© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Kampf um den Rohstoff Geist
Wirtschaftsspionage: Die neue BND-NSA-Affäre ist nur die Spitze des Eisbergs / Industrieverband BDI fordert stärkere Kontrolle der Geheimdienste
Christian Schreiber

Daß die deutsche Wirtschaft ein Ziel chinesischer und russischer Spionage ist, wird jährlich im Verfassungsschutzbericht beklagt. „Konkrete Anhaltspunkte“ gebe es nicht, aber das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schließt nicht aus, daß „im Rahmen der strategischen Kommunikationsüberwachung durch westliche Dienste sensible Informationen unautorisiert abgeschöpft werden“.

Daß zumindest die US-Dienste sehr wohl an allem „made in Germany“ interressiert sind, gab Botschafter John Emerson unumwunden zu: Der US-Präsident habe lediglich „klargestellt, daß wir keine Industriespionage begehen, um Wettbewerbsvorteile für unsere Firmen zu erzielen“, so der Diplomat im Kölner Stadt-Anzeiger. „Wenn Informationen über Industrien zusammengestellt werden, geht es darum, daß diejenigen, die außenpolitisch Verantwortung tragen, über alle wichtigen Trends im Bild sind“, so Emerson. Die deutschen und amerikanischen Geheimdienste würden auch „zusammenarbeiten, wenn es um die wirkungsvolle Umsetzung von Sanktionen“ ginge. Welche „wichtigen Trends“ beim lukrativen Wechsel von US-Behörden in Privatkonzerne mitgenommen werden, ließ Emerson offen.

Selbst wenn sich auf der Liste von 2.000 Spionagezielen der National Security Agency (NSA), die der Bundesnachrichtendienst (BND) 2013 nach den Enthüllungen des Ex-Geheimdienstlers Edward Snowden aussortiert hatte, wirklich keine deutsche Firma befindet, bedeutet das keine Entwarnung. Denn was ist mit den restlichen 38.000 Namen?

Airbus Group

stellt Strafanzeige

Der Luftfahrtkonzern Airbus Group (früher EADS) glaubt den politischen Verlautbarungen nicht. „Wir haben die Bundesregierung um Auskunft gebeten. Wir werden jetzt Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Industriespionage stellen“, erklärte ein Airbus-Sprecher. Als großes Unternehmen der Branche sei man immer „Ziel und Gegenstand von Ausspähmaßnahmen“, aber „hier sind wir allerdings alarmiert, weil der konkrete Verdacht der Industriespionage im Raum steht“. Auch über die Airbus-Tochter Eurocopter wollten die außenpolitisch Verantwortlichen in den USA sicher im Bilde sein.

Egal, ob es deutsche Weltmarktführer in speziellen Branchen (Hidden-Champions) sind oder Großkonzerne – spektakuläre Abhöraktionen erübrigen sich oft: Die meiste IT-Schlüsseltechnik ist fest in amerikanischer Hand, so kann problemlos Spitzel-Software eingeschleust werden, um an Daten zu gelangen. „Wenn es etwa bei Siemens Informationen gibt, die dem nationalen Interesse der Vereinigten Staaten nutzen, aber nichts mit der nationalen Sicherheit zu tun haben, dann nehmen sie sich diese Informationen trotzdem“, erklärte Ex-NSA-Mann Snowden bereits vor einem Jahr gegenüber dem NDR.

Innenminister Hans-Peter Friedrich warnte schon 2013, es gebe massive Versuche, den „Rohstoff Geist“ in deutschen Unternehmen zu stehlen. Den daraus resultierenden volkswirtschaftlichen Schaden bezifferte der CSU-Politiker auf 50 Milliarden Euro pro Jahr. BfV-Chef Hans-Georg Maaßen beteuerte damals aber, es gebe „keinerlei Erkenntnisse, die die These einer Wirtschaftsspionage aus dem Westen stützen könnten“.

Anti-Terror-Bekämpfung als willkommenes Einfallstor

Inzwischen gesteht Maaßen zwar ein, daß es durch die Kooperation in der Anti-Terror-Bekämpfung ein leichtes sei, an vertrauliche Informationen heranzukommen. Aber der BfV-Präsident glaubt immer noch an die Lauterkeit der US-Absichten: „Man weiß beispielsweise nicht, ob es um Wirtschaftsspionage ging oder vielmehr darum, daß Proliferation bekämpft werden soll, nämlich der Transport von Gütern, die verboten sind, in Krisenländer oder in Terrorstaaten“, erklärte Maaßen im Sender n-tv.

Wie weit der Informationsfluß geht, ist seit 1998 klar. Damals stand noch das Satellitenabhörsystem Echelon im Fokus. In einem Bericht für das EU-Parlament wurde offengelegt, daß innerhalb Europas alle E-Mails, Telefongespräche und Faxe routinemäßig von der NSA aufgezeichnet werden. Der ehemalige CIA-Chef James Woolsey bestätigte dies in der Zeit: „Wir haben euch ausspioniert. Und es stimmt, wir benutzen Computer, um Daten nach Schlüsselwörtern zu durchsuchen.“ Aber es gehe nicht um Wirtschaftsspionage, sondern um Bestechung: „Die Produkte eurer Unternehmen sind oftmals teurer oder technologisch weniger ausgereift als die eurer amerikanischen Konkurrenten, manchmal sogar beides. Deshalb bestecht ihr so oft“, so Woolsey.

Wenn US-Dienste nun auch die EU-Beratungen zum Freihandelsabkommen TTIP ausforschen, wäre das „ein europäischer Skandal erster Güte“, empörte sich vorige Woche der Chef der Europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte eine stärkere Kontrolle der Geheimdienste: „Das Verhältnis zwischen Staat und Industrie ist erheblich belastet“, klagte BDI-Chef Ulrich Grillo im Spiegel. „Die Bundesregierung muß sicherstellen, daß Internet-Knotenpunkte in Deutschland sicher sind.“

BfV-Broschüre „Wirtschaftsspionage“: verfassungsschutz.de/