Einsatz der italienischen Kriegsmarine, um die illegale Einwanderung zu unterbinden. Die Marine solle „retten, wen sie retten müsse“, aber dürfe „absolut niemanden“ an Land gehen lassen. In Livorno wird Salvini wegen solcher Sprüche von roten Fahnen bedrängt und mit Tomaten beworfen. Unter Beleidigungen und „Bandiera Rossa“-Gesängen linksextremer Aktivisten muß der Leghista die Kundgebung abbrechen.

Es herrscht Wahlkampf in Italien, und kein Thema polarisiert derzeit so sehr wie die Migrationspolitik. Am 31. Mai finden Regional- und Kommunalwahlen in sieben Regionen und über tausend Städten und Gemeinden statt. Der Urnengang gilt als Stimmungstest für die Demokratische Partei und ihren Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Renzi kann dabei nicht völlig in das Lager der Einwanderungsbefürworter wechseln, da er es sich weder mit den unzufriedenen Wählern noch mit den überlasteten Bürgermeistern verscherzen kann. So ließ auch der Ministerpräsident verlauten, daß auf den Booten „nicht nur unschuldige Familien“ übersetzten.

Spätestens seit dem Schiffsunglück vom 19. April, bei dem über 800 Menschen starben, hat Renzi den Schleusern den Kampf angesagt. Als Modell dient die Mission „Atalanta“, die seit 2008 zur Bekämpfung somalischer Piraten am Horn von Afrika operiert. Eine multinationale Armada soll dabei nicht nur den Grenzschutz übernehmen, sondern auch militärische Aktionen an der libyschen Küste ausführen und Stützpunkte von Schleusern sowie deren Boote zerstören.

Starker Wettbewerb der Schleuser senkt Preise

Tatsächlich setzen 90 Prozent der Bootsflüchtlinge von Libyen aus nach Italien über. Als eine der Hauptrouten gilt die Strecke vom Hafen Zuwara über die Insel Lampedusa nach Sizilien. 170.000 Personen überquerten das Mittelmeer allein im Jahr 2014; die größte homogene Gruppe bildeten dabei die Syrer. In der Gesamtzahl überwog dagegen der Anteil der afrikanischen Migranten, die insbesondere aus Eritrea, Somalia und Westafrika einwanderten. 70 Prozent von ihnen waren unter 36 Jahre alt, männlich und alleinstehend.

Seit Beginn des Jahres schwellen die Flüchtlingsströme an. In den Monaten Januar und Februar erreichten noch annähernd 8.000 Immigranten die italienische Küste. Allein am vergangenen Wochenende griffen die Behörden nun 4.200 Personen auf.

Eine Aktion gegen die Schleuser an der libyschen Küste kratzt jedoch nur an der Oberfläche. Das Netzwerk aus Schmugglern, die ihre Kunden durch die Sahara bringen, ist nur lose und dezentral organisiert. Der Handel läuft über Landsleute ab und beginnt bereits im Herkunftsland. Kontaktmänner warten ebenso an der libyschen Küste, wie in Europa selbst. Die Überfahrt erfolgt nach flexibler Absprache. Der Unterschied zwischen Fischerboot und Flüchtlingsboot verschwimmt je nach Bedarf. Daneben bleiben noch die zahlreichen Schlauchboote, die am Strand zusammengeflickt werden.

Die Unglücke der vergangenen Monate sind mehreren Umständen geschuldet. So statten viele Schleuser die Boote nicht mehr für eine Fahrt ans Festland aus, sondern spekulieren auf eine Seerettung durch italienische oder maltesische Behörden. Der Wettbewerb unter neuen Schleusern hat dazu geführt, daß der Preis für die Überfahrt einzelner Personen gefallen ist; um dennoch den üblichen Profit einzustreichen, überfüllen die Schmuggler die Boote absichtlich. Davon sind die ärmeren Afrikaner weit häufiger betroffen als die Syrer, die stattdessen eine teurere, aber sichere Fahrt bezahlen.

Die Profiteure des Systems sitzen aber auch in Italien selbst. Ebenfalls im Jahr 2011 verabschiedete die Regierung ein Gesetz, das staatliche Zuschüsse für die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften vorsah. Pro Bewohner zahlte der Staat einen Tagessatz von 45 Euro (heute: 35 Euro).

Beschwerden über rigide österreichische Grenzer

Die Unterbringung von Migranten hat sich seitdem zu einem lukrativen Geschäft entwickelt, dessen Umsatz im dreistelligen Millionenbereich liegt. Neben den Flüchtlingscamps in Süditalien stiegen Gaststätten und Hotels in das Geschäft ein und schufen zusätzliche Schlafplätze. Daß die Mafia ebenfalls in die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen verwickelt ist und dabei staatliche Subventionen einstreicht, ist spätestens seit dem Skandal in der Hauptstadt Rom ein offenes Geheimnis.

Diejenigen Italiener, die auf eine Lösung des Problems drängen, sehen sich dagegen insbesondere von der EU enttäuscht. Gemäß Dubliner Abkommen ist grundsätzlich jener EU-Staat für die Versorgung verantwortlich, in den ein Flüchtling zuerst einreist. Wenig überraschend versuchen italienische Behörden seitdem, sich des Problems zu entledigen, indem sie den Strom weiterleiten. Bereits 2013 wurde bekannt, daß afrikanischen Migranten 500 Euro ausgezahlt wurden, wenn sie dafür nach Deutschland weiterreisten.

An der italienisch-österreichischen Grenze am Brenner wiederum beklagt sich Italiens Polizeigewerkschaft über allzu strenge Kontrollen ihrer österreichischen Kollegen. Deren Mißtrauen war berechtigt: Im Jahr 2014 wurden 5.000 illegale Migranten von der österreichischen Polizei nach Italien zurückgeführt.

Foto: Ankunft geschleuster und dann geretteter illegaler Migranten auf Sizilien: 70 Prozent der Bootsflüchtlinge sind männlich und alleinstehend