© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Der Flaneur
Waxing muß es auch geben
Josef Gottfried

Grandios, gerade komme ich aus dem süßen Café Storch in der Aachener Straße, dort habe ich mit einer tollen Polin und einem freundlichen Spanier eifrig diskutiert, es hat funktioniert, wir haben uns gut verstanden. Ich habe zwei doppelte Espressi und drei Gläser billigen Rotweins getrunken, kurz: Jetzt bin ich ein euphorischer Europäer, feuertrunken gar.

Und ein paar Meter weiter kommt dann das hier: „Sugaring zum Preis von Waxing“ steht auf der Schaufensterscheibe. Ich bin mir ziemlich sicher, daß hier für eine spezielle, wahrscheinlich besonders wirksame Form der Enthaarung geworben wird. Und das zu einem unerwartet günstigen Preis, nämlich dem von „Waxing“.

Und in mir keimt die Frage auf, was für Leute sich wohl enthaaren lassen. Und wozu.

„Enthaarung“ ist ein Wort, welches sich – müßte man es in einer Rangfolge des ästhetischen Werts von Begriffen einordnen – irgendwo in der Nähe von „Bieratem“, „großporig“ oder „Schorf“ wiederfände. Frühlingshafte Götterfunken hatten mich belebt, aber um diese Uhrzeit ist es doch schon wieder etwas kühl.

Ich mache den Reißverschluß meiner Jacke zu, stecke meine Hände in die Taschen und konzentriere mich auf „Sugaring zum Preis von Waxing“. 

Die Schaufensterscheibe des Enthaarers ist mit einer milchigen Folie beklebt, die nur zwischen ihrem Rand und dem Fensterrahmen einen Blick in das Ladenlokal zuläßt. Mit Händen in den Taschen beuge ich mich vor und werfe einen Blick durch den schmalen Spalt. Drinnen sieht es danbn doch recht sauber aus, mir scheint’s, als könnte man dort auch iPhones oder ein Macbook Air verkaufen.

Es geht aber um Enthaarung. Und während der knapp anderthalb Minuten, in denen ich den Laden an der milchigen Folie vorbei begutachte, keimt in mir die Frage auf, was für Leute sich wohl enthaaren lassen. Und wozu. Die Antwort fällt mir schnell ein, sie liegt ja auch nahe, so ist die Welt nun mal, und ich richte mich wieder auf. Muß es auch geben.