© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Mutproben für tapfere Herzen
Wildnis erleben, Ängste überwinden, Kameradschaft erfahren: In der Dirt-Run-Szene suchen sich ungezähmte Männer Auswege aus der abenteuerlosen Alltagsroutine – und sei es nur für ein Wochenende
Bernd Rademacher

In unserer Vollkasko- und Konfliktmanagement-Gesellschaft zahlen Leute 65 Euro Startgebühr, um sich zu schinden, Prellungen und Schrammen zu sammeln – und hinterher vor Stolz auf ihre körperliche Kraft auf ihre Brust zu trommeln ...

Der Mann steht unter Druck. In die Zange genommen von pazifistischer Stuhlkreispädagogik und Genderei findet Männlichkeit nur noch in Reservaten statt. Und auch diese schrumpfen – selbst Jagd und Militär sind kein Garten Eden für Adam mehr. Doch das Testosteron muß einfach irgendwo raus! Trotz aller „Soft Skills“ bricht sich ein männliches Urbedürfnis krachend Bahn: Risiken suchen, mit Blessuren prahlen, herumsauen wie ein Wildschwein. Die Lösung heißt: „Dirt Run“. Marathon war gestern – Männer, werft die affigen Nordic-Walking-Krücken weg und schmeißt euch richtig in den Dreck!

Als Einzelkämpfer los, in der Gemeinschaft angekommen

Die Hindernislauf-Szene boomt mächtig von der Nordsee bis in die österreichischen Alpen: ob „Tough Mudder“ in Hamburg, „Cross Challenge“ in der Döberitzer Heide, der „StrongmanRun“ am Nürburgring, die „Spartan Race“ auf dem Münchner Olympiagelände oder der „Wildsau Dirt Run“ in Möggers bei Bregenz. Über Asphalt joggen kann schließlich jeder; beim Matschlauf geht es über Geröll und steile Abhänge, durch Schlammtümpel und Unterholz. Mit Schürfwunden und blauen Flecken ist zu rechnen, zerschlissene Kleider sind garantiert! Vorbild ist das „Tough Guy Race“ im englischen Wolverhampton. Die Idee dazu hatten britische Rekruten­ausbilder mit offenbar leicht sadistischen Neigungen. Der Bad Wolf Dirt Run im Knüllwald (Nordhessen) wirbt mit dem Slogan: „Erlebe die Natur von ihrer schrecklichsten Seite!“ Beim Drecklauf geht es nicht um Zeit, sondern ums Ankommen mit letzter Kraft. Die Hindernisse verlangen den Läufern alles ab.

Eine Strecke mit den größten Herausforderungen ist der „Braveheart-Battle“ bei Bad Kissingen, der jedes Jahr Anfang März stattfindet. Bis zu dreitausend Starter laufen, rutschen, robben, kriechen, hangeln und stolpern 24 Kilometer über natürliche und künstliche Barrieren. Dazu kommt das unberechenbare Wetter mit niedrigen Temperaturen. Das Wasser in den Schlammlöchern ist eiskalt. Durchnäßt und frierend zwängen sich die Teilnehmer durch finstere Röhren, schlittern glitschige Hänge hinab und stehen plötzlich vor einer sechs Meter hohen Wand. Ein Läufer sagt: „Hier müssen wirklich die letzten physischen und vor allem psychischen Reserven mobilisiert werden.“ Das geht nur mit gegenseitiger Hilfe. Die ist laut Regelwerk nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. „Ich bin als Einzelstarter losgelaufen und zusammen in einem Team mit über zweitausend Mitgliedern im Ziel angekommen!“ beschreibt es einer, der es überstanden hat.

Doch selbst der schönste Männer­spaß wird einem verdorben: Neben den Hardcore-Extremläufen haben sich bereits luschige Weichspül-Ausgaben etabliert, bei denen es nicht ums Quälen, sondern um „Fun“ geht und deren Hindernisse selbst eine Oma überwinden könnte. Echte Kerle lästern natürlich nach Kräften über solche „Pussy-Läufe“. Und noch mehr Weh und Ach: Auch in dieses Männerparadies ist Eva eingedrungen! Selbst beim beinharten „Braveheart-Battle“ schaffen es zähe Frauen ins Ziel. Na, wenigstens nicht per Quote, sondern nur durch Schweiß und Willen.

www.wild-sau.com

www.toughguy.co.uk

https://toughmudder.com

www.hdsports.at