© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

„Ich habe Weisungen empfangen“
Geheimdienste: Bei der Aufklärung der BND-Affäre kommt die parlamentarische Aufklärung nicht vom Fleck
Lion Edler

Der Mann, der vor dem NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestages steht, hat nur seine Initialen angegeben. R.U. ist der Dienststellenleiter der BND-Abhörstation im oberbayerischen Bad Aibling. R.U. wurde geladen, nachdem bekannt wurde, daß der BND seine in Bad Aibling erhobenen Daten für den amerikanischen Geheimdienst NSA durchsucht.

Dazu verwendete der BND sogenannte Selektoren, also bestimmte Suchmerkmale wie Mailadressen oder Telefonnummern, die von den Amerikanern geliefert werden. Angeblich sollen darunter auch Ziele gewesen sein, die gegen ein Geheimdienstabkommen von 2002 verstoßen, das die Ausspähung untersagt, wenn Wirtschaftsinteressen tangiert sind. Doch was R.U. in der vergangenen Woche zu sagen hatte, bringt kaum Licht ins Dunkel. „Ich habe mir das nie speziell angeschaut“, sagt er auf die Frage, welche Selektoren der NSA an den BND lieferte. Auch die Frage, ob es zutreffe, daß der BND vorerst nicht mehr für den NSA überwachen will, kann R.U. nicht beantworten. Und die Tatsache, daß unter den Selektoren auch Unternehmen wie EADS und Eurocopter waren? Das wurde ihm nicht mitgeteilt, sagt R.U. Überhaupt würden die Wünsche der NSA in Bad Aibling nicht überprüft, sondern an die BND-Zentrale übermittelt. Dort würden rechtlich bedenkliche Selektoren aussortiert und die verbleibenden nach Bad Aibling zurückgeschickt. Daß bestimmte Suchbegriffe ungesetzlich sein könnten, „war mir egal“, sagt R.U. „Ich habe Weisungen empfangen.“ Auf die Frage, warum er problematische Selektoren bewußt nicht an Vorgesetzte meldete, verweigert er die Aussage. Erschwert wird die Vernehmung durch einen Regierungsdirektor des Kanzleramts, der immer wieder vor „nachhaltigem Schaden für die Bundesrepublik“ warnt, falls Details zu den Tätigkeiten der Geheimdienste öffentlich würden. Lediglich in geheimer Sitzung dürfe man über Art und Zahl der Selektoren, über ihre Übermittlung und Speicherung sprechen. Selbst der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg, der als Ausschußvorsitzender fungiert, stört sich an den Warnungen des Regierungsdirektors. Der „Sprecher aus dem Off“ solle sich ein wenig zurücknehmen, fordert Sensburg.

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, André Hahn (Linkspartei), forderte unterdessen eine neue Organisation von geheimdienstlicher Überwachung. Hahn verwies auf die Niederlande – dort erhalten Kontrolleure Zugang zu allen Akten, Computern und laufenden Vorgängen. So könnten die Abgeordneten des Bundestags „Stichproben machen, sich Vorgänge in der Gesamtheit ansehen, auch ohne Wissen der jeweiligen Bearbeiter zum Beispiel des BND“.

Diskussion über

parlamentarische Kontrolle

Im Parlamentarischen Kontrollgremium und anderen Ausschüssen könnten Abgeordnete bislang nur bewerten, was die Regierung mitteile. „Was sie uns verheimlichen, das können wir nicht beurteilen“, monierte Hahn.

Auch die FDP nutzt die Gelegenheit, sich mit der Skandalisierung der BND-Praktiken zu profilieren. „Die Regierung ist dem Parlament gegenüber verpflichtet, die Daten freizugeben“, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Das Kontrollrecht des Bundestags müsse ausgeschöpft werden, „andernfalls leben wir nicht mehr in einem Rechtsstaat, sondern in einem Willkürstaat.“ Schließlich sei Deutschland „ein souveräner Staat und kein Vasallenstaat der Amerikaner“, sagte Kubicki der Welt.

Als Konsequenz aus der BND-Affäre fordert die CDU einen Geheimdienstbeauftragten. „Wir brauchen einen Beauftragten für die Nachrichtendienste, der sich von morgens bis abends hauptamtlich um die Kontrolle der Geheimdienste kümmert“, sagte Unionsfraktionsvize Thomas Strobl der Rheinischen Post. Das sieht die SPD anders: „Wir brauchen kein neues Gesicht, keinen Mr. oder Mrs. Geheimdienstkontrolle, sondern mehr Personal und Sachmittel“, sagte der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuß, Christian Flisek.