© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Allzeit bereit
Parteitag in Bielefeld: 25 Jahre nach dem Sturz des SED-Regimes will die Linkspartei die Weichen für eine Rückkehr an die Macht stellen
Paul Leonhard

Deutschlands Sozialisten wollen zurück an die Macht. Ein Vierteljahrhundert, nachdem sie von der Bevölkerung gestürzt wurden, halten sie sich für stark und die anderen Parteien für schwach genug, um 2017 ein rot-rot-grünes Bündnis in der Berliner Republik Wirklichkeit werden zu lassen. Die entscheidenden Weichen sollen am kommenden Wochenende auf dem Parteitag in Bielefeld gestellt werden.

Für eine Regierungsbeteiligung müsse die Partei bereit sein, Kompromisse einzugehen, sagte Linksfraktionschef Gregor Gysi der tageszeitung. „Wir kommen nicht über zehn Prozent hinaus, wenn wir sagen: Die Linke will ewig in der Opposition bleiben.“ Derzeit liegt die aus der SED hervorgegangene Partei bei Umfragen stabil zwischen acht und zehn Prozent, die mögliche Mobilisierungsquote wird auf 14 bis 17 Prozent geschätzt.

Kräfteverhältnis nach links verschieben

In einem vom Parteivorstand Ende März beschlossenen Leitantrag an den Parteitag haben die Strategen die Situation nüchtern analysiert: Die Linke ist die wichtigste Oppositionskraft im Bundestag, kann auf stabile Umfragewerte verweisen, ist an zwei Landesregierungen beteiligt und stellt einen Ministerpräsidenten. Auf dieser „komfortablen Ausgangslage“, so Parteivize Axel Troost in der Zeitschrift Sozialismus, wolle man aufbauen, um 2016 die schwarz-roten Koalitionen in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin abzulösen. Erklärtes Ziel ist es, das Kräfteverhältnis deutschlandweit nach links zu verschieben, „in Ost wie West, in Regierung wie Opposition, in den Ländern und im Bund“. Die Botschaft laute: „Die Linke ist die Alternative zur Großen Koalition.“ Auf dem Weg dahin will Parteichef Bernd Riexinger neue und stärkere Bündnisse schmieden. Im Blickfeld haben die Strategen sowohl „verschiedene Teile und Milieus der unteren und mittleren Klassen“ als auch Kleinunternehmer, Handwerker und Kreative. „Wenn wir die Macht der Multis beschränken oder gar brechen wollen, müssen wir Linke uns mit dem Mittelstand verbünden“, formuliert es Vizefraktionschef Dietmar Bartsch.

Aber die Partei will nicht nur ihr wirtschaftspolitisches Image aufpolieren, sondern in Vorbereitung der Bundestagswahl 2017 ihre „Kompetenz im Kernbereich der sozialen Gerechtigkeit und als Friedenspartei“ weiter ausbauen und auf den Feldern Demokratie und Bürgerrechte, Nachhaltigkeit und Ökologie, Digitalisierung und die Veränderung der Arbeitswelt deutlich an Profil gewinnen. „Es geht um Vertrauen in linke Politik, um die Glaubwürdigkeit unseres politischen Handelns und um die Überzeugungs- und Durchsetzungskraft linker Konzepte“, heißt es in dem Vorstandspapier. Man werde machbare und konkrete Reformalternativen zur angeblichen Alternativlosigkeit der Merkel-Regierung erarbeiten.

Mit Präsenz vor Ort, Beratung und Hilfe sowie Beteiligungsmöglichkeiten wollen die Linken-Politiker auch die Gruppe der Nichtwähler für sich mobilisieren. „Wahlbeteiligung oder Wahlenthaltung sind zur Klassenfrage geworden“, heißt es im Leitantrag. Da aber eine Mobilisierung dieser Wählergruppen nicht erst kurz vor einer Wahl gelinge, müsse jeden Tag darum gerungen werden.

Nach Bielefeld will die Linke mit gezielten Kampagnen die Unzufriedenheit der sozial Benachteiligten schüren. Unter der Überschrift „Kräfteverhältnisse in Bewegung bringen“ heißt es: „Die Linke setzt an den Widersprüchen an, an den Rissen der Hegemonie, dort, wo die Zustimmung zur herrschenden Politik brüchig wird.“ Betroffene „sollen Akteure der politischen Auseinandersetzungen“ werden und Vertrauen in ihre politischen Handlungsmöglichkeiten gewinnen, „indem Konflikte geführt werden, die – auch wenn es zunächst kleine Schritte sind – gewonnen werden können“. Solche Konflikte zu „finden“ und zu führen mache die Politikfähigkeit einer Mitgliederpartei aus: „Die Kampagne steht im Zusammenhang mit der größeren strategischen Aufgabe der Linken, einen neuen ‘Anker’ zu entwickeln, der die Spaltung von Prekären, Erwerbslosen und Kernbelegschaften bearbeitet.“ Die Genossen sollen in ihren Regionen analysieren, woran sich der Ärger entzündet, um welche konkreten Forderungen gekämpft werde und wer dafür gewonnen werden könnte. 

Fest steht bereits, daß es im Frühherbst um das Thema junge Beschäftigte mit dem Schwerpunkt „Befristungen stoppen“ gehen soll. Im Dezember will die Linke zu Aktionstagen um das Thema Mindestsicherung, Armut und Energieversorgung aufrufen, und Anfang März 2016 werden Aktionstage die Forderung „Mehr Personal für Bildung, Pflege und Gesundheit“ in den Mittelpunkt stellen.

Forderung nach Auflösung der Nato

Ist es dann gelungen, die gesellschaftlichen Verhältnisse nach links zu schieben, will die Linke bereitstehen, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Allerdings ist der Weg zur Macht ein dorniger. Denn der Leitantrag des Vorstands ist in Bielefeld nur einer unter vielen zu diskutierenden Papieren. 

So hat das „Forum demokratischer Sozialismus“ einen Antrag für eine „zweite Erneuerung“ der Partei eingebracht und verlangt, daß die Linke zur „Partei der FlüchtlingshelferInnen“ werden solle. Ein Positionspapier der Parteilinken um Sahra Wagenknecht fordert eine Weltfriedenskonferenz und die Verurteilung des „US-Imperialismus“ sowie die Auflösung der Nato. Der Antrag, so vermutet die Mitteldeutsche Zeitung, ziele darauf ab, eine „Annäherung an SPD und Grüne und damit eine rot-rot-grüne Koalition zu hintertreiben“. Gysi hat also noch ein gutes Stück Arbeit vor sich.