© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

„Der Herr in der Demokratie ist das Volk“
Bürgerbeteiligung: Ein prominent besetzter Kongreß der sächsischen AfD-Fraktion macht sich Gedanken über den Zustand des politischen Sytems
Henning Hoffgaard

Wie sehen sich die Bundestagsabgeordneten selbst? Wahrscheinlich als Hüter der Demokratie, des Rechtsstaates und der Freiheit. Hans Herbert von Arnim findet auf dem „Demokratiekongreß“ der sächsischen AfD-Landtagsfraktion am vergangenen Sonnabend andere Worte für das Verhalten der Parlamentarier. Vor allem die „Blitz-Gesetze in eigener Sache“ sind dem 75 Jahre alter Staatsrechtler ein Dorn im Auge. Wahlrecht, Diätenerhöhungen, Gelder für eigene Stiftungen. All dies werde gerne „im Windschatten von Großereignissen“ durchs Parlament gepeitscht. Eine Debatte werde mittels „Desinformationskampagnen“ unterdrückt.

Die Bundestagsparteien seien in solchen Fragen also ganz „offensichtlich befangen“, kritisiert von Arnim. Er weiß, wovon er redet. In zwei Prozessen vor dem Bundesverfassungsgericht hat er erst die Fünfprozenthürde für die EU-Wahlen zu Fall gebracht und später auch die eilig beschlossene Dreiprozenthürde. Nun nimmt er vor allem die „verfassungswidrige“ indirekte Parteienfinanzierung ins Visier. Penibel zählt er die Zahlen auf. 84 Millionen Euro für die Bundestagsfraktionen. Mehr als 450 Millionen Euro für die parteinahen Stiftungen. Dazu kommen noch 21.000 Euro Mitarbeiterbudget pro Bundestagsabgeordneten. „Das übersteigt mittlerweile die normale Parteienfinanzierung.“ Die liegt derzeit bei knapp 160 Millionen Euro. Mit dem Geld hätten die „etablierten Parteien“ die Möglichkeit, außerparlamentarische Konkurrenten kleinzuhalten. Von Arnim spricht von einem „Quasikartell“.

Und was ist mit der Opposition? Wäre es nicht deren Aufgabe, solche Dinge zu kritisieren und zu verhindern? Von Arnim lächelt. Nein, bei diesen Themen werde „Opposition nur geheuchelt“. Auch sie profitiere schließlich davon. Eine Möglichkeit wäre die Direktwahl des Bundespräsidenten. Dieser könne dann, da er bei der Nominierung nicht mehr so stark auf die Parteien angewiesen sei, Sachverständige einsetzen, die sich mit Diäten und der Parteienfinanzierung beschäftigen. „Aber dagegen wehren sich die etablierten Parteien“, sagt von Arnim. Nach Resignation klingt das allerdings nicht. So schnell, das macht der Staatsrechtler klar, wird er bei dieser Frage nicht lockerlassen.

Das gilt auch für seinen Kollegen Werner Patzelt. Der Politikwissenschaftler von der Technischen Universität Dresden war in den vergangenen Monaten durch seine differenzierte Pegida-Analyse (JF 5/15) deutschlandweit bekannt geworden. Auf dem AfD-Kongreß wählt Patzelt seine Worte mit Bedacht. „Anstatt mit diesen Menschen zu diskutieren, wurden sie zu Schmuddelkindern abgestempelt.“ Daß Landesregierung und die Stadt Dresden zu Gegendemonstrationen aufgerufen hätten, sei der eigentliche „Sündenfall“.

In seiner Rede zum Thema: „Welche Volksabstimmungen können wir brauchen?“ wirbt der 61jährige eindringlich für mehr direkte Demokratie. Nicht trocken, sondern charmant und mit Witz versteht er es, die etwa 300 Zuhörer zu unterhalten. Seine Kernthese: Es gibt gute Volksabstimmungen (von unten nach oben) und schlechte (von oben nach unten). Wenn die Regierung, ein Parlament oder Abgeordnete die Art und das Thema eines Referendums vorgeben sei dies „des Teufels“. Leider drehe sich die Debatte zu häufig um diese Form der Mitbestimmung. Für Patzelt haben die „richtigen“ Volksabstimmungen nur Vorteile. „Die etablierten Parteien einigen sich oft darauf, welche Themen sie im Wahlkampf nicht ansprechen.“ Genau diese Themen könnten durch das Volk auf die Agenda gehoben werden. „Wann haben wir entschieden, ob wir ein Einwanderungsland sind“, fragt Patzelt. „Der Herr in der Demokratie ist das Volk.“ Dieses habe es verdient, auch „zwischen den Wahlen“ befragt zu werden.

Kein Verständnis hat Patzelt für das Argument, manche Themen seien zu kompliziert für das Volk. „Wer meint, die Bevölkerung sei zu blöd, um ein Gesetz auf Gut und Falsch zu prüfen, sollte sich fragen, ob das Volk auch zu blöd ist, eine Partei zu wählen“.