© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Weltfremde EU erregt die Gemüter
Europäische Agenda für Migration: Statt Solidarität zu zeigen, untermauert die Quotenregelung lediglich die Zerstrittenheit der EU
Stefan Michels

Beinah flehend erklärte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini die neue solidarische Strategie der Kommision für die künftige EU-Migrationspolitik: „Migration geht alle Mitgliedstaaten an, und alle Mitgliedstaaten sind nun aufgerufen, ihren Beitrag zur Bewältigung dieser historischen Herausforderung zu leisten.“

Eine Quotenregelung soll nun angesichts der andauernden Seenotkrise im Mittelmeer für eine „gerechte“ Verteilung der illegalen Migranten und Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten sorgen. Der Verteilungsschlüssel soll die wirtschaftliche Stärke, Bevölkerungsgröße, Arbeitslosenrate und die bisherigen Aufnahmezahlen an Flüchtlingen berücksichtigen. Von der Umverteilung, so die Kommssion, würden vor allem die EU-Staaten betroffen sein, die bislang eher abseits der Flüchtlingsströme gestanden haben. Große Transit- oder Zielstaaten wie Deutschland, Schweden, Italien und Österreich könnten dagegen mit einer Entlastung rechnen.

Die derzeitig gültige Dubliner Regelung sieht vor, daß Flüchtlinge in dem EU-Land, das sie zuerst betreten, verbleiben und ihren Asylantrag stellen. Dieses System ist jedoch unter dem anhaltenden Ansturm aus Afrika und Nahost zusammengebrochen. In einer Art Binnenmigration ziehen die Flüchtlinge im Schengen-Raum nahezu ungehindert weiter zu ihren bevorzugten Destinationen in Mittel- und Nordeuropa.

Die Quotenregelung ist Kernstück einer umfassenden „Europäischen Agenda für Migration“. Diese beinhaltet zum einen Sofortmaßnahmen zur Linderung der unmittelbaren Notsituation der Bootsflüchtlinge. Dazu gehört die Verdreifachung des Etats für die laufenden Seemissionen Triton und Poseidon vor der italienischen und griechischen Küste. Der Verteilungsmechanismus sei eine „temporäre Umsiedlungsmaßnahme“, um den unmittelbaren Migrationsdruck auf die EU-Außenstaaten abzufedern. Abgelehnte Asylbewerber sollten nach Bearbeitung ihrer Anträge konsequenter als bislang abgeschoben werden, auch um gegen „Populisten“ und „Extremisten“ die Akzeptanz der Bevölkerung für legale Einwanderung zu erhalten, so der stellvertretende EU-Kommissionschef Frans Timmermans bei Vorstellung der Pläne in Brüssel vergangene Woche.

Ausnahmeregelungen nicht nur für Großbritannien

Bis Ende des Jahres beabsichtigt die Kommission dann Vorschläge für die Einrichtung eines dauerhaften Umsiedlungssystems für Flüchtlinge innerhalb der EU zu unterbreiten. Parallel dazu soll ein zweites EU-weites Ansiedlungsprogramm für 20.000 „eindeutig“ schutzbedürftige Asylanten aufgelegt werden.

Vor dem Uno-Sicherheitsrat machte sich Mogherini für ein militärisches Mandat zur Bekämpfung der Aktivitäten von Menschenschmugglern vor Libyens Küste stark. Dabei betonte sie, daß auf hoher See aufgegriffene Flüchtlinge „nicht gegen ihren Willen zurückgesendet werden“ dürften.

Unterdessen regt sich vielerorts Widerstand gegen die Quotenregelung. Die britische Innenministerin Theresa May kündigte bereits ein Nein an. Die jüngst wiedergewählte konservative Regierung müßte nach einem Wahlkampf, in dem die Themen EU und Masseneinwanderung eine Schlüsselrolle gespielt haben, mit einer Verdopplung der Aufnahmezahlen auf 60.000 Personen rechnen. Großbritannien besitzt aber ebenso wie Irland und Dänemark das Recht, bei innenpolitischen Angelegenheiten auf eine Umsetzung von EU-Beschlüssen zu verzichten. Auch Budapest wies die Kommissionsvorschläge zurück. „Es ist ausgeschlossen, daß Ungarn Zuwanderer auf der Grundlage einer Quotenregelung aufnimmt“, erklärte Kabinettschef János Lázár. Ministerpräsident Viktor Orbán bemängelte unlängst, daß „weltfremde“ EU-Vorschriften sein Land, das eine wichtige Durchgangsstation auf der Balkanroute ist, an einem effektiven Grenzschutz gegen illegale Einwanderung hindern würden.

Ablehnend äußerten sich ebenfalls Vertreter Polens, Tschechiens und der Slowakei sowie Lettlands und Litauens. Frankreichs Regierungschef Manuel Valls sprach sich für eine Umverteilung aus, lehnte aber feste Quoten ab. Der österreichische FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky kritisierte, daß angesichts der weitgehend aufgegebenen Abschiebepraxis eine Quotenaufnahme von Asylanten effektiv ihre Anerkennung als Einwanderer bedeuten würde. Überhaupt laufe die gesamte aktuelle Seerettungspolitik darauf hinaus: „Durch die derzeitigen Rettungsaktionen der EU im Mittelmeer darf die Asylprüfung nicht umgangen werden. Dies geschieht jedoch, weil die Bootspassagiere, anstatt sie an den Ausgangsort zurückzubringen, nach Europa geholt werden, von wo sie – wie die Erfahrung zeigt – auch ohne den Nachweis von Asylgründen in den seltensten Fällen wieder abgeschoben werden.“

Die EU-Kommission beruft sich bei ihrer Regelungsbefugnis auf einen Passus im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der noch nie geltend gemacht wurde. Artikel 78 sieht vor, daß bei einer „Notlage“ infolge „eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen“ die Kommission den Staats- und Regierungschef Lösungsvorschläge zur Abstimmung unterbreiten darf.