© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Unangenehme Überraschung
Bremen: Bei der Bürgerschaftswahl in der Hansestadt gibt es mehr Verlierer als Gewinner
Bastian Behrens

Am Montag Mittag geschah etwas Unerwartetes: Jens Böhrnsen, SPD-Spitzenkandidat zur Bürgerschaftswahl am vergangenen Sonntag, will nicht wieder als Bremer Bürgermeister kandidieren. „Als Spitzenkandidat der SPD übernehme ich selbstverständlich Verantwortung für das enttäuschende Wahlergebnis für meine Partei am 10. Mai 2015“, verkündete er. Schockstarre bei der SPD: Die Sozialdemokraten stürzten von 38,6 auf 32,8 Prozent ab – und erzielten damit das schlechteste Wahlergebnis der SPD in Bremen seit Gründung der Bundesrepublik. Trotz massiver Verluste können SPD und Grüne mit zwei Sitzen Mehrheit gemeinsam weiterregieren. Ihnen steht aber künftig eine starke bürgerliche Opposition aus CDU, AfD, FDP und Bürgern in Wut (BIW) gegenüber.

Was haben die Grünen 2011 gejubelt, als sie bei der Bürgerschaftswahl das Traumergebnis von 22,4 Prozent einfuhren. Das war kurz nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Zweitstärkste Partei waren die Grünen geworden, hatten die CDU deklassiert. Jetzt der Absturz auf 15,2 Prozent. Ein Minus von 7,2 Prozent. Ohne „Fukushima-Effekt“ hatten die Grünen zwar ein schlechteres Ergebnis erwartet, daß dieses aber so katastrophal ausfiel, ruiniert die Stimmung auf der Wahlparty innerhalb kürzester Zeit. Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, und die Grünen-Spitzenkandidatin Karoline Linnert trösteten sich damit, daß die 15,2 Prozent wohl doch wieder für eine Koalition mit der SPD reichen werden. Linnert kann dann Finanzsenatorin bleiben. Ob die entsetzte Basis der Bremer Grünen da mitspielt, wird sich zeigen.

Die Sektkorken knallten allerdings woanders: Die FDP ist, nachdem sie 2011 mit 2,4 Prozent aus der Bürgerschaft geflogen war, wieder in Fraktionsstärke im Bremer Landtag vertreten. Mit ihrer Spitzenkandidatin Lencke Steiner holten die Liberalen 6,5 Prozent. Als sich dieses Ergebnis abzeichnete, atmete auch FDP-Bundeschef Christian Lindner auf: Nach dem Wahlerfolg von Hamburg sind die 6,8 Prozent in Bremen ein weiterer Schritt auf dem Weg zur deutschlandweiten Rückkehr in die Parlamente. Eine junge, erfolgreiche, parteipolitisch unverbrauchte Kandidatin und ein frecher Wahlkampf – dieses Konzept scheint für die FDP aufzugehen.

Verhaltener war der Jubel im Musical-Theater, hier feierte die Alternative für Deutschland (AfD) ihre Wahlparty. Bei knapp über fünf Prozent schwankte die Stimmung lange zwischen Hoffen und Bangen, ob es für den Einzug reichen würde. Dann am späten Abend die Erleichterung – die Euro-Kritiker sind in der Bremischen Bürgerschaft vertreten. Ein wichtiges bundespolitisches Signal: Die Erfolgsserie geht weiter. Die AfD ist jetzt in einem zweiten westdeutschen Landesparlament vertreten. Der Bremer AfD-Spitzenkandidat Christian Schäfer zeigte sich dennoch unzufrieden: „Ich finde, wir hätten mehr verdient, sieben Prozent wären realistisch drin gewesen“, sagte er und machte den anhaltenden Streit in der Partei für das Ergebnis verantwortlich.

Einen Achtungserfolg erzielten die Bürger in Wut (BIW). Während sie im Bundesland Bremen von 3,7 (2011) auf 3,3 Prozent leicht absackten, verteidigten die BIW ihre Hochburg Bremerhaven mit 6,5 Prozent. Hier setzten sie sich gegen die AfD durch, die in der Seestadt sogar unter fünf Prozent geblieben ist. Aufgrund der besonderen Wahlrechtsregelung, daß eine Partei nur in einer Stadt (Bremen oder Bremerhaven) des Bundeslandes die Fünfprozenthürde überspringen muß, um einen Abgeordneten in die Bürgerschaft zu entsenden, wird BIW-Chef Jan Timke erneut für die konservative Gruppierung in das Bremer Landesparlament einziehen.

Zufriedene Gesichter bei der CDU: Nachdem sich die Christdemokraten an der Weser seit 2008 massiv zerstritten und bei der Bürgerschaftswahl 2011 nur historisch schlechte 20,4 Prozent erreicht hatten, konnten sie jetzt wieder um 2,2 Prozent zulegen und zweitstärkste Kraft werden. Ein Achtungserfolg. Die CDU-Spitzenkandidatin Elisabeth Motschmann äußerte sich zufrieden: „Wir haben gewonnen. Wir haben unsere Wahlziele erreicht. Wir wollten Rot-Grün knacken, und das hat wohl fast oder ganz geklappt.“ Mit etwas Glück, nämlich dann, wenn sich SPD und Grüne nicht auf eine neue Koalition einigen können, ist für die CDU auch noch eine Regierungsbeteiligung möglich. „Die Messe ist noch nicht gelesen“, gab ein CDU-Mitarbeiter am Montag gut gelaunt zu Protokoll.

Lachende Außenseiter: Die größten Gewinne verzeichnete die Linkspartei mit ihrer Spitzenkandidatin Kristina Vogt. Die Linke konnte mit 9,3 Prozent ihr Ergebnis der Wahl 2011 fast verdoppeln. Da sich in der Bremer Linkspartei besonders viele linksextreme Sektierer tummeln, ist eine Regierungsbeteiligung der Linken für die Bremer SPD keine Option.

Das dicke Ende war für viele die Wahlbeteiligung: Der eigentliche Wahlsieger in Bremen sind die Nichtwähler. So könnte man das Ergebnis der Bremer Bürgerschaftswahl kommentieren. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 50 Prozent – so niedrig wie noch nie in einem westdeutschen Bundesland. Hohe Staatsverschuldung, häufiger Unterrichtsausfall, die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich – dies sind einige der Gründe, die viele Bremer resigniert zu Hause bleiben ließen.

Foto: Böhrnsen und Linnert am Wahlabend: Eine andere Koalition ist nicht ausgeschlossen