© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Kein Herz für Kinder
Mißbrauch: Über Jahre haben in Berlin Mitglieder der Alternativen Liste ein pädosexuelles Netzwerk betrieben / Die Partei duldete verurteilte Straftäter in ihren Reihen / Wer sich für deren Opfer engagierte, erfuhr Ablehnung
Christian Vollradt

Wir schämen uns für das institutionelle Versagen unserer Partei.“ Bettina Jarasch, Frontfrau des Berliner Landesverbands von Bündnis 90/Die Grünen, beginnt ihre Ausführungen mit einem Bekenntnis. Bis auf den letzten Platz gefüllt ist der kleine Konferenzraum in der Geschäftsstelle. Kameraleute, Fotografen, Reporter. Jarasch und ihr Co-Vorsitzender Daniel Wesener wollen vor der Presse den Bericht der „Kommission zur Aufarbeitung der Haltung der Grünen zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt“ vorstellen. Knapp 90 Seiten, die es in sich haben – und die doch, so Kritiker, vieles im unklaren lassen, bemänteln, verschweigen.

Straftäter kandidierte       vom Gefängnis aus

Jahrelang, bekennt Jarasch, habe die Alternative Liste (wie die Grünen in Berlin sich früher nannten) nicht nur pädosexuelle Propaganda, sondern auch „mindestens zwei“ strafrechtlich verurteilte Päderasten in ihren Reihen geduldet. „Die junge Partei war blind gewesen für die Opfer“, sie habe damit deren Leid noch verschärft. „Ich persönlich bin darüber fassungslos und wütend“, gibt Jarasch bekannt und bittet im Namen der Berliner Grünen die Opfer um Entschuldigung.

Man habe den Zeitgeist mitgeprägt, sei nicht bloß Mitläufer, sondern auch Motor gewesen, und dementsprechend trage man auch Verantwortung für die dunklen Seiten der sexuellen Revolution, ergänzt Wesener.  

Große Teile des Berichts zeichnen die programmatischen Diskussionen und Beschlüsse der Alternativen Liste (AL) zum Thema Pädophilie nach. Bereits in der Gründungsphase der neuen Partei (etwa 1978 bis 1981) stach dabei immer wieder die Forderung nach Streichung nicht nur des Strafgesetzbuch-Paragraphen 175 (homosexuelle Handlungen), sondern auch des Paragraphen 176 (sexueller Mißbrauch von Kindern) heraus. Außerdem erfährt der Leser, daß es im März 1980 ein im Mitgliederrundbrief beworbenes Wochenendseminar zum Thema „Pädophilie – Liebe mit Kindern“ stattfand. In dieser Zeit veröffentlichten Mitglieder der AL die Broschüre „Ein Herz für Sittenstrolche“, in der sie offen für eine Legalisierung sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern warben; genehmigt und mit einem Vorwort versehen vom „Geschäftsführenden Ausschuß“ der Partei. 

Das Wahlprogramm von 1981 forderte dann auch die Streichung aller entsprechenden Paragraphen, da diese „Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der freien Entfaltung ihrer Sexualität beschränken“ würden. Sexuelle Beziehungen „auf freiwilliger Basis“ sollten nicht bestraft werden; stattdessen müsse das Ziel sein, „Kindern den Weg zu einer glücklichen, von Liebe und Zärtlichkeit geprägten Sexualität zu erleichtern“. 

Parteiintern treibende Kraft bei der Forderung, das gesamte Sexualstrafrecht zu streichen, war der sogenannte „Schwulenbereich“ in der AL. Diese Gruppe, so stellt die Untersuchungskommission in ihrem Bericht fest, wurde von pädosexuellen Schwulen dominiert und gezielt genutzt, um deren Anliegen durchzusetzen. Bis 1993 sei dies „mehr oder minder ein Pädo-Bereich“ gewesen, resümiert Thomas Birk, der als Mitglied der Untersuchungskommission zu denen gehört, die am vehementesten eine selbstkritische Aufarbeitung dieser Vergangenheit fordern. Auch Parteichef Wesener (wie Birk bekennender Homosexueller) räumt während der Pressekonferenz ein, es sei für ihn schwer zu verdauen und erschreckend, daß zur damaligen Zeit „queere Anliegen und Pädosexualität als zwei Seiten einer Medaille verstanden wurden“.  

 Zu den Wortführern der Pädosexuellen in der AL und ihrem „Schwulenbereich“ gehörten unter anderem die mittlerweile verstorbenen Dieter F. Ullmann und Fred Karst. Beide waren einschlägig vorbestraft, weil sie Jungen im Alter von 7 bis 12 Jahren mißbraucht hatten. Ullmann, Mitbegründer der grünen Bundesarbeitsgemeinschaft SchwuP (Schwule, Transsexuelle und Päderasten), verbüßte eine Haftstrafe in der JVA Moabit, als er 1981 auf der Bezirksliste der AL Neukölln für das Berliner Abgeordnetenhaus (erfolglos) kandidierte. Ullmann trat 1989 aus der AL aus; allein zwischen 1986 und 1989 wurde er wegen vier weiterer Mißbrauchsfälle verurteilt. 

Auch Karst machte aus dem Gefängnis heraus Politik. Er verbüßte eine Haftstrafe, als er 1983 der AL beitrat und gründete später im Schwulenbereich eine Untergruppe mit dem vielsagenden Namen „Jung und Alt“. Karst, der auch aktiv in der Jugendbewegung war und Kindergruppen beim Nerother Wandervogel leitete, nutzte über viele Jahre sogenannte offene Wohnungen als Anlaufstelle für Jungen aus schwierigen Familienverhältnissen, die dort dann mißbraucht wurden. Traurige Berühmtheit erlangte in diesem Zusammenhang der als Freizeitladen getarnte „Falckenstein-Keller“. Karst kam 1995 seinem drohenden Parteiausschluß durch Austritt zuvor, nachdem er abermals wegen Mißbrauchs eines achtjährigen Jungen verurteilt worden war. 

Von einem pädokriminellen Netzwerk in Berlin-Kreuzberg, an dem die beiden AL-Mitglieder Fred Karst und Dieter Ullmann nachweislich beteiligt waren, weiß auch die frühere Sozialarbeiterin Frauke Homann zu berichten. „Es gab innerhalb der Partei ein aktives Zentrum und einen Dunstkreis darum herum“, erinnert sich Homann in einem Interview mit der FAZ. 

Die „Pädos“, wie man sie in der Alternativen Liste verharmlosend genannt habe, „waren sehr aktiv und gut vernetzt. Sie nutzten die Kreuzberger Infrastruktur. Es gab viele soziale und pädagogische Sonderprojekte für benachteiligte Kinder, in die sie einsickerten. Dort wurde nicht gefragt, ob man vorbestraft ist. Das Muster war immer das gleiche: Opfer wurden oft Jungen aus sozial schwachen Familien. Die Tatorte waren öffentliche und kirchliche Betreuungseinrichtungen sowie Freizeitgruppen, besonders im Sport, und die Täter waren gut organisiert.“ 

Den Verdacht, daß es in Kreuzberg eine große Gruppe mißbrauchter Jungen gab, habe sie bei ihrer Arbeit in der siebten Klasse einer Schule geschöpft. Die Jungen seien übersexualisiert gewesen, „ihre Sprache war voller sexueller Begriffe und Beschimpfungen“.

In einem Prozeß, bei dem einige Schüler als Zeugen aussagen sollten, seien Mitglieder der Pädophilen-Arbeitsgemeinschaft als Unterstützer für den Angeklagten aufgetreten, was die jugendlichen Zeugen teilweise eingeschüchtert habe.

Homann berichtete der Kommission auch von ihren Schwierigkeiten, wenn sie sich für die Jungen einsetzte. Für die habe es so gut wie keine Unterstützung gegeben. „Wir wollen doch niemanden diskriminieren“, sei ihr entgegnet worden. Linke Männer hätten geäußert: „Im pädosexuellen Bereich ist das ja einvernehmlich, wir üben keine Gewalt aus.“ Und bei „Wildwasser“, einem Hilfsverein für Mißbrauchsopfer, habe man sie mit den Worten abgewiesen: „Wir kümmern uns hier um Mädchen.“ Nennenswerter Widerspruch gegen das Treiben der Pädosexuellen kam damals lediglich aus der feministischen Frauengruppe der AL in Kreuzberg.

Dieser Doppelmoral der Grünen und ihres Umfelds hatte sich Frauke Homann entgegengestellt. Als im September 1986 das Abgeordnetenhaus über einen Antrag der AL zu Hilfen für mißhandelte Mädchen debattierte, wurde Homann als Expertin aus dem Gesundheitsamt Kreuzberg angehört. Sie begann ihre Rede mit dem Hinweis, sexueller Mißbrauch komme auch bei Jungen häufig vor, nur spiele er sich meist außerhalb der Familie ab und werde von Tätern begangen, die den Kindern als Betreuer, Trainer oder Erzieher bekannt seien. CDU und FDP ließen daraufhin im Antrag den Begriff Mädchen durch Kinder ersetzen. 

Der Falckenstein-Keller war laut Homann faktisch ein „Sex-Club“ der Päderasten. „Erst als ein Mädchen, das nicht mit in den Keller durfte, vor Wut ‘Kinderpuff’ an die Tür schrieb, flog es auf“, erinnert sich Homann. Ihr zufolge betrieben die Mitglieder des Netzwerks im Kreuzberger Graefe-Kiez „damals eine stadtbekannte Tauschbörse für Knaben“.

Bei den Opfern der pädosexuellen Täter in der AL handelte es sich hauptsächlich um Jungen im Alter von 7 bis 12 Jahren. Bislang habe die Kommission, so schreiben die Autoren, keine Hinweise darauf, daß der Mißbrauch bei Veranstaltungen, in Institutionen oder Räumen der Partei stattgefunden hat. Allerdings habe man mangels Quellen praktisch keine Erkenntnisse über die Arbeit der Gruppe „Jung und Alt“. Insofern könne man nicht ausschließen, „daß es auch Opfer sexuellen Mißbrauchs innerhalb grüner Strukturen gab“. Hilfreich waren für die Pädophilen-Lobby schließlich auch manche grün-alternativen Mitglieder des Abgeordentenhauses. So nutzte etwa die Arbeitsgemeinschaft Pädosexualität ab 1985 auch die Fraktion der Alternativen Liste, um mittels Kleiner Anfragen das Wissen der Behörden über die Aktivitäten der Pädosexuellen – zum Beispiel im erwähnten Falckenstein-Keller – gezielt abzufragen.

Zwei (homosexuelle) Mitglieder der AL-Fraktion verteidigten im Abgeordnetenhaus das bundesweite Treffen der Arbeitsgemeinschaft Pädophilie im Bundesverband Homosexualität, das am 1. November 1991 im Café Graefe in Berlin-Kreuzberg stattgefunden hatte. Auf dieses Treffen hatte die Polizei mit einer Razzia reagiert und dies damit begründet, daß dort zwei zehnjährige Jungen erschienen waren.

1997 wurde das ehemalige Mitglied des Schwulenbereichs Peter Schnaubelt in Kolumbien verhaftet und in Deutschland wegen Herstellung und Verbreitung von kinderpornographischem Material angeklagt, nachdem bei einer Hausdurchsuchung Tausende Bilder und Videos sichergestellt worden waren. Im Jahr zuvor hatten ihn die Grünen aus der Partei geschmissen – weil er seine Mitgliedsbeiträge nicht zahlte.

Als 1995 die Forderung nach legalem Sex mit Kindern auch bei den Berliner Grünen endlich als inakzeptabel galt, wurden die Programme der vorherigen Jahre einfach totgeschwiegen. Die Pädophilie-Propagandisten verließen die Partei – und mit ihnen verschwand das Thema. „Wir haben es nach ’95 nicht aufgearbeitet“, so faßt es Thomas Birk zusammen: „Es ist schwer auszuhalten, aber es gab Täter in den Reihen der Grünen.“

Laut Aussage der jetzigen Grünen-Führung versteht die Partei den Untersuchungsbericht ausdrücklich nicht als Abschlußbericht. Auch könne der Kontext, in dem die pädosexuellen Verstrickungen stattgefunden hätten, nichts entschuldigen, sondern nur erklären.

Ein Erklärungsansatz ist dabei die äußere Form der AL. Sie war „Sammelbecken diverser Strömungen und Initiativen“. Die Parteiführung habe sich in erster Linie nur als Moderatorenteam verstanden, es sei ein „offener, herrschaftsfreier Diskurs“ gepflegt worden. Dabei galt es als Konsens, daß eine „relevante Minderheit“ nicht überstimmt werden durfte. Diesen Umstand hätten sich die Pädophilen zunutze gemacht.

Ein zweiter Erklärungsansatz betrifft die ideologische Ausrichtung. Lange Zeit, so heißt es rückblickend durchaus selbstkritisch, habe ein „Minderheitendogma“ geherrscht. Alles, was irgendwie als anti-etabliert galt, wurde unterstützt. „Man verstand sich als Sprachrohr und Lobby gesellschaftlich diskriminierter Gruppen.“ Und weil sich die pädosexuellen Täter als Opfer des diskriminierenden Strafrechts darstellen konnten, zeigte sich die Partei solidarisch mit ihnen – und nicht mit ihren Opfern. Bei anderen in der AL herrschte auch einfach nur Desinteresse; das Thema galt als eines, das die Schwulen unter sich ausmachen sollten.

„Beinahe alle damals        haben persönlich versagt“

Was der Bericht nicht wiedergibt, sind Aussagen von Zeitzeugen, die Opfer der Pädophilen in der Alternativen Liste wurden; obwohl die Kommission solche Interviews geführt hat. Hier setzt vor allem die Kritik des Journalisten Christian Füller an, der seit langem die Hintergründe der pädosexuellen Verstrickungen im grün-alternativen Milieu recherchiert hat: „Der Text atmet den Geist der Relativierung und Ablenkung. Immer dann, wenn es unwichtig ist, wird penibel und länglich zitiert.“ Für Füller steht fest: „Niemals in der Geschichte seit den Päderasten des antiken Griechenlands konnte man so offen vom ‘Sex mit Kindern’ schwärmen wie in der frühen grünen Ära von 1980 bis Mitte der neunziger Jahre.“

Die Mitglieder der Kommission wiesen die harsche Kritik Füllers bereits in der Pressekonferenz zur Vorstellung des Untersuchungsberichts zurück. Sie betonen, daß der Bericht kein Ende der Aufklärungsarbeit bedeute und sie gerade mit dieser Arbeit die Opfer von damals auffordern, sich zu melden. Sie verwiesen außerdem darauf, daß die interviewten Betroffenen von sich aus darum gebeten hätten, ihre Aussagen nicht zu veröffentlichen.

Der ehemalige Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland, der als einziges prominentes Mitglied der Gründergeneration zur Vorstellung des Berichts erschienen war, gibt unumwunden zu: „Beinahe alle in der AL jener Jahre haben persönlich versagt.“ Aber, so gibt er zu bedenken, es habe auch in der Öffentlichkeit damals keinen Aufschrei gegeben. Obwohl die Alternativen in den Wahlkämpfen der achtziger Jahre keinen Hehl aus ihren Positionen zum Thema Straffreiheit bei Sex mit Minderjährigen gemacht und dies in Programmen oder Parteizeitungen auch veröffentlicht hätten. Skandalisiert worden sei damals das Verhältnis der AL zur Gewalt oder ihre Forderung nach einer autofreien Stadt, jedoch nicht das Thema Pädophilie.

Foto: Gründungsversammlung der Alternativen Liste in der Hasenheide (Berlin-Kreuzberg) am 3. November 1978: „Es gab Täter in den Reihen der Grünen“