© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Immer dünner wird die Haut des Planeten
Ökosystem: Viele Interessenkonflikte stehen dem Schutz der Ressource Boden entgegen
Dieter Menke

Weltweit vollzieht sich der Verlust fruchtbarer und ökologisch intakter Böden mit beängstigender Geschwindigkeit. Zwischen zehn und zwölf Millionen Hek­tar, das entspricht in etwa der landwirtschaftlichen Nutzfläche Italiens, fallen jährlich dieser „Bodendegradation“ durch Abholzung, Verstädterung, agrarische Übernutzung, Nährstoffverarmung, Erosion, Versauerung, Versalzung oder Vergiftung zum Opfer.

Das Problem ist altbekannt, steht jedoch erst seit kurzer Zeit weit oben auf der ökologischen Weltrettungsagenda der Vereinten Nationen, die 2015 zum „Internationalen Jahr des Bodens“ ausriefen und 2014 den 5. Dezember erstmals als „Weltbodentag“ deklarierten, um den dramatischen Zustand der „dünnen Haut des Planeten“ ins Bewußtsein der internationalen Staatengemeinschaft zu rufen.

Böden sind zweitgrößter Kohlenstoffspeicher

Ein konsequenter Schritt, nachdem sich die Teilnehmer der „Rio+20“-Konferenz 2012 darauf geeinigt hatten, eine „landdegradierungs-neutrale Welt“ zu schaffen. Doch angesichts einer rasant steigenden, mit Nahrung zu versorgenden, daher landhungrigen Weltbevölkerung, die in diesem Jahrhundert die Zehn-Milliarden-Grenze erreichen dürfte, kommen solche rechtlich unverbindlichen Ankündigungen über Symbolpolitik nicht hinaus.

Deutsche Umweltrechtler und Ökologen sind hingegen der Auffassung, es gelte keine Zeit mehr mit UN-Konferenzrhetorik zu verschwenden, wenn nicht 2015 wiederum allein durch Erosion 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens verlorengehen sollen. Zumal man in menschlichen Zeiträumen davon nichts wiedersehen wird. Denn bis sich eine Schicht von 2,5 Zentimeter Boden neu bildet, vergehen 500 Jahre. Ein schlagendes Argument, wie der im Umweltbundesamt für den Grundwasserschutz zuständige Jurist Harald Ginzky meint, um endlich ein „internationales bodenschutzbezogenes Regime“ zu etablieren (Zeitschrift für Umweltrecht, 4/15).

Kurz- und vielleicht nicht einmal mittelfristig ist Ginzkys Vorschlag in praktische Politik schwerlich zu transferieren, wie ein Einblick der Geoökologin Franziska Linz und der Umweltingenieurin Ivonne Lobos Alva (beide Institut für Nachhaltigkeitsforschung Potsdam) in den Debattendschungel zum Thema Bodendegradation zeigt, der sich im selben ZUR-Heft findet. Boden- und Landdegradierung hätten seit der Weltklimakonferenz von Rio de Janeiro (1992) eher im Schatten globaler Sorgen um Klima, Biodiversität und Bekämpfung der Desertifikation gestanden.

Erst sukzessive sei im Rahmen des Klimaschutzes die zentrale Bedeutung der Böden als den nach den Ozeanen zweitgrößten Kohlenstoffspeichern der Erde berücksichtigt worden. Nun habe der jüngste Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) die Vergrößerung dieses Speichers durch (Wieder-)aufforstung empfohlen und damit die Weichen dafür gestellt, die Ressource Boden im neuen Weltklimaabkommen, das im Herbst 2015 in Paris verabschiedet wird, adäquat zu gewichten.

Fraglich ist, ob vergleichbar weitreichende Impulse von einer 2012 eingesetzten Arbeitsgruppe ausgehen, die für die UN-Generalversammlung im September 2015 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals/SDG) formuliert hat. Denn bei den unübersichtlichen 17 Haupt- und 169 Unterzielen spielen Bodenressourcen nur eine unterstützende Rolle, obwohl sie immerhin bei den Zielen Ernährungssicherheit und Schutz terrestrischer Ökosysteme direkt angesprochen würden.

Umweltrechtler gegen freie Marktwirtschaft

Allerdings rege sich auch Widerstand gegen eine „starke Agenda für Böden“ in den SDGs. Ein wichtiges Unterziel, das sich auf die Verdopplung der landwirtschaftlichen Produktivität kleiner Lebensmittelhersteller bis 2030 richte, scheine den Druck auf die Ressource Boden sogar erhöhen zu wollen. Und ausgesprochen fatale Auswirkungen sind nach Hauptziel SDG 7 zu befürchten, wonach der Anteil der erneuerbaren Energien an der globalen Energiemischung zu steigern sei. Bis 2040 werde erwartet, daß 28 Prozent der gesamten Biomasse die Nachfrage nach Flüssigkraftstoffen befriedigen soll. Wie trotzdem Unterziele wie der Abholzungsstopp und die Etablierung nachhaltiger Ernährungssysteme zu realisieren sind, erschließt sich den beiden Potsdamer Forscherinnen darum nicht.

Die drei Rio-Abkommen zu Klima, Biodiversität und Wüstenbildung sowie zahlreiche multilaterale Umweltabkommen, die bodenbezogene Fragen berühren, haben ohnehin eine Lage geschaffen, in der die Umsetzung, Einhaltung und Wirksamkeit solcher Abkommen kompliziert und durch Herausforderungen bei der Datenerzeugung, durch konzeptionelle Schwierigkeiten sowie methodische Inkonsistenzen geprägt sei – ganz zu schweigen von den gegensätzlichen politischen und sozioökonomischen Interessen der Vertragspartner, die die Bodenproblematik zusätzlich verschärfen.

Wie da der „Bodenschutz als Menschheitsaufgabe“ völkerrechtlich verbindlich durchzusetzen ist, ist in Ginzkys „konzeptionellen Überlegungen“ für ein internationales Bodenregime angesichts der vielen Konfliktfelder zwischen Industrie- und Entwicklungsländern kaum schemenhaft zu erkennen. Ein neuer, die drei Rio-Konventionen ergänzender Vertrag mit eigenständigem organisatorischem Unterbau oder ein gemeinsames Protokoll auf der Grundlage der bestehenden Verträge hält Ginzky jedenfalls für kaum aussichtsreich. Es bleibe nur die Option, das Übereinkommen über biologische Vielfalt (UN Convention on Biological Diversity/CBD) von 1992 im Sinne des Bodenschutzes zu präzisieren. Artikel 1 CBD umfasse grundsätzlich alle relevanten Bodenfunktionen und gebietet ihre Erhaltung zum Schutz der Biodiversität.

Ginzky konterkariert den eigenen Ansatz aber durch Hinweise auf die rechtliche Unverbindlichkeit des CBD-Abkommens sowie auf das Fehlen bodenspezifischer Verpflichtungen. So rettet er sich am Ende in Hoffnungen auf Interventionen jenseits der Umweltpolitik, da man über bodenschutzbezogene Handelsbeschränkungen, „grüne Subventionen“ oder ökologische Kreditvergaben Einfluß auf den weltweiten Schutz der Böden nehmen könne.


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