© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Braucht Deutschland ein Zuwanderungsgesetz?
Definieren, wen wir wollen
Bernd Kölmel

Das Thema Zuwanderung ist von mehreren Seiten zu beleuchten. Aus demographischer Sicht ist die Frage nach Zuwanderung emotionslos mit ja zu beantworten. Unsere Bevölkerungszahl sinkt definitiv: Je nach Prognose von derzeit rund 81 auf rund 70 Millionen Einwohner im Jahr 2050, selbst wenn jährlich 100.000 bis 200.000 Menschen zuwandern. Dann muß rechnerisch jeder Arbeitende einen Rentner finanzieren. Solch einen Aderlaß kann kein Volk ohne massive Einschnitte bei den Sozialleistungen verkraften.

Natürlich müssen wir selbst dazu beitragen, daß wir nicht „aussterben“. Das abschätzende Lächeln einiger Politiker über die AfD-Position, die Familien zu mindestens drei Kindern zu ermutigen, zeugt nicht von Weitblick. Wir brauchen Familien, die gerne Kinder bekommen. Doch selbst wenn wieder mehr Kinder geboren werden als derzeit: es vergehen Jahrzehnte, bis sich dies demographisch auswirkt.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist Zuwanderung ebenfalls zu bejahen. In unserer spezialisierten Arbeitswelt wird es immer wieder vorkommen, daß in einigen Berufsfeldern Bewerbermangel herrscht. Zusätzlich bringen Zuwanderer stets das Wissen um ihr Land, die dort üblichen Verhaltensweisen und Kontakte zu ihren Heimatländern mit – eine Internationalität, ohne die auf dem Weltmarkt keine Firma mehr auskommt. Schließlich gibt es auch noch eine menschliche Sicht: Wer Familienangehörige außerhalb seines Wohnlandes hat, wird diese meist bald zu sich holen wollen.

Zuwanderung birgt Chancen und Risiken. Daher braucht Deutschland ein Zuwanderungsgesetz, und zwar nicht nur aus formalen Gründen. Es gibt bereits das „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet“. Gesetze sind aber nur dann gut, wenn sie die gewünschte Wirkung erzeugen. Dies ist hier eindeutig nicht der Fall. Derzeit erleben wir Einwanderung, die allenfalls der Zufall steuert.

Wir müssen viel klarer und transparenter unseren Anspruch an die Zuwanderer regeln. Wir sind es unseren Bürgern schuldig, daß die Rahmenbedingungen stimmen. Es wird weder den Zuwanderen noch der aufnehmenden Gesellschaft gerecht, wenn unrealistische (oder gar keine!) Annahmen zugrunde gelegt werden. Maßgeblich sollten insbesondere sein:

? Die Anzahl der zuwandernden Menschen muß definiert sein. Nur so können diese gut betreut und integriert werden. Ansonsten entwickeln sich Parallelgesellschaften.

? Die Zuwanderer müssen integrationsfähig und -willig sein. Neben ausreichenden Sprach- und Landeskenntnissen müssen Zuwanderer auch bereit sein, sich an die deutschen Verhältnisse anzupassen.

? Die individuellen Daten wie Beruf, Alter, Gesundheit und beabsichtigte Bleibedauer sind ebenfalls angemessen zu berücksichtigen.

Aus allen Kriterien muß ein Gesamtbild entstehen, das durch eine offizielle Prüfung zu belegen ist. Die Kriterien könnten über ein Punktesystem gewichtet werden. Dies würde auch flexible Anpassungen an geänderte Rahmenbedingungen ermöglichen.

Wir müssen viel klarer und transparenter unseren Anspruch an die Zuwanderer regeln. Wir sind es unseren Bürgern schuldig. Es wird weder den Zuwanderern noch uns gerecht, wenn unrealistische oder gar keine Annahmen zugrunde gelegt werden.

Derzeit muß der Bogen jedoch weiter geschlagen werden als über die bloße Zuwanderung. Die Politik und die Bürger diskutieren Zuwanderung meist gemeinsam mit dem Asylthema. Zu Recht, denn sie interessieren die juristischen Verästelungen weniger als die gelebte Praxis. Und die zeigt ihnen, daß viele Asylbewerber von heute die Zuwanderer von morgen sind. Im Jahr 2014 strömten über 200.000 Asylbewerber in unser Land.

Nur acht Prozent der nach Deutschland gekommenen Ausländer sind offiziell zur Arbeitsaufnahme eingewandert. Dagegen wurden von Januar bis September 2014 rund 220.000 Aufenthaltserlaubnisse wegen Familiennachzugs und rund 106.000 wegen humanitären und anderen Gründen erteilt. Wo soll schließlich der Unterschied sein zwischen Menschen, die direkt mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme zu uns kommen und jenen, die einen Asylantrag stellen und dann aber oftmals für lange Jahre bleiben und auch arbeiten dürfen? Diese faktische Vermischung zwischen Zuwanderung und Asyl muß beendet werden.

Die Asylgesetze bieten hinreichend Handhabe, um jenen helfen zu können, die asylberechtigt sind, und jenen ohne Asylgrund den Aufenthalt in Deutschland zu verweigern.

Das Recht muß aber auch konsequent angewendet werden. Wer das nicht beherzigt, untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt, unsere Hilfsbereitschaft und schließlich auch den Rechtsstaat.






Bernd Kölmel, Jahrgang 1958, ist Abgeordneter im Europäischen Parlament und Sprecher des AfD-Landesvorstands Baden-Württemberg. Über zwei Jahrzehnte war er am Landesrechnungshof in Karlsruhe in verschiedenen Funktionen tätig, zuletzt als Ministerialrat.