© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Eine tief gespaltene Gesellschaft
Balkankonflikte: Der Streit der politischen Lager in Mazedonien eskaliert, und die Nachbarn zündeln ordentlich mit
Maximilian Seidel

Der seit 2008 offiziell unabhängige Kosovo war vor kurzem wieder in den Schlagzeilen, als Tausende Kosovo-Albaner vor ihrer inkompetenten, korrupten Regierung nach Deutschland flohen. Mazedonien macht aktuell Schlagzeilen, da Tausende auf den Straßen der Hauptstadt Skopje gegen die Regierung demonstrieren. Beides wird als Bürgerprotest mit den Füßen gefeiert, als Zeichen zivilgesellschaftlicher Reife. 

Außerdem brauche Deutschland gutausgebildete Arbeitskräfte, wie Dušan Relji´c von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik meinte. Der serbische Publizist Nenad Kecmanovi´c sieht das anders. Die Auswanderung und der Straßenprotest seien Indizien, daß nicht nur der Kosovo und Mazedonien, sondern auch Bosnien-Herzegowina gescheiterte Staaten seien – failed states. Mag der Kosovo auch mittlerweile von Kroatien und etlichen anderen Staaten anerkannt sein, ein Staat sei er nach wie vor nicht, und die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien sowie Bosnien-Herzegowina seien tief gespaltene Gesellschaften, denen es, abgesehen von ihrer staatlichen Unabhängigkeit, schlechter als den übrigen Republiken in der Region gehe.

Albanische Minderheit geht in die Offensive 

Die größte Hypothek, mit der Mazedonien seit seiner Unabhängigkeit ringt, ist neben der Blockadepolitik des griechischen Nachbarn die Illoyalität der großen albanischen Minderheit. Angespornt vom Erfolg ihrer Konationalen im Kosovo, brachte ihr radikaler politischer Flügel das Land 2001 an den Rand des Abgrunds. Mazedonisch-albanische Politiker wie Ali Ahmeti, ehemaliger UÇK-Kommandant und Vorsitzender der „Demokratischen Union für Integration“, lassen bis heute keine Gelegenheit aus, das slawische Staatsvolk der Mazedonen mit Sonderwünschen zu ärgern.

 Der konservative Regierungschef Nikola Gruevski mußte gegen den Protest der slawischen Mazedonen, aber auf Druck der albanischen Minderheit den unabhängigen Kosovo anerkennen und auch die Rechte der albanischen Minderheit stärken, tat dies aber nicht im gewünschten Maße. Die Quittung: gewaltsame Ausschreitungen, die Gruevskis Warnungen nur bestätigten, daß die innere Unruhe weiter geschürt werde, um kosovarische Zustände herzustellen. Wiedergewählt wurde er im Juni 2011 und in vorgezogenen Neuwahlen im April 2014 mit großer Mehrheit, trotzdem oder gerade deshalb bestätigt. Entscheidend war auch Gruevskis relativ erfolgreiche Wirtschafts- und Reformpolitik. Aber vor allem seine konservativ-mazedonische Linie ist nicht nur den albanischen Politikern ein Dorn im Auge. Demonstranten aus dem linken Lager und albanische Radikale nutzen seit Tagen die Empörung über Gruevskis angebliche Bestechlichkeit – mit der der Regierungschef in Südosteuropa wahrlich nicht allein steht –, um ihn aus dem Amt zu drängen. 

Anführer des Protests, den die Regierung mit Massenprotesten ihrer Anhänger kontert, ist der Vorsitzende der sozialdemokratischen Liga Mazedoniens, Zoran Zaev. Der 40jährige hatte im Februar nicht nur strafrechtlich brisantes Material über die Regierung veröffentlicht, sondern auch Telefonmitschnitte, die die Opposition als „rassistisch“ verurteilte. In diesen Telefonaten äußerten Regierungsmitglieder ihren Unmut über die „provokante Politik der albanischen Opposition, der Taten folgen“ müßten. 

Im Mai 2015 hatte eine bewaffnete Terrorgruppe, die aus dem Kosovo eingedrungen war, im mehrheitlich albanisch bewohnten Stadtteil von Kumanovo auf mazedonische Sicherheitskräfte geschossen. Die Täter traten in einem Video in UÇK-Uniformen auf.

Während die Regierung den Gegenschlag der mazedonischen Sicherheitskräfte, bei dem acht Polizisten sowie 14  Mitglieder der bewaffneten Gruppe getötet wurden, lobte, sprachen kosovarische Kreise davon, daß Gruevski nur einen „blutigen Konflikt“ mit der albanischen Minderheit schüren wolle. 

Dagegen wertete der serbische Außenminister Ivica Daci´c das erneute Aufflackern „terroristisch-separatistischer Tendenzen“ und die Demonstrationen als Indizien dafür, daß das Frühwarnsystem der OSZE wie schon im Fall Ukraine versagt habe. Auch die EU habe Mazedonien zu lange ignoriert. 

Den von der Opposition geforderten  Rücktritt schloß Gruevski aus. Mazedonien habe es nicht verdient, von jemandem wie Zaev regiert zu werden, der seine Befehle von ausländischen Nachrichtendiensten empfange, meinte Gruevski in Anspielung auf die Abhöraffäre. Dennoch blieben die sich anschließenden Rücktritte von Innenministerin Gordana Jankulovska und Geheimdienstchef Sasho Mijalkov nicht ohne Beigeschmack. 

Albaniens Premier droht mit Massenzuwanderung

Ein Regierungsmitglied erklärte, die Proteste seien von der EU, der Nato und Washington provoziert worden, was Ali Ahmeti umgehend dementierte. Die USA wollten einen weiteren „ungehorsamen“, das heißt nationalistischen Akteur auf dem Balkan zurechtweisen, so die russische Balkan-Expertin Elena Guskova. 

Albaniens Premier drohte bereits, Millionen Albaner nach Mazedonien zu schicken, sollte die mazedonische Führung sich nicht kooperativ zeigen. Die Regierung in Skopje, die nicht erst aktuell fürchtet, daß die mazedonisch-slawische Bevölkerung im eigenen Staat ins Hintertreffen geraten könnte, ließ sich einiges einfallen, um die linken und albanisch-ethnisch motivierten Proteste auszutrocknen: Betriebe erklärten den Sonntag zum Arbeitstag, die meisten Medien ignorieren die Demonstrationen oder Polizeikontrollen. Auch Straßensperren sollen Demonstranten abhalten.