© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Der gute Europäer
Warum die Deutschen David Camerons Wahltriumph in Großbritannien als Chance begreifen sollten
Bruno Bandulet

Damit hatten die Zentralisten in Brüssel und ihre Verbündeten in den Hauptstädten der Europäischen Union nicht gerechnet. Selbst die konservativen Parteien auf dem Kontinent hatten heimlich gehofft, Labour werde die Wahlen in Großbritannien gewinnen und mit den linkslastigen Liberalen eine EU-zahme Koalition bilden können. Und dann wurde dieser 7. Mai zum Debakel für die Demoskopen, zum Schock für die Eurokraten und zur Chance für alle Europäer, die auf eine andere, eine bessere EU hoffen.

Cameron wird seine Versprechen von 2013 einhalten. Er wird die Briten bis 2017 über ihren Verbleib in der EU abstimmen lassen, und er wird bis dahin verhandeln, um einen „fairen Deal“ für sein Land herauszuholen. Wenn Brüssel mauert, wenn die kontinentalen Regierungen den Engländern nicht entgegenkommen, droht der Austritt Großbritanniens aus der Union. Der „Brexit“, den Cameron nicht will, ist mehr als ein Schreckgespenst. Er ist seit diesem Mai eine reale Möglichkeit, gestützt auf Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union.

Die ersten Reaktionen der um Macht und Privilegien bangenden Berufseuropäer fielen schrill und feindselig aus. „Wir wollen die Briten nicht als Dauerblockierer in der EU haben“, verkündete Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Präsident des Europäischen Parlaments, unrühmlicher Neffe des großen Otto Graf Lambsdorff und Verkörperung einer degenerierten FDP, deren britische Schwesterpartei am 7. Mai bis auf Restbestände aus dem Unterhaus gefegt wurde. Die britischen Liberalen waren, wie zuletzt in Deutschland die FDP, die eigentlichen Wahlverlierer. Wären sie in alter Stärke in das Parlament zurückgekehrt, dann hätten die Tories die absolute Mehrheit verfehlt – und das von Cameron versprochene Referendum könnte nicht stattfinden.

Wem die Trennung mehr schaden würde, der Insel oder dem Kontinent, ist eine müßige Frage. Die britische Wirtschaft und nicht zuletzt die City of London werden sich den Zugang zum europäischen Binnenmarkt sichern müssen. Die Verhandlungen vor und nach einem Brexit sind für London das Problem, nicht aber eine Existenz außerhalb der EU – damit kommen auch die Schweiz und Norwegen bestens zurecht.

Umgekehrt verlöre die EU mit Großbritannien ein außenpolitisches Schwergewicht und ein unentbehrliches liberales Korrektiv zur Regulierungswut in Brüssel und zu den planwirtschaftlich denkenden Franzosen. Deutschland, ein Gefangener der siechen Währungsunion, Zahlmeister des Umverteilungsapparates und zugleich als führende Exportnation weltmarktorientiert, wäre der große Verlierer eines Brexit.

Die Aussicht, mit den Fußkranken der EU allein gelassen zu werden, kann in Berlin keinen Politiker begeistern, der noch bei Trost ist. Mit London läßt sich die EU verschlanken und zukunftsfähig machen, ohne London bleibt sie in der Stagnation stecken.

Die Kompromißbereitschaft beider Seiten wird sich in Grenzen halten. Die Nomenklatura, im Besitz außerordentlicher Privilegien, wird sich schwer damit anfreunden können, Kompetenzen, die sie seit den neunziger Jahren an sich gerissen hat, an die Nationalstaaten zurückzugeben. Wenn sie von Reformen spricht, meint sie immer nur mehr Regulierung und eigenen Machtzuwachs. Die Parteigänger eines Europas freier Nationen, eines Staatenbundes, der spielend ohne die 40.000 Eurokraten auskommen könnte, gelten ihr als „antieuropäisch“.

David Cameron wiederum steht unter dem Druck der United Kingdom Independence Party (Ukip) und ihrer Sympathisanten bei den Tories, die etwa ein Drittel der Unterhausfraktion stellen. Als „Erfolg in der Niederlage“ qualifizierte die Neue Zürcher Zeitung das Abschneiden der Ukip.

Nicht nur hat sie ihren Stimmenanteil auf 12,6 Prozent und damit auf vier Millionen vervierfacht, gravierender noch ist, daß ihre bloße Existenz die Position des EU-skeptischen Flügels der Konservativen Partei nachhaltig stärkt.

Ohne einen Nigel Farage, ohne seine jahrelange leidenschaftliche Kampagne, hätte Cameron das Referendum nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Falls er in Brüssel zu wenig herausholt, wird er in der eigenen Partei und beim Referendum einen schweren Stand haben. Wer in Paris oder Berlin glaubt, die Engländer mit kosmetischen Zugeständnissen abspeisen zu können, wird sich täuschen.

Andererseits werden die zwei Jahre bis 2017 nicht ausreichen, um den EU-Vertrag neu zu verhandeln, grundlegend zu reformieren und dann auch noch in den 28 Mitgliedstaaten ratifizieren zu lassen. Viel wäre schon gewonnen, wenn Artikel 5 des Vertrages wieder ernst genommen würde. Gegen die dort niedergelegten Grundsätze der „Subsidiarität“ und der „begrenzten Einzelermächtigung“ verstoßen Kommission und EU-Parlament permanent. Sie reißen ständig neue Zuständigkeiten an sich – mit Rückendeckung durch den Europäischen Gerichtshof.

Daß der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Kernübel der EU darstellt, daß er sich ungeniert in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten einmischt und willkürlich Recht spricht, hat der frühere Verfassungsrichter und Bundespräsident Roman Herzog 2008 in einer grundlegenden Studie herausgearbeitet. Um dem Übel abzuhelfen, forderte er einen vom EuGH unabhängigen Gerichtshof für Kompetenzfragen. Damit wären dem EU-Monstrum die gefährlichsten Zähne gezogen – ein erster sinnvoller Reformschritt, der den Engländern gefiele und nicht zuletzt auch im deutschen Interesse läge.






Dr. Bruno Bandulet ist Publizist und Herausgeber des DeutschlandBriefs (erscheint in eigentümlich frei). Als Journalist war er unter anderem bei der Welt tätig.