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Zu einem Videoclip verschnitten
Ein beschriebenes Blatt: Am Anhaltischen Theater Dessau hat sich Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ vollendet
Sebastian Hennig

Mit einer letzten Premiere ist die Inszenierung von „Der Ring des Nibelungen“ in der Bauhausstadt Dessau nun abgeschlossen worden. Natürlicherweise verfügt ein „Ring“ über kein Ende und keinen Anfang. So ist es eigentlich auch in Wagners Bühnenfestspiel: Am Vorabend wird das Gold dem Strom entrissen, um nach drei weiteren Abenden wieder in dessen Fluten aufzugehen. Dazwischen verzweigt sich ein Drama von Gier, Liebe und Macht. Jeder der Teile ist ein für sich abgeschlossenes Geschehen und kann ebenso einzeln aufgeführt werden, ohne daß das Verständnis darunter leidet.

In Dessau wurde in umgekehrter Reihenfolge im Mai 2012 mit der „Götterdämmerung“ begonnen. 2013 wurde „Siegfried“ als computerspielender Lümmel vorgeführt (JF 9/14). Das vergangene Jahr entrückte dann „Die Walküre“ in die Traumfabrik von Hollywood (JF 42/14). Für den unschuldigen Ausgang des Ganzen wurde eine ehrliche Kalligraphie in Aussicht gestellt.

Regisseur und Intendant André Bücker läßt also seinen „Ring“ als ein medienkritisches und kulturpessimistisches Nummern-Varieté ablaufen. Von den Datenblitzen im Glasfaserkabel geht das Geschehen zurück bis zur Unschuld eines weißen Blattes. Darum zeigt sich das Szenenbild von „Das Rheingold“ wie ein blankes Papier ausgebreitet. Die Kostüme sind von makellosem Weiß, ebenso das doppelte Gehäuse der bewegten Rotunde und der zwei halbrunden Schirme davor, die schon in den anderen Teilen ringförmig umeinander kreisten. Diesen wird während des Vorspiels von einem riesigen unsichtbaren Pinsel ein blaues Aquarell aufgetuscht. In der Mitte der gewaltigen Bühne des Dessauer Opernhauses sind die Rheintöchter jedoch dem Publikum so weit entzogen, daß ihr Gesang über der Entfernung buchstäblich auf der Strecke bleibt. Sobald sie Alberich (Stefan Adam) mit ihren Neckereien zu Leibe und damit selbst an den Bühnenrand rücken, sind sie auch wieder deutlicher zu vernehmen.

Der Auftritt der Götter und Riesen wird begleitet von Doppelgängern als weißen Schattenrissen in der Art des Rokoko. Sparsam animiert regen sie sich vor dem dunklen Grund. Später, als ihnen mit Freia (Angelina Ruzzafante) zugleich die goldenen Äpfel und die ewige Jugend entführt wird, verformen sich ihre Silhouetten zu unförmigen Mißgestalten. Die Riesen treten mit Eimern voller weißer Tünche auf.

Stephan Klemm hat gesundheitliche Einschränkungen seiner Stimmkraft vorab entschuldigen lassen. Davon ist ihm keine Spur anzumerken und sein Fasolt wird der sängerische Glanzpunkt des Abends. Alberich und Loge (Albrecht Kludszuweit) lassen in der dramatisch-komödiantischen Forcierung ihres Rollentyps die Stimmen manchmal etwas zu stark überschnappen.

Die Trickfilmeinspielungen

sind letztlich fehl am Platz

Die ersten zwei Drittel der Aufführung sind so schlüssig und die technischen Spitzfindigkeiten so raffiniert eingefügt und präzise ausgeführt, daß die Zeit darüber sehr unbemerkt verstreicht. Die Beanspruchung durch das Ganze überdeckt einzelne kleine Makel. Doch der Höhepunkt wird zugleich zur Umkehr. Die Kinderstatisterie der Nibelungen schuftet an Dutzenden kleinen Lichttischen über dem Zeichnen der Phasenbilder von Animationsfilmen auf Folien. Deren Einzelbildabfolge wird über ihnen auf die Wand geworfen. Hier wäre der Anknüpfungspunkt der Regiekonzeption vom Übergang der Zeichenkunst in den Film. Aber die Freude am Perfektionismus seiner Vorspiegelungen läßt den Regisseur das Maß verfehlen, und anstatt den Übergang zu bereiten, treibt er die Möglichkeiten auf eine zusammenhanglose Spitze.

Trickfilmeinspielungen im Stil der alten Zootrop-Wundertrommel sind an sich faszinierend in ihrem an antike Mythen erinnernden Endlos-Folgen rennender Ratten und ballverschlingender Unholde. Aber gerade weil sie zuviel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind sie letztlich fehl am Platz. Damit wird der Abschied der Götter aus Nibelheim zugleich zum Abschied des Dessauer „Rheingold“ von einem geordneten und angemessenen Regiekonzept.

Gemessen an den Möglichkeiten, die sonst aufgefahren werden, vollzieht sich die Verzauberung Alberichs in Lindwurm und Kröte enttäuschend simpel. Es geht eben nicht darum, den schlichten Zauber der Sage zu unterstreichen, sondern eine eigene originelle Geschichte darum zu winden. Die Mittel beginnen ihre Beziehung zum Zweck der Darstellung zu verlieren. In kurzen Schnitten erscheinen Standbilder aus Stummfilmklassikern wie Golem, Nosferatu, Caligari oder dem Andalusischen Hund. Und als Alberich dem ihm entwundenen Ring seinen Fluch nachsendet, sind schlagartig alle Grauen des Krieges in raumfüllenden Bildern präsent. Vom Flächenbombardement, über entlaubte Wälder, Exekutionen und Schädelpyramiden. Wenn aber Wagners Musikdrama damit zu einem Videoclip verschnitten wird, dann führt das zu einer rastlosen Überfrachtung der synästhetischen Aufnahmefähigkeit des Publikums. Vor allem zeugt es vom Mißtrauen in die bildstiftende Wirkung der Musik.

Das ernste Stück endet in einer leichtfertigen Posse

Bei so viel Zerstreuung wächst die Sehnsucht danach, virtuose Sänger in schlichten Kostümen, mit sparsamen Gesten begleitet, vom Bühnenrand in das Publikum singen zu hören. So schlimm kann diese Biederkeit gar nicht gewesen sein, wie die visuelle Hyperaktivität, die jetzt das Theater mit sich selbst erstickt. Was so leicht und froh begann, wird dadurch langweilig und schleppend. Als die geheimnisvolle Erda (Anja Schlosser) aus dem Boden hochfährt, ist in ihr nur noch ein kunstgewerbliches Ornament unter anderen zu erkennen. Wie eine Konkubine schmiegt sie sich an Wotan (Ulf Paulsen). Donner ( Javid Samadov) und Froh (David Ameln) markieren alberne Lackaffen. Ersterer muß dann den Totschlaghammer Fafners zur Erzeugung des reinigenden Gewitters wiederverwenden. Ein wenig Bauhaus-Konstruktivismus hat in Walhall anzuklingen. Die Götter steigen auf ein Objekt, das wie ein verrutschter Stapel riesiger Pizzakartons ausschaut. So endet dieses ernste Stück in einer leichtfertigen Posse. Daraus vermag es selbst die Musik nicht mehr herauszureißen. Die Anhaltische Philharmonie Dessau unter Antony Hermus ist oftmals mehr laut als fließend, und das Blech sticht hart heraus.

Die erste zyklische „Ring“-Aufführung im Anhaltischen Theater Dessau, Friedensplatz 1a, zum Elbmusikfest vom 13. bis 17. Mai 2015 ist bereits komplett ausverkauft. Für den zweiten Zyklus vom 23. bis 28. Juni gibt es noch Restkarten.

www.der-ring-in-dessau.de