© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

„Ich habe mir eine strenge Lehre auferlegt“
Malerei zwischen den Mauern: Eine Werkschau von Hans Kutschke im Museum der Stadt Bautzen
Sebastian Hennig

Zwei Jahrhunderte haben wir in Deutschland Erfahrung gemacht mit der freien Künstlerexistenz ohne gesellschaftlichen Auftrag. Gewachsen ist die Kunst davon nicht, eher vielleicht angeschwollen. Das Sonnenauge der Malerei wird vom Wanst eines unzugehörigen Spektakels verdeckt. Die Anzahl der Museen, Ausstellungen und Kataloge sind in diesem Sinne die Blähungserscheinungen eines Hungerödems.

Diesen Systemfehler haben wir aus dem 19. Jahrhundert übernommen. Bislang gab es immer wieder Nachjustierungen. Zum Beispiel die Berliner „Jahrhundertausstellung“ von 1906, die eine Neubewertung der zwischen 1785 und 1885 geschaffenen Malerei bewirkte. Die Werke von Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, Wilhelm Leibl und Hans von Marées bekamen durch sie erst Aufmerksamkeit und Museumspräsenz.

Weitere hundert Jahre später ist es längst wieder Zeit für eine Jahrhundert-ausstellung, die unsere vermeintlichen Gewißheiten über künstlerische Werte mit deren Offensichtlichkeit konfrontiert. Neben vielen anderen bisher verborgenen Leistungen würde dabei auch das Werk des 1945 im böhmischen Leitmeritz geborenen Hans Kutschke auffallen.

llegaler Schritt in

die Selbständigkeit

Kutschke wuchs in Bautzen in der Oberlausitz auf und erlernte zunächst den Brotberuf des Gütekontrolleurs. 1967 erhielt er die Zulassung zum Studium an der Dresdner Kunsthochschule. Der Antritt wurde ihm jedoch aus politischen Gründen versagt, und er mußte weitere sechs Jahre in einem Fahrzeugbaubetrieb arbeiten. Seine Berufung hat er darüber nie aus den Augen verloren. Kompromisse waren ebensowenig seine Sache wie Rebellion um ihrer selbst willen.

1975 ging er den riskanten, weil in der DDR illegalen Schritt in die künstlerische Selbständigkeit. Eine steuerliche Einordnung war nur über die Mitgliedschaft im staatlich gelenkten Berufsverband möglich. Wer es dennoch wagte, der galt als asozial und stand schon mit einem Bein im Gefängnis. Seine künstlerische Leistung und die Bürgschaft anerkannter Malerkollegen wie Harald Metzkes brachten ihm 1981 die Aufnahme in den Verband ein. Da lehrte er schon seit einem Jahr an einer Außenstelle der Kunsthochschule in Bautzen. Neben dem entscheidenden Beistand und Zuspruch hat Kutschke sich im wesentlichen selbst gebildet: „Ich habe mich einfach gekümmert und habe mir eine strenge Lehre auferlegt. (…) und laß’ da nicht locker bis auf den heutigen Tag.“

Kutschke ist beharrlich, ohne darüber die Anmut des Schaffens und Suchens einzubüßen. 1987 zieht er nach Dresden um, wo er seither seinen Arbeitsmittelpunkt hat. Die dortige Gemäldegalerie, in der so gut wie alle seine Generationsgenossen und Weggefährten mit mindestens einem Bild vertreten sind, besitzt bis heute kein Werk von ihm, genausowenig die Städtische Galerie. Eine große Werkschau zu seinem fünfzigsten Geburtstag fand 1995 im Museum Bautzen statt. Jetzt sind dort ein weiteres Mal sechzig Gemälde ausgestellt, die in den vergangenen zehn Jahren entstanden sind.

Die innere Heimat trifft

auf sinnliche Wirklichkeit

Kutschke bekennt von sich, ein „Figurenmaler“ zu sein. Das heißt nicht, daß die Figur immer im Mittelpunkt des Bildes stehen muß, wohl aber, daß die Darstellung stets von ihr ausgeht. Als den ersten zündenden Anblick, mit dem ihn Malerei berührt hat, schildert er eine Reproduktion von Rembrandts lachendem Selbstbildnis mit dem Malstock: „eine simple Halbfigur, was man damit machen kann.“ Gemeinsam mit einem Freund fährt er in den sechziger Jahren mit der Eisenbahn nach Berlin, eigens um dort im Bode-Museum Rembrandts spätes Bildnis der Hendrickje Stoffels zu sehen, wie es alte Museumsverzeichnisse in Aussicht stellen. Die Freunde müssen dort feststellen, daß dieses Bild in der Dahlemer Gemäldegalerie zugleich ganz nah und unerreichbar für sie ist. Diese Tatsache wollte er nie akzeptieren und hat sich nicht in der DDR eingerichtet. Eine Pseudo-Méditerranée am sozialistischen Schwarzen Meer aufzusuchen kam für Hans Kutschke nie in Frage. Ein wachsames Sehnen nach dem Unvergleichlichen bewahrte seinen Geist vor der Provinzialisierung.

Die Öffnung der Grenze führt ihn nach Venedig, Florenz, Paris und London. In der Begegnung mit der südlichen Landschaft in Sizilien und den kahlen Halden um Volterra trifft die innere Heimat seiner Bildwelt glückhaft auf sinnliche Wirklichkeit. Zwei Jahrzehnte dieser Begegnung, die eine Wiederbegegnung mit inneren Gewißheiten in der äußeren Welt war, krönen sich 2010 in einer Ausstellung seiner Bilder im Palazzo Albrizzi in Venedig.

„Zwischen den Mauern“ ist die Ausstellung in Bautzen überschrieben. Damit sind nicht nur die Mauern von Steinbrüchen, Baustellen und Palästen von Venedig gemeint, die auf den Gemälden zu erkennen sind. Mauern verstellen die Sicht auf die Welt, heute nicht anders als vor 1989. In der DDR, wo Figurenmalerei als ein behauptetes Ziel aufrechterhalten wurde, waren geglückte Umsetzungen eher selten. Das Gelände war vermint. Im Westen galt es seit den siebziger Jahren sogar als unbetretbar, um den Preis der Lächerlichkeit. Man begnügte sich dort im Foyer der Kunst, allerlei unverfängliche Possen anzudeuten, wobei ungeklärt blieb, ob Gestaltungskraft und Formbestreben überhaupt vorhanden waren.

Als nach der Wiedervereinigung die letzten Rückstände dynamischer Kunsttradition in Mitteldeutschland zu erodieren drohten, war Hans Kutschke im Bautzner Kunstverein die treibende Kraft hinter dem jährlichen Herbstsalon, der zwischen 1996 und 2011 Werke von Künstlern aus Sachsen, Brandenburg, Böhmen und Schlesien unter dem Motto „pro figura“ zusammenbrachte.

Kutschkes Bilder zeigen eine kraftvolle Malerei von gezügelter Expressivität.Er ist ein nachdenklicher Praktiker der Malerei, kein malender Philosoph.

Die Ausstellung „Zwischen den Mauern – Hans Kutschke zum 70. Geburtstag“ im Museum Bautzen, Kornmarkt 1, endet am 25. Mai. Zu der Schau ist ein Katalog erhältlich.

www.bautzen.de