© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Falsche Überlebensstrategien der Mittelschicht: Bedingungslose Selbstausbeutung
Rückzug in die Kleinfamilie
(wm)

In der „jüngeren Mittelschichtdiskussion“ kommt nach Ansicht des Soziologen Olaf Groh-Samberg die Oberschicht zu selten vor. Dieser blinde Fleck vieler Analysen zum „Niedergang der Mittelschicht“ finde sich auch in der vielbeachteten Streitschrift von Cornelia Koppetsch, die 2013 ihre „Streifzüge durch die gefährdete Mitte“ unter dem Titel „Die Wiederkehr der Konformität“ veröffentlichte. Dabei kennzeichne keineswegs seine Anpassungsbereitschaft den Mittelstand, wie Groh-Samberg moniert, sondern die Neigung, beim Kampf um den Statuserhalt „bedingungslose Selbstausbeutung“ und „Restitution traditioneller Geschlechterarrangements wie kleinfamilialer Lebensformen“ zu präferieren (Soziologische Revue, 4/2014). Was Koppetsch bei ihrer Kritik solcher Überlebensstrategien im Sturm des „entfesselten Kapitalismus“ übersehe, sei die Naivität, mit der der Mittelstand den globalen Finanzkapitalismus als „anonymen Systemzwang“ akzeptiere statt ihn als neoliberales „Klassenprojekt“ der Oberschichten zu durchschauen. Dieser politische Analphabetismus scheine sich bei der „Nesthocker-Generation“ der Jahrgänge 1975 bis 1990 noch zu verstärken. Hätten ihre Eltern, die „68er“ immerhin noch die „neuen sozialen Bewegungen“ angestoßen, wünschen ihre Kinder heute nichts sehnlicher als deren Lebensstandard zu wahren – „Utopien sind Fehlanzeige“.

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