© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Die Schotten platzen vor Stolz
Großbritannien: Nach seinem Wahlsieg sucht Premier Cameron den Schulterschluß mit Parteirechten / Farage bleibt Parteivorsitzender
Martin Schmidt

Sie würde „vor Stolz platzen“, bekannte Nicola Sturgeon nach dem „historischen“ Sieg ihrer Schottischen Nationalpartei (SNP) bei den britischen Parlamentswahlen. Die SNP gewann in ihrem Stammland 56 von 59 Sitzen, während es 2010 lediglich sechs Mandate waren. Damals wurde die SNP von 19,9 Prozent der schottischen Wähler unterstützt, jetzt waren es über 1,45 Millionen und damit satte 50 Prozent.

Nur im Süden der Hauptstadt Edinburgh vermochte die in Schottland über Jahrzehnte hinweg tonangebende Labour Party einen Bewerber durchzubringen, während dies den im Norden der Insel ohnehin schwachen Konservativen bloß im Wahlkreis Dumfriesshire, Clydesdale und Tweeddale in den teilanglisierten Borderlands gelang und die Liberaldemokraten allein auf den Orkney- und Shetland-Inseln zum Zug kamen.

Ukip hadert mit

ungerechtem Wahlsystem

Nicola Sturgeon, die starke Frau der SNP und Nachfolgerin des nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom letzten September zurückgetretenen Alex Salmond, versucht politisch den Ball flach zu halten. Dennoch sind die weitreichenden Folgen des Ergebnisses offensichtlich. Beide großen Parteien, also Konservative (11,33 Millionen Wählerstimmen, 331 Sitze) und Labour (9,35 Millionen Stimmen, 232 Sitze), sind – läßt man die Ergebnisse im kleinen Wales und in Nordirland außen vor – faktisch zu englischen Parteien degradiert worden.

Die 44jährige Erste Ministerin in Schottland hatte vor dem 7. Mai stets betont, daß es bei dieser Wahl nicht in erster Linie darum gehe, über eine zweite Volksabstimmung zur Unabhängigkeit zu befinden. Anschließend erklärte sie das Ergebnis gegenüber der versammelten Presse zurückhaltend als Ausdruck „eines sehr sehr starken Wunsches, daß die Stimme Schottland lauter gehört“ werde. Dies gelte vor allem hinsichtlich der zu erwartenden fortgesetzten Sparpolitik der neuen Tory-Regierung sowie in bezug auf die Debatte um das von David Cameron versprochene und nach seiner Wiederwahl bekräftigte Referendum über einen EU-Austritt.

Doch ebenso deutlich wie die gesellschaftspolitisch eher linksgerichtete schottische Volkspartei SNP einen EU-Austritt ablehnt, erscheint die Perspektive eines mit einem eventuellen „Brexit“ verknüpften zweiten und dann wohl erfolgreichen Unabhängigkeitsreferendums am Horizont. So forderte Sturgeon am 9. Mai für den Fall eines landesweiten EU-Austritts-Referendums eine „double-majority rule“, also eine Regelung, die es Schottland erlauben würde, in der Europäischen Union zu verbleiben, wenn eine gesamtbritische Majorität für den Austritt zustandekommt, aber eine Mehrheit der schottischen Bevölkerung für den Verbleib votiert.

Dem setzte der alte und neue Premier Cameron am Sonntag gegenüber dem Fernsehsender Channel 4 News die Ankündigung entgegen, es werde zwar weitere Autonomie-Zugeständnisse an die Schotten geben, aber keinesfalls ein neuerliches Unabhängigkeitsreferendum.

Während die SNP nach Abgeordnetensitzen drittstärkste Kraft in Westmin-ster ist, hadert die United Kingdom Independence Party (Ukip) mit den Ungerechtigkeiten des Mehrheitswahlrechts, das ihr trotz ihrer über 3,5 Millionen Wählerstimmen lediglich ein einziges Mandat einbrachte. Umgehend forderte die Partei gemeinsam mit den britischen Grünen ein neues Wahlrecht. Nigel Farage machte seine Ankündigung wahr, im Fall des Verlusts seines Abgeordnetenmandats im Wahlkreis South Thanet im südenglischen Kent den Parteivorsitz abzugeben. Zwar konnte die Partei Farage am Montag überzeugen, diesen Schritt zu revidieren, doch die Folgen für Ukip könnten existenzbedrohend sein, zumal manches dafür spricht, daß das Wahlergebnis und die EU-Referendumskampagne den rechten Flügel der Konservativen Partei weiter stärkt. Das würde Ukip noch mehr den Wind aus den Segeln nehmen, zumindest dann, wenn es sich auch auf das von den Tories bisher nur zögerlich angegangene Thema der Massenzuwanderung auswirkt. Bemerkenswert ist, daß Cameron bereits am Sonntag mit speziellen Gesprächsangeboten an Rechtsausleger seiner Partei eine Charmeoffensive in diese Richtung startete.

Labour und Liberale

müssen sich neu erfinden

Auch Labour-Chef Ed Miliband zog angesichts des mageren Ergebnisses persönliche Konsequenzen und trat als Parteichef zurück. Gleiches tat Nick Clegg, nachdem seine LibDems offensichtlich weithin als überfüllig wahrgenommen werden. Mit 7,9 Prozent verloren sie fast zwei Drittel ihrer Wähler und stellen künftig nur noch acht Abgeordnete.

Cleggs Bekenntnis , er wünsche sich eine weibliche James-Bond-Darstellerin, erwies sich als medialer Rohrkrepierer. Er steht nun ebenso blamiert da wie die Meinungsforschungsinstitute und die Medien, die stets ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Konservativen und Sozialisten vorausgesagt hatten.

Denkt man allerdings daran, daß Sean Connery, das Urbild aller James-Bond-Darsteller, ein glühender schottischer Nationalist und SNP-Anhänger ist, so hat Clegg doch Gespür bewiesen. Denn der neue James Bond der britischen Politiklandschaft ist eine Frau – und heißt Nicola Sturgeon.

Foto: Nicola Sturgeon (rotes Kostüm) posiert mit den neuen SNP-Abgeordneten vor der Edinburgher Forth Bridge: „Historischer Sieg“