© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Die deutsche Wehrhaftigkeit bröckelt
Rheinmetall-Hauptversammlung: Rüstungssparte in den roten Zahlen / Panzer werden im Ausland gebaut
Billy Six

Dirk Niebel ist dick geworden. Der frühere Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2009–2013) sitzt bei der Hauptversammlung des Düsseldorfer Automobilzulieferer- und Rüstungskonzerns Rheinmetall in erster Reihe – als korpulente, aber stille Gestalt unter den 350 Zuschauern. Seit Anfang des Jahres ist der 52jährige FDP-Politiker „Berater für internationale Strategieentwicklung“. Ein „Rüstungslobbyist“, ätzen viele Journalisten.

Schon als Minister wurde Niebel oft kritisiert: Daß er Interessen deutscher Firmen über jene der Drittweltländer stelle zum Beispiel. Oder weil der Fallschirmjägeroffizier gern seine Bundeswehrmütze trug. Die Linke im Bundestag witterte nun gar Korruption, doch nach einer Regierungsauskunft genehmigte der Bundessicherheitsrat zu Niebels Amtszeit keinen einzigen Waffenexport für die Rheinmetall AG.

Bundesregierung stoppte wichtiges Rußland-Geschäft

Geht es nach Peter Grottian (72) sollte es dabei bleiben. Der linke Aktivist und emeritierte FU-Professor spricht vor einem Mini-Protest am Tagungsort, dem Hotel „Maritim“ in Berlin-Tiergarten, gegenüber dem Verteidigungsministerium. Eine „kriegstreibende und verbrecherische Unternehmenspolitik“ unterstellt er Rheinmetall, und fordert das 1889 gegründete deutsche Traditionsunternehmen auf, aus der Rüstungsproduktion auszusteigen. Die deutsche Regierung stünde unter „dem Druck der Bevölkerung“, keine Waffenexporte mehr zuzulassen.

Tatsächlich mußte Rheinmetall „Federn lassen“, als Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im letzten August die bereits genehmigte Ausfuhr eines fertig produzierten Gefechtsübungszentrums nach Rußland wieder kassierte. Dies habe zur „Korrektur des prognostizierten Jahresergebnisses“ geführt, heißt es im Geschäftsbericht. Zwar nahm der Unternehmensumsatz um über sechs Prozent auf 4,69 Milliarden Euro zu, der Gewinn jedoch fiel um mehr als 24 Prozent auf 160 Millionen Euro. Konzernchef Armin Papperger (52) äußert auf eine Aktionärsfrage „Verständnis“ für die Position der Bundesregierung, schließlich handle es sich bei Rußland um einen „Aggressor“. Der Schutz von Aktionärsinteressen habe jedoch Vorrang. Deshalb mache das Unternehmen nun 120 Millionen Euro Regreß geltend, seit die 70 Lkw voll Material von Bremen aus nicht starten durften.

Ein anderes umstrittenes Auslandsprojekt hat überlebt: Die Lieferung einer Fertigungsstraße zur Montage von 980 „Fuchs“-Transportpanzern nach Algerien, im Konzernbericht als „Kunde aus der MENA-Region“ getarnt. Gesamtwert 2,7 Milliarden Euro. Zustande gekommen bei Merkels Besuch im vom Militär beherrschten Mittelmeeranrainer. Der Zusammenbau im Ausland schützt vor einer möglichen Änderung der politischen Großwetterlage. Auch die Ägypter sollen angefragt haben, sogar mit Unterstützung Israels, das mit Sorge auf die vom Guerillakrieg geplagte Halbinsel Sinai blickt.

Konzernchef Papperger zum Vorwurf auf der Hauptversammlung, es könne zu einem Einsatz gegen friedliche Demonstranten kommen: „Auch mit einem Privatfahrzeug können Sie Menschen verletzen.“ Eine überzeugende Grundsatzrede bleibt aus. Daß die Entwicklung modernster Militärtechnik eine Frage von nationaler Souveränität und Einfluß in der Welt ist, sagt er nicht. Nur so viel: „Jeder zweite Deutsche ist nach Umfragen für die Erhöhung des Wehretats und eine funktionstüchtige Rüstungsindustrie, aufgrund der Ukraine-Krise und so weiter.“

Eine rhetorische Anpassung in der Außendarstellung fand bereits statt: Gender-Sprache, Umweltschutz und Klimapolitik haben im Geschäftsbericht Spuren hinterlassen. Und in der Konzernzeitung wird damit geworben, daß Kaiser Wilhelm II. „nicht viel von Rheinmetall hielt“. 29 Prozent seines Rüstungsumsatzes verdient Rheinmetall aktuell in Deutschland. Die Heimat bleibt der wichtigste Einzelmarkt. Auch dank eines neuen 70-Millionen-Dienstleistungsauftrags der Bundeswehr, „bis 2018 für die industrielle Betriebsunterstützung im Gefechtsübungszentrum Heer (GÜZ) in der Altmark, Sachsen-Anhalt“ zu sorgen.

Dunkle Geschäfte

mit Griechenland?

Von 2014 bis 2026 sollen für eine Milliarde Euro zweitausend militärische Nutzfahrzeuge an Schweden und Norwegen ausgeliefert werden. Der Verkauf moderner Infanterie- und Nebelmunition an die USA habe 96 Millionen gebracht, die Lieferung von Laser-Licht-Modulen an Großbritannien 33 Millionen. Trotz allem ist die Rüstungssparte Rheinmetalls in die Verlustzone gerutscht, selbst der Umsatz im Bereich ziviler Automobilteile ist mittlerweile höher.

In Deutschland ist die Zahl aller direkt in der Rüstungsindustrie Beschäftigten seit der Wende von 250.000 auf 80.000 geschrumpft, ohne jedoch indirekte Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Akademikerrebell Grottian, mittlerweile selbst als Vertreter mindestens einer „Blutaktie“ am Rednerpult der Hauptversammlung, spricht von der „strukturellen Zerlegung der Rüstungsindustrie selbst“. Die Behauptung, mit Anteilsscheinen von Rheinmetall ließe sich gut Geld verdienen, stimmte 2014 jedoch nicht. Um 19 Prozent ging es mit der Aktie abwärts, während der mittlere deutsche Aktienindex M-Dax, wo das Papier gelistet ist, um zwei Prozent zulegte. Die Dividenden-Rendite liegt mit 0,6 Prozent im Keller. Allerdings: Wer vor 15 Jahren Rheinmetall-Akien kaufte, hat seinen Einsatz – ohne Dividendenberücksichtigung – verdreifacht.Wer damals auf teure Finanzdienstleister wie die Deutsche Bank setzte und die Anteilsscheine bis heute hielt, sitzt auf empfindlichen Kursverlusten (JF 21/15).

92 Prozent der Wertschöpfung flossen 2014 an die Rheinmetall-Mitarbeiter, davon 2,662 Millionen an den Chef. Sechs Prozent flossen an Zinsleistung ab, ein Prozent an die öffentliche Hand, ebenso wie an die Aktionäre. Aus der voranschreitenden Verlagerung ins Ausland macht der Konzern keinen Hehl: Im Jahr 2000 sind nur 60 Prozent außerhalb Deutschlands umgesetzt worden, 2014 schon 75 Prozent. Die Zahl der Mitarbeiter jenseits deutscher Grenzen stieg von 38 auf 50 Prozent.

Nur bei der Expansion in Griechenland holte sich Rheinmetall eine blutige Nase: Schmiergeldzahlungen an Ministerialbeamte und Militärs durch die Bremer Tochter Rheinmetall Defence Electronics flogen auf. Das Unternehmen stimmte einer Strafzahlung von 37 Millionen Euro zu, um Prozesse abzuwenden. Zusätzlich schlagen 6,4 Millionen an Steuernachzahlung und zwei Millionen für Rechtskosten zu Buche. Ein Rechtsanwalt aus Berlin, Vertreter institutioneller Anleger, faßt am Mikro zusammen: „Allzuviel Moral kann man als Aktionär oder Mitarbeiter eines Unternehmens, das Panzer baut, nicht erwarten – aber wenigstens, daß man sich an die Gesetze hält.“

Jahresabschluß und Konzernabschluß 2014: rheinmetall.com