© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Eine Affäre nimmt ihren Lauf
BND: Im Streit um die Offenlegung der Suchbegriffe im Abhörskandal ist keine Lösung in Sicht
Christian Schreiber

Am Ende war die Verwirrung komplett. Dafür sorgte am Pfingstwochenende SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi mit ihrer als Ultimatum verstandenen Forderung an das Kanzleramt, dieses müsse bis zur nächsten Sitzungswoche klären, wie in der BND-Affäre der Bundestag die sogenannte Selektorenliste prüfen könne. Umgehend widersprach SPD-Chef Sigmar Gabriel. Es gebe kein Ultimatum.

Und so wurde aus dem von den Akteuren erhofften großkoalitionären Pfingstfrieden nichts. Schon in der vergangenen Woche hatte der CDU-Abgeordnete Michael Fuchs der SPD in der Affäre um die Ausspähaktionen des amerikanischen Geheimdienstes NSA und die Verwicklung des Bundesnachrichtendienstes am Ende die Pistole auf die Brust gesetzt. „Was wäre denn, wenn Angela Merkel jetzt über die Vertrauensfrage im Bundestag den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen suchte“, fragte er und brachte das Dilemma der Sozialdemokraten auf den Punkt: „Angesichts der Umfragewerte bin ich mir nicht sicher, ob die SPD das so will.“ 

Zuvor hatte Gabriel mächtig die Backen aufgeblasen und gefordert, die Spählisten der NSA notfalls auch gegen den Willen der Amerikaner freizugeben. Die Kanzlerin reagierte verstimmt, zumal ihr unterschwellig vorgeworfen worden war, sie würde deutsche Interessen auf dem Altar der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten opfern. Und noch einer ist in den vergangenen Tagen schwer unter Druck geraten: der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler. Der FDP-Mann, der in der vergangenen Woche vor dem NSA-Untersuchungsausschuß aussagen mußte, zählt nicht zu den Favoriten der Kanzlerin, opfern möchte sie ihn allerdings nur ungern. Dennoch ließ sie über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen, „daß das Bundeskanzleramt technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert hat“. 

Im Kern geht es darum, daß BND und NSA kooperiert haben, die Amerikaner ihre Befugnisse aber überschritten haben. Zunächst war nur bekannt, daß die Rüstungsunternehmen EADS und Eurocopter sowie französische Diplomaten von der NSA mit Hilfe des BND überwacht werden sollten. Doch noch vor dem Pfingstwochenende sickerte durch, daß die Abhörmaßnahmen der Amerikaner noch viel umfangreicher waren und der BND davon gewußt habe. Aus den Jahren 2005 bis 2008 besteht offenbar eine Liste mit 459.000 Suchbegriffen (Selektoren), mit denen unter anderem europäische Institutionen, hochrangige politische Persönlichkeiten und Firmen im Ausland ausspioniert werden sollten. Nur 400 Selektoren wurden durch den BND herausgefiltert. 

Der Nachrichtendienst überwacht von Bad Aibling aus die internationale Satellitenkommunikation und läßt die amerikanischen Kollegen an den Daten teilhaben. Die NSA übermittelt dazu Suchbegriffe wie Handynummern oder Mailadressen. Bereits 2013 gab es erhebliche Verstimmungen, als bekannt wurde, daß auch das Mobiltelefon der Kanzlerin angezapft worden war. Merkel hatte sich damals bei Präsident Barack Obama beschwert.

„Die NSA ist unser Partner, nicht Gegner“

Als Folge dieses Vorfalls hatte der Bundestag den Untersuchungsausschuß eingesetzt, der nun auch die sogenannte Selektorenliste einsehen möchte. Sowohl die Kanzlerin als auch Washington lehnen dies strikt ab, gelten die Daten doch als brisant und hochvertraulich. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) schlug mittlerweile vor, der Bundestag könne einen Sonderermittler einsetzen. Dieser werde dann Akteneinsicht erhalten und anschließend dem Parlament seine Erkenntnisse mitteilen. Fraglich ist, ob sich die Opposition damit zufriedengeben wird. Und völlig offen ist zudem, welche Konsequenzen die Affäre – insbesondere die jüngsten Enthüllungen – für den BND haben wird. Behördenchef Schindler sieht das Amt schon jetzt „schwer beschädigt“ und stellte klar, „daß wir von den Amerikanern abhängig sind und nicht umgekehrt“. 

Gerade die NSA-Aktivitäten bei der Terrorabwehr seien für die Bundesrepublik in höchstem Maße sicherheitsrelevant: „Die NSA ist unser Partner, nicht unser Gegner“, sagte Schindler. Dennoch wird zu klären sein, ob der BND willentlich Handlanger war oder mehr oder weniger unabsichtlich Hilfestellung für die Amerikaner beim Ausspähen europäischer Bürger und Institutionen gab. Insbesondere der Verdacht der Wirtschaftsspionage wiegt schwer. Schindler will erst im März erfahren haben, „daß etwas schiefläuft“. Für die Opposition ist der Eindruck entstanden, der FDP-Mann habe seinen Laden nicht im Griff. Der BND-Chef macht veraltete Strukturen für die Probleme verantwortlich. Dafür, daß die Amerikaner für Daten aus Krisengebieten wie Somalia oder Afghanistan Selektoren mit EU-Bezug übermitteln könnten, habe ihm „schlicht die Phantasie gefehlt“.