© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Ganz schlimm, wenn es um Heiliges geht
Franz Uhle-Wettler analysiert den Krieg in Vergangenheit und Zukunft und seine Ausuferungen im Namen der Ideologie
Helmut Roewer

Bereits vor knapp fünfzehn Jahren hat der Militärhistoriker Franz Uhle-Wettler, als Generalleutnant und Kommandeur des Nato Defense College in Rom ausgewiesener Fachmann der Materie, dem Krieg als gesellschaftliches Faktum der gesamten Menschheitsgeschichte eine fulminante Studie gewidmet. Darauf baut seine aktuelle Kriegsgeschichte höchst eigener Art auf und weist stärker als zuvor in die Zukunft kriegerischer Konflikte.

Uhle-Wettler beleuchtet das Phänomen des Krieges, seinen Stellenwert, die Berechtigung zum Kriegführen und seine Auslöser vom Altertum bis in unsere Tage hinein. Damit sprengt der Autor den Rahmen des Üblichen. Hier scheibt ein Denker, ein Denker über den Krieg. Das knüpft an große Tradition an, als preußische Generale, allen voran Carl von Clausewitz, versucht haben, den Krieg als Ereignis gedanklich zu durchdringen.

Die Ergebnisse, die Uhle-Wettler präsentiert, sind vielfältig und überraschend: Herausgegriffen in dieser kurzen Besprechung sei der Unterschied zwischen rationaler Kriegführung und Kriegführung im Namen einer Ideologie und die Auswirkung solcher Antriebe auf die Brutalisierung der Kriegshandlungen. Je rationaler der Krieg gesehen wurde, so zum Beispiel als normale Auseinandersetzung zwischen Staaten, um eine Streitigkeit auszutragen, desto mehr waren die Kriegführenden darauf bedacht, den Krieg nicht ausufern zu lassen. Je mehr der Krieg ein ideologisches Unterfutter hatte, desto totaler wurde er geführt. Diese Thesen werden beispielhaft anhand der Kreuzzüge des Mittelalters behandelt, die ein Muster ideologisierter Kriegführung waren, in denen die Kriegsparteien, die diese Kriege anzettelten, die schrecklichsten Untaten verübten, denn Zielsetzung war das Ausrotten einer ungläubigen Bevölkerung. Es waren, wenn man so will, Verbrechen mit gutem Gewissen.

Derlei Glaubenskriege kamen nach dem Dreißigjährigen Krieg außer Gebrauch, das Kriegsgeschehen geriet unter die Herrschaft der Ratio: Man wollte nicht verwüsten, was man zu besitzen trachtete. Der Schlachtentscheid geriet zum Schiedsgericht der als Kriegsgrund angeschnittenen Streitfrage. Folglich waren die Staaten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bestrebt, dem Krieg feststehende, für alle verbindliche Regeln zu verpassen.

Doch der guten Absicht folgte nicht die Tat. Mit dem Ersten Weltkrieg geriet die Kriegführung wieder in die Hand von Ideologen. Man darf hinzufügen: Es waren die Propagandisten Großbritanniens und, dem folgend, der USA, die den Krieg gegen den „unspeakable Prussian“ und für die „democracy“ zum Kriegszweck erhoben, Krieg also nicht unter seinem eigentlichen Kriegszweck, sondern als heilige Sache führten. Ganz anders in Frankreich, Deutschland und Rußland. Die Ideologisierung des Krieges war die geistige Voraussetzung für Maßnahmen, um die deutsche Bevölkerung durch Aushungern zu vernichten. Die Hungerblockade wurde so zum akzeptierten Kriegsmittel der späteren Siegermächte. Es wurde auch nach der deutschen Kapitulation weiter angewendet, um die deutsche Unterschrift unter einen Diktatfrieden zu erzwingen. Die Rückkehr der Kreuzzugsidee ins Kriegsgeschehen war damit wieder in der Welt. 

Franz Uhle-Wettler hat den anglo-amerikanischen Glaubensüberzeugungen, die hierfür die Verantwortung tragen, nachgespürt. Damit ist der Rezensent im Kern der Studie angekommen, denn dies sind zugleich die Antriebsfedern der heutigen weltweiten Kriegführung, die unter der Flagge der Pax Americana stattfindet. Sie ist ohne ihre religiösen Wurzeln nicht denkbar. Das Ergebnis ist diese seltsame Kombination von Gewalt im Packpapier der Menschenrechte. Welches Menschenrecht gerade gewaltsam geschützt werden muß, bestimmt der Missionar. Der Ungläubige ist immer der andere.

Erster Weltkrieg war eine Form der Rebarbarisierung

Wie gesagt, den Anfang der veränderten, rebarbarisierten Kriegführung brachte der Erste Weltkrieg. Doch die Dinge waren und sind steigerungsfähig. Das, was Uhle-Wettler über die Kriegführungsmethodik des Zweiten Weltkriegs zu Papier gebracht hat, gehört zum Unangenehmsten, was in diesem Buch zu lesen ist. Darin auch die Selbstbezichtigung des Literatur-Nobelpreisträgers Ernest Hemingway, wie er 122 deutsche kriegsgefangene Soldaten erschießt, einfach so, weil sie ihm als Reporter in die Quere kommen. Trotzdem wird dieser Massenmörder an deutschen Schulen heutzutage unkritisch gelesen.

Den Abschluß bildet ein Ausblick in künftige Kriege. Der läßt nichts Gutes erwarten. Dennoch appelliert der Autor an die Vernunft. Sie wäre in der Lage, das Kriegsgeschehen zu vermeiden. Doch wird sie es angesichts des Umstandes, daß Glaubenskriege für „democracy“ und „human rights“ in unserem Denken als Normalität Einzug gehalten haben? Genau das ist die Frage. – In summa: ein kluges, ein lesenswertes Buch. 

Franz Uhle-Wettler: Der Krieg. Gestern – heute – und wie morgen? Ares Verlag, Graz 2015, gebunden, 342 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro